Diskussion um Windräder im Chiemgau und Altötting
Nach Flugblättern: Aiwanger sendet Video an Marktler – Anwalt zum Sinn des Bürgerentscheids
Am 9. Juni wird im Landkreis Altötting erneut wegen des Windparks abgestimmt: Nach einer Flugblatt-Aktion von Gegenwind, wandte sich Wirtschaftsminister Aiwanger nun noch einmal an die Bürger von Marktl. Außerdem erklärt der ehemalige Rechtsanwalt der Bürgerinitiative, Frank C. Starke aus Bad Reichenhall, was der Bürgerentscheid kann – und was nicht.
Landkreis Altötting – Nach den zahlreichen Informations- und Diskussionsveranstaltungen zum geplanten Windpark im Öttinger und Burghauser Forst, steht erneut eine Abstimmung im Landkreis Altötting an. Bereits im Februar war auf Initiative der Aktivisten von „Gegenwind“ und dem Gemeinderat ein Bürgerentscheid in Mehring durchgeführt worden. Das Ergebnis war eindeutig: Die Bürger lehnten den Bau der zehn geplanten Windkraftanlagen ab. Nun wandte sich der Bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger kurz vor dem Entscheid noch einmal an die Bürger von Marktl:
„Gegenwind“ wirft Bürgermeister falsche Behauptungen vor
Dem Video vorausgegangen war eine Flugblatt-Aktion der Windpark-Gegner von „Gegenwind“. Die Gruppierung wirft dem Bürgermeister von Marktl, Benedikt Dittmann, falsche Behauptungen vor. Er habe gesagt, dass überall im Suchgebiet Windkraftanlagen aufgestellt werden dürfen – richtig sei aber, dass Windenergieprojekte nur mit Zustimmung von Bürgern vor Ort umgesetzt werden dürften. Doch was ist nun richtig, und wer hat Recht? Der ehemalige Rechtsanwalt der Bürgerinitiative, Frank C. Starke aus Bad Reichenhall, hat innsalzach24.de die rechtlichen Hintergründe erklärt.
Doch zuerst: Wie kommt es zu einem Bürgerentscheid oder Ratsbegehren?
Wie es zu einem Bürgerentscheid kommt, und worüber in Kommunen überhaupt abgestimmt werden darf, steht in Artikel 18a der Gemeindeordnung des Freistaates Bayern: „Der Gemeinderat kann beschließen, dass über eine Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde ein Bürgerentscheid stattfindet.“ Das bedeutet, dass ein Bürgerentscheid entweder durch die Bürger (Bürgerbegehren) oder durch den Rat (Ratsbegehren) herbeigeführt werden kann. Der Entscheid selbst darf sich aber nur mit der Angelegenheiten der Gemeinde befassen.
Ob ein Bürgerbegehren zugelassen wird, ist von der Anzahl der Unterschriften abhängig: Mindestens zehn Prozent der Gemeindebürger müssen hierfür unterzeichnen. Dann entscheidet der Gemeinderat – wobei gegen die Zulassung oder Nichtzulassung des Rats auch Klage eingelegt werden kann. Wird ein Bürgerbegehren zugelassen, muss der Bürgerentscheid innerhalb einer bestimmten Frist durchgeführt und die Kosten dafür von der Kommune getragen werden. Das Abstimmungsergebnis des Entscheids hat am Ende die Wirkung eines Gemeinderatsbeschlusses und darf innerhalb eines Jahres nicht abgeändert werden.
Was kann ein Bürgerentscheid?
Doch zurück zum Gesetzestext, und zu den „Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde“, denn gerade hier wird es knifflig, wenn es um Windräder geht: Mit dem Wind-an-Land-Gesetz wurde den Ländern vorgegeben, sogenannte „Windenergiegebiete“ auszuweisen. Insgesamt sollen so bis 2027 etwa zwei Prozent der Bundesrepublik für Windenergie verfügbar gemacht werden. Innerhalb der ausgewiesenen Gebiete sind Windräder auch im sogenannten „Außenbereich“ von Kommunen privilegiert und sind daher auch dort bauplanungsrechtlich zulässig, wo sonst nicht bebaut werden darf. Neu ist außerdem, dass das Landesrecht keine Mindestabstandsregelungen mehr vorsehen darf.
Allein in Bayern sollen bis 2030 etwa 1.000 Windräder erbaut werden – weshalb mit der Fortschreibung der Regionalpläne zur Ausweisung von Vorranggebieten für Windräder gestartet wurde. „Die Vorranggebiete werden in einem mehrstufigen Verfahren ermittelt“, heißt es auf der Homepage Energieatlas.bayern.de. Ein wesentliches Kriterium für die Auswahl eines Gebietes ist dabei die Windhäufigkeit gemäß dem Bayerischen Windatlas. Ist der Wind stark genug, dann hat die Windenergie Vorrang und kann als privilegiertes Vorhaben auch im Außenbereich verwirklicht werden. Für die Erteilung der Baugenehmigung eines Windrads ist dann aber nicht die Gemeinde, sondern die Genehmigungsbehörde zuständig – also in der Regel das Landratsamt. Die Gemeinde muss diesbezüglich nur ihr Einvernehmen erteilen.
Sollte eine Gemeinde ihr Einvernehmen aber nicht erteilen – beispielsweise wegen eines Bürgerentscheids – dann kann sich das Landratsamt dennoch über die Verweigerung hinwegsetzen, so Rechtsanwalt Frank C. Starke aus Bad Reichenhall. „Wenn das Einvernehmen rechtswidrig verweigert wurde.“ Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht beriet die Bürgerinitiative „Gegenwind“, bis er im Februar 2024 das Mandat wegen deren mutmaßlicher Nähe zur AfD niederlegte.
Windräder in Vorranggebieten
„Da die Gemeinden nur relativ wenig rechtlichen Einfluss auf die Erteilung einer Baugenehmigung haben, kann ein Bürger- oder Ratsbegehren möglicherweise ein stumpfes Schwert sein“, sagt Rechtsanwalt Starke. Alle Beteiligten seien gut beraten, auf politischer Ebene und auf dem Verhandlungswege zu guten Lösungen zu kommen. „Es hilft nicht, aus Unwissenheit um die juristischen Hintergründe mit starken Worten wild um sich zu schlagen“, so der Rechtsanwalt. Dies führe nicht zu angemessenen Ergebnissen.
Für betroffene Bürger gebe es jedoch laut Starke die Möglichkeit, gegen eine erteilte Baugenehmigung zu klagen. Zwar sind Windenergieanlagen im Außenbereich sei 2023 privilegierte Vorhaben, doch laut Starke müssen auch andere Belange – insbesondere auch naturschutzrechtlich – bei der Erteilung einer Baugenehmigung ausreichend berücksichtigt werden. „Das Anliegen, den Wald und die Natur vor immer mehr Bebauung zu schützen ist nicht nur ehrenwert, sondern auch ökologisch sinnvoll“, so Starke. „Windräder sollten nur dort erbaut werden, wo auch genug Wind ist und die gesetzlichen Voraussetzungen eingehalten werden“, sagt der Anwalt. „Doch irgendeinen Tod muss die moderne Industriegesellschaft sterben, wenn es um die Energiewende geht.“
