Bayerische Demenzwoche
Schweißausbrüche beim Zuknöpfen der Jacke – OVB-Reporterin durchlebt Demenz-Simulation
Anlässlich der Woche der Demenz besuchte OVB-Reporterin Ursula Huckemeyer den Demenz-Simulator im Mühldorfer Landratsamt. Eine Stunde lang tauchte sie in die Welt dieser Krankheit ein und machte außergewöhnliche Grenzerfahrungen.
Mühldorf – Bisher ist es mir noch nie heiß aufgestiegen, wenn ich einen Mantel zuknöpfen wollte. Dass auch kleinere Schweißausbrüche beim Anziehen vorkommen können, war mir bis letzten Montag unbekannt. Aber versuchen Sie mal selbst, mit klobigen Arbeitshandschuhen kleine Knöpfe ins Knopfloch zu bringen. Mir ist es nicht gelungen.
Der im Mühldorfer Landratsamt aufgestellte Demenz-Parcours lehrt mich nicht nur beim Ankleiden beinahe das Fürchten. Gezittert habe ich zwar nicht, doch angenehme Gefühle schauen anders aus.
Im Handumdrehen entsteht Druck
Julia Weiss, Geschäftsstellenleiterin der Gesundheitsregion Plus, und Margit Fleidl, Sozialpädagogin am Gesundheitsamt erklärten mir den Simulator. Die Aufgaben an den einzelnen Stationen muss ich natürlich alleine bewältigen. Und nicht nur das: Julia Weiss mimt eine gestresste Angehörige, die mich antreibt. So entsteht im Handumdrehen weiterer Druck.
An der vierten Bayerischen Demenzwoche, die noch bis zum 24. September läuft, beteiligt sich auch das Mühldorfer Netzwerk Demenz mit einigen Aktionen. Das Netzwerk erwarb im vergangenen April den sogenannten „Hand-on-Dementia“ Parcours, der den Benutzer in die Welt eines an Demenz erkrankten Menschen eintauchen lässt. Der Simulator zeigt an 13 Stationen, wie vermeintlich einfache Alltagssituationen mit den Symptomen einer Demenzerkrankung zu wahren Herausforderungen werden können. Ob Anziehen, Essen, Orientierung in der Stadt oder beim Einkaufen. Ziel ist es, das Verständnis für Betroffene und deren Verhalten zu erhöhen.
Wer den Parcours durchläuft, wird vorübergehend zu Erna Müller, einer an Demenz erkrankten älteren Dame. Der Parcours besteht aus einzelnen Boxen, in denen die unterschiedlichsten Aufgaben auf mich lauern.
Wie schwer kann es sein, einen Einkaufszettel zu schreiben?
Wer hat schon ein Problem, einen Einkaufszettel für den Wochenmarkt zu schreiben? Ich natürlich nicht, so meine feste Überzeugung. Der Simulator zeigt mir jedoch schnell auf, wie verteufelt es sein kann, wenn einem die einfachsten Wörter wie Radieschen, Paprika oder Kopfsalat plötzlich nicht mehr einfallen. Von den dazugehörigen Preisen ganz zu schweigen. Was ist mit mir nur los? Ich werde direkt ein bisschen grantig.
Beinahe noch aufreibender gestaltet sich das Mittagessen daheim. Ich soll Fleisch, Kartoffeln und Salat auf meinen Teller legen. „Das Essen nicht schieben, sondern mit Gabel und Messer arbeiten“, belehrt mich Julia Weiss und ich kämpfe gegen Windmühlen. Trotz aller Bemühungen verteile ich das Essen teilweise über den Tisch und einige Kartoffeln fallen sogar auf den Boden. Da ist bei mir schämen angesagt. In einer realen vergleichbaren Situation könnte ein Angehöriger schon mal aus der Haut fahren und ordentlich schimpfen. Eine grauenhafte Vorstellung, auch noch angepflaumt zu werden.
Für einen Gesunden selbstverständlich, für einen Kranken schier unlösbar
Was bei einem gesunden Menschen selbstverständlich ist, wird durch die Demenz nicht nur zur Herausforderung, sondern teilweise sogar zur unlösbaren Aufgabe.
Das nächste Chaos deutet sich bei einer weiteren Box an. Ich soll die Wohnung aufräumen. Alles liegt durcheinander, Gegenstände befinden sich an Orten, wo sie nicht hingehören. Das Durcheinander in der fiktiven Wohnung will sich auch in meinen Kopf einschleichen.
„Ich mag bald nicht mehr“
„Ich mag bald nicht mehr“ erkläre ich den beiden Damen, die jedoch keine Gnade kennen und mich jetzt auch noch mit dem Auto durch die Stadt schicken wollen. „Die Verkehrszeichen sind ihnen doch vertraut“, so Julia Weiss herausfordernd. Freilich kenne ich die Verkehrszeichen, schließlich fahre ich schon jahrzehntelang fast täglich mit dem Auto. Die Vorfahrtsschilder kann ich dann einigermaßen zeichnen, aber das Autofahren selber sieht zeitweise so aus, als hätte ich einen Rausch. Anstatt der Straße entlang kurve ich querfeldein, weit weg von einer sicheren Autofahrt.
Mein Vorteil: Ich kann mich aus der Situation nehmen, ein Betroffener aber nicht. Was für einen an Demenz erkrankten Patienten jedoch gleich bleibt, ist seine Gefühlswelt, weiß Margit Fleidl. Heißt also, der Betroffene bewegt sich im Alltag aufgrund seiner Krankheit nicht nur neben der Spur, sondern er erlebt gleichzeitig ein fürchterliches Gefühl des Unbehagens. Kein schöner Zustand.
Der Kranke macht nichts mit Absicht
Ich bin heilfroh, als mich die beiden Damen wieder in meine Normalität „entlassen“. Mein Fazit nach der Runde im Parcours: Der Kranke macht nichts mit Absicht. Seine Fähigkeiten sind stark eingeschränkt. Er verdient es, mit Nachsicht behandelt zu werden, auch wenn das nicht immer leicht fallen wird.
Weitere Informationen zum Demenz-Parcours
Nach vorhergehender Schulung kann der Parcours ausgeliehen werden. Julia Weiss will sich an Städte, Märkte und Gemeinden wenden, um weitere Multiplikatoren zu installieren, die ihrerseits einer breiten Öffentlichkeit den Parcours vorstellen. Julia Weiss betont: Der Simulator eignet sich nicht für Menschen mit Demenz. Ebenso ist er kein Diagnose-Instrument.
Weitere Informationen zu diesem Thema bei Margit Fleidl unter Telefon 08631-699-524 oder bei Julia Weiss unter O8631-699-1307.
