Hoffnung auf ein besseres Leben
Sauberes Leitungswasser dank Hilfe aus Maitenbeth: So geht es den Kindern von Tschernobyl
Eine Schulschließung ist ein trauriger Vorgang. Nicht so in Wolinzy in Weißrussland, 200 Kilometer entfernt von Tschernobyl. Das Gebiet ist immer noch radioaktiv belastet. Immer mehr Familien siedeln deshalb um, dank Unterstützung von Bürgern aus Maitenbeth. So geht es den Kindern von Tschernobyl heute.
Von: Lorenz Richterstetter
Maitenbeth/Anzing – Die Anzinger Initiative wurde 1991 ins Leben gerufen und unterstützt seitdem Menschen und vor allem Kinder, die immer noch unter den Auswirkungen der Tschernobyl-Katastrophe zu leiden haben. Sie konzentriert sich dabei auf die Sowchose Wolinzy in Weißrussland, wo die damals in Richtung Moskau ziehende, radioaktive Wolke gezielt abgeregnet wurde.
Ukraine-Krieg als neue Herausforderung
Aus Maitenbeth engagieren sich dort Josef und Friederike Bräustetter seit vielen Jahren aktiv. Mit Beginn des Ukraine-Krieges und der Haltung von Weißrussland in diesem Konflikt haben sich auch für die Anzinger Initiative neue Herausforderungen in ihrer Arbeit ergeben. Immer wieder fragen ehemalige Gasteltern oder interessierte Leute bei der Initiative an, wie es denn den Kindern aus dem verstrahlten Gebiet von Tschernobyl mittlerweile geht. Ob noch Kontakt besteht, ob sie in den Krieg verwickelt sind oder ob überhaupt noch Unterstützung geleistet werden kann.
Diese Fragen sind laut Josef Bräustetter nicht immer leicht zu beantworten. Aktuelle Stand in Wolinzy: Mit Ende dieses Schuljahres wurde die Schule hier endgültig geschlossen, die letzten 22 Schüler haben die Bildungseinrichtung verlassen. Bevor die Initiative im Dorf tätig war, waren es zirka 70 Schul- und Kindergartenkinder. Eigentlich ist es immer ein trauriges Ereignis, wenn eine Schule schließt, in diesem Fall aber ist es nach 31 Jahren Arbeit der größte Erfolg für die Initiative, betont der Vorstand.
Nach diesem Schuljahr werden keine Kinder mehr im hoch verstrahlten Wolinzy leben. Alle werden ab dem nächsten Schuljahr in Korotky zur Schule gehen, wo die Strahlenbelastung weitaus geringer ist. Die Straßen sind dort geteert, was in Wolinzy nicht der Fall ist, weswegen sich dort kontaminierter Staub auf den Straßen angesammelt hat. Auch die umliegenden Tümpel sind mit hoher Radioaktivität belastet, berichtet die Initiative. Kühe auf der Weide, die für die Familien lebensnotwendig sind, verursachen mit ihrer Milch eine Verstrahlung der Lebensmittel, bedauern die Mitglieder.
Neue Chancen durch eine Ausbildung
Zwei Projekte waren hauptsächlich dafür verantwortlich, die Kinder aus dem hoch verstrahlten Gebiet wegzubekommen.
Das Projekt „Ausbildung“ war vermutlich die wirkungsvollste Initiative des Vereins, berichtet dieser. Seit 2000 werde jeder Schulabgänger finanziell unterstützt, der eine Berufsausbildung absolviere. „Da die Kinder oft nicht wussten, dass ihnen eine Ausbildung zusteht oder wie sie eine Ausbildung finanzieren sollen, gestaltete sich dies am Anfang oftmals schwierig. Erst als die ersten mit der Ausbildung fertig waren, eine Arbeitsstelle gefunden hatten und den anderen Kindern darüber berichteten, wie toll es ist, selber mal etwas Geld zu verdienen, wollten plötzlich alle einen Beruf erlernen.“ Die Folge dieser Berufsausbildungen war, dass die Jugendlichen in der Regel wegzogen, da Arbeitsplätze meist nur in größeren Städten zu finden waren.
Nur einige Großeltern bleiben
Das Projekt „Umsiedelung von Familien“ wurde im Jahr 2020 gestartet. Da es durch Corona und durch die aktuell unsichere Lage in Belarus nicht mehr möglich war, Kinder für vier Wochen nach Bayern einzuladen, um sich von der Strahlenbelastung zu erholen, wurde die Idee der „Umsiedelung“ geboren und auch erfolgreich umgesetzt. Mittlerweile haben sechs Familien mit insgesamt 24 Kindern das Gebiet verlassen und sind in neue Wohnungen oder selbstgebaute Häuser umgezogen. Noch dieses Jahr werden auch die letzten Kinder dieses Gebiet verlassen. Lediglich einige Großeltern möchten an ihrem Haus, ihren Tiere und an ihrem Garten weiter festhalten und werden bleiben.
Wasser aus der Leitung, sogar eine eigene Waschmaschine
Katja aus Belarus hat erst vor kurzem in einem Telefonat die Initiative darüber informiert, was sich in den vergangenen Jahren bei Ihnen so alles geändert hat. Die Lebensmittel seien sehr teuer geworden. Das Einkommen sei nach wie vor sehr gering und die Angst, dass die Männer zum Militärdienst eingezogen werden, sehr groß. Sehr positiv sieht sie die Arbeit der Anzinger Initiative. Katja hat mit den Kindern und den Familien, die unterstützt wurden, sehr viel Kontakt. Sie sind nach ihren Erfahrungen begeistert von ihrem neuen Zuhause. Es gibt jetzt Wasser aus der Leitung, Gas zum Heizen und oft sogar eine eigene Waschmaschine. Die Kinder mit einer Berufsausbildung seien sehr glücklich, sie hätten eine Arbeit, regelmäßiges Einkommen. Die meisten hätten auch schon eine Familie gegründet. Katja betonte insbesondere, dass Ihrer Meinung nach durch die jahrelange Unterstützung ein großer Beitrag für die Völkerverständigung zwischen Deutschland und Belarus geleistet worden sei.
Den Kindern, die auf die neue Schule gehen, hat die Initiative versprochen, sie bis zum Ende ihrer Berufsausbildung zu unterstützen. Momentan wird nach Möglichkeiten gesucht, Jugendlichen, die eine Familie gründen wollen bei der Wohnungssuche zu helfen.
