Aus dem Amtsgericht Mühldorf
Der Heinz war es! – Kurioser Prozess über eine rasante Flucht vor der Polizei
So schwer die Vorwürfe waren, so ungewöhnlich verlief der Gerichtsprozess: Der Angeklagte bezichtigt einen gewissen „Heinz“, welcher mit Tempo 200 vor der Polizei getürmt sein soll, sowie unbekannte Jugendliche, die sein Handy zum Drogenhandel missbraucht hätten.
Mühldorf – Karl T. spricht sehr viel, sehr schnell. Fast ununterbrochen sprudelt es aus ihm heraus. Mitunter fällt er Florian Greifenstein ins Wort, den er stets mit „Herr Richter“ anspricht. T., dessen Name von der Redaktion geändert wurde, gestikuliert, irgendwann hält es ihn nicht mehr auf seinem Sitz, er springt auf, beugt sich zu seinem Anwalt hinab, redet fragend auf ihn ein.
Mit Tempo 200 vor der Polizei geflohen
Dem 47-Jährigen wird vorgeworfen, am 26. April 2024 mit seinem Motorrad in Altötting mit bis zu 200 Kilometern pro Stunde vor einer Polizeikontrolle Richtung Mühldorf getürmt zu sein. Dabei sei er an einer Schule vorbeigerast, habe gefährlich überholt, zwei Beinaheunfälle verursacht, andere Verkehrsteilnehmer gefährdet.
Seine Erklärung für den Vorfall ist derart abenteuerlich, dass T. irgendwann selbst sagt: „Ich weiß, dass es sich komisch anhört, Herr Richter, wenn man es von der anderen Seite sieht.“
Er war es nicht, Heinz war es
Komisch, sagt Greifenstein natürlich nicht. Er sagt: „Das ist ganz was Neues, was Sie uns da erzählen.“ Bei den Vernehmungen durch die Polizei und in Stellungnahmen des Rechtsanwalts sei keine Rede von einem gewissen Heinz gewesen. Denn der, schenkt man T. Glauben, saß auf dem Motorrad, bekleidet mit der Motorradkluft und dem Helm Ts.
„Ich war es nicht, es war der Heinz“, sagt T. immer wieder. Richter Greifenstein fragt: „Welcher Heinz?“ T.: „Ich kenne den Nachnamen nicht.“ Er habe Heinz zufällig auf der Straße getroffen, beide hätten bei Kiefering auf einem Parkplatz gehalten. Heinz habe die Motorradjacke angezogen, den Helm und sei mit dem Motorrad Probe gefahren. „Ich wollte es vielleicht verkaufen“, sagt T. Heinz habe nach der Rückkehr erzählt, dass die Polizei ihn aufhalten wollte und er abgehauen sei. „Da war ich schon perplex.“ T. übernimmt wieder das Motorrad und fährt weiter zum Wirt in Kiefering, wo ihn seine Freundin später mit dem Auto abholt.
Ein nobler Angeklagte
Als Grund fürs Abholen lassen, nennt T.: „Ich fahre nicht, wenn ich etwas getrunken oder Drogen genommen habe.“ Greifenstein sagt: „Das ist nobel.“ Einen Führerschein hat T. nicht.
T. spricht weiter ununterbrochen, führt seine angeschlagene Gesundheit als Beleg für seine Aussagen ins Feld. „Ich hätte gar nicht so schnell fahren können, das kann man nicht, wenn die Nebenhöhlen so entzündet sind.“ Sein Verteidiger sitzt schweigend daneben. T. steht auf, blickt ihn an, behauptet, in der Anwalts-Stellungnahme müsste das mit Heinz drin stehen.
Da rührt sich der Rechtsanwalt. Er will unterbrechen, mit seinem Mandanten reden. Greifenstein sagt, dass der harte Vorwurf des gefährlichen Kraftfahrzeugrennens wohl nicht Bestand haben werde. „So schlimm wird es nicht werden.“ Es gibt eine Pause. Die endet mit dem Satz des Anwalts: „Es kann sein, dass es sich anders zugetragen hat.“
Und wieder sprudelt es aus T. heraus: „Ja, ich war das. Ich weiß nicht, warum. Blackout.“ Er erzählt von Erfahrungen bei einer früheren Kontrolle, der er ebenfalls davon gefahren sei. Er sagt, dass er sich an Gefährdungen oder Beinaheunfälle nicht erinnern könne, so schnell sei er nicht gewesen. Er bezweifelt, dass die Angaben der Polizisten stimmen. „Die übertreiben, weil sie eine Durchsuchung bei mir machen wollten.“
Dann springt T. auf, dreht sich zur Wand, öffnet Gürtel und Reißverschluss seiner Hose, um das Hemd darin zu verstauen. Er schließt die Hose wieder, zieht einen Pullover über, setzt sich wieder. Wenn Zeugen Aussagen treffen, die seiner Überzeugung entsprechen, stimmt T. gestenreich zu. Immer wieder muss ihn sein Rechtsanwalt einbremsen. Greifenstein lässt ihm dagegen vieles durchgehen.
Pillen und Kokain in der Wohnung
Bei dieser Durchsuchung seiner Wohnung finden die Polizisten viele Pillen, Tilidin, ein schmerzstillendes Opiat. Dazu eine sehr kleine Menge Kokain vermischt mit Medikamenten. Und ein Mobiltelefon. Mit dem, so der Vorwurf der Staatsanwältin, habe T. mehrere hundert Pillen in größerem Stil über ein soziales Netzwerk verkaufen wollen. Die Pillen, das gibt T. von Anfang an zu, habe er nach einem schweren Autounfall vor gut 20 Jahren gebraucht und gegen seine chronischen Schmerzen verschrieben bekommen. Auch das Kokain habe er gegen die Schmerzen genommen, wenn sie ihm wieder einmal zu stark geworden seien. Durch den Unfall sei er zum Frührentner geworden.
Auf dem Handy finden die Polizisten den Nachrichtenverlauf in einem sozialen Netzwerk. T. bot darin Pillen an, ein anderer zeigte Interesse. „Ob es zum Geschäft kam, weiß man nicht“, sagt Richter Greifenstein. T. kann dazu nichts sagen. Er vermutet, dass unbekannte Freunde seines Sohnes das Handy benutzt hätten, als sie einmal beim ihm gefeiert hätten. Wer das gewesen sei, wie diese Freunde hießen, wisse er nicht. „Ich kannte die nicht.“
T. betont, dass er die Tabletten niemals hätte verkaufen wollen, weil er sie selbst gebraucht habe. „Erstens habe ich die Stückzahl an Tabletten nicht, und zweitens würde ich sie nicht hergeben.“
Staatsanwältin Dr. Anna Reis glaubt ihm das nicht, sie hält am Vorwurf des verbotenen Handelns mit Medikamenten fest. Seine Motorradfahrt nennt sie grob verkehrswidrig und Menschen gefährdend. Entsprechend hoch ihre Strafforderung: T. soll für zwei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis.
Dem widerspricht nicht nur der Verteidiger. Auch das Schöffengericht um Richter Greifenstein beurteilt Schuld und Vergehen weniger hart. Zehn Monate stehen am Ende im Strafbuch des Angeklagten, zur Bewährung ausgesetzt. Denn eine Gefährdung von Menschen sah das Schöffengericht nicht.
Ein Ende des Streits dürfte damit aber nicht gegeben sein. Denn Staatsanwältin Reis verließ den Saal voller Unverständnis für die milde Entscheidung. Sie wird das Urteil nicht akzeptieren.

