Nach „Wildschweinsperre“ im Nachbarlandkreis
Radioaktivität, Gifte oder Parasiten - Würde Obelix heute noch Wildschwein essen?
Für den bärenstarken Comic-Helden Obelix war angeblich vor 2000 Jahren Wildschwein die Delikatesse schlechthin. Heute haben wir Tschernobyl, PFOA oder Schweinepest. Dennoch lassen sich Jäger aus dem Landkreis das Fleisch immer noch schmecken. Das sind die Gründe.
Mühldorf am Inn - Was vor einigen Jahrzehnten die Tollwut bei Füchsen war, könnte heutzutage das mit Umweltgiften oder Strahlung angereicherte Fleisch von Wildschweinen sein. Ein Vergleich, der Ulrich Haizinger naheliegend erscheint. Der Landwirt und Vorsitzende des Ökologischen Jagdvereins (ÖJV) Bayern für die Landkreise Mühldorf und Altötting weist seit Jahren auf die für unser Ökosystem verheerenden Folgen aus Klimawandel und einer Landwirtschaft, die die kleinbäuerlichen Strukturen verlässt und Monokulturen ausbaut, hin: zu viel Schwarzwild.
Haben wir zu viele Wildschweine?
„Gerade der rasant steigende Wildbestand müsste stärker bejagt und möglichst niedrig gehalten werden, damit sich die Wälder selbst verjüngen können und nicht alle Keimlinge gefressen werden“, erklärt Haizinger. Den ganzheitlichen Blick auf das Ökosystem unterscheide seiner Ansicht den ÖJV vom Landesjagdverband Bayern. Doch zurück zu den Wildschweinen. Obwohl die im letzten Jahr rund 100 Stück erlegtes Schwarzwild im Landkreis Mühldorf im Vergleich zu Altötting nur ein Viertel sind, waren es vor rund 30 Jahren fast keine, weist Haizinger auf die Zahlen hin. Die Folgen: mehr wirtschaftliche, ökologische Schäden, aber auch mehr gesundheitliche Gefahren. Damit sind nicht allein die (möglichen) vermehrten Wildunfälle gemeint.
Flurschäden sind überschaubar
Entwarnung - zumindest was die Zahlen angeht - gibt dagegen der Mühldorfer Kreisvorsitzende des Landesjagdverbands Bayern Sascha Schnürer, der auf die aktuell in diesem Jahr deutschlandweit stark sinkende „Jagdstrecke“ Schwarzwild verweist. Gründe dafür könne es laut dem erfahrenen Revierpächter aus Obertaufkirchen einige geben: eine von Wölfen oder aufgrund der verbesserten Nacht-Abschusstechnik per Wärmebildkamera dezimierte Population oder auch ein natürlicher Rückgang wegen der Schweinepest wären denkbar. Alles selbstverständlich nur Spekulationen.
Und ob eine größer werdende Wildschweinpopulation den Flurschaden unüberschaubar machen könnte, das stellt Schnürer auch infrage: „In Eichstätt werden beispielsweise anstatt 100 fünfzigmal so viel Schweine geschossen. Landwirtschaft ist auch dort noch möglich, oder nicht?“ Bleibt die Frage nach der Gefahr, die von den vorhandenen Wildschweinen - egal wie groß der Bestand auch sein mag - für den Verbraucher Mensch ausgeht.
Radioaktive Isotope im Wildfleisch
Als Allesfresser sind es besonders die Schweine, die beispielsweise über Regen ins Erdreich gelangte Perfluoroctansäure (PFOA), eine Industriechemikalie, die über den Chemiepark Gendorf jahrelang über Abwasser und Luft emittiert wurde, aufnehmen. Im Landkreis Altötting sorgten die von der EU jüngst festgelegten PFOA-Grenzwerte dafür, dass kontaminiertes Fleisch von erlegten Wildschweinen - das im Nachbarlandkreis immerhin über 90 Prozent ausmacht - aus dem Verkehr gezogen wird. Im Gegensatz dazu ist dem Vorsitzenden des Kreisjagdverbands Sascha Schnürer eine nennenswerte PFOA-Belastung im Landkreis Mühldorf nicht bekannt.
Was bleibt, ist die radioaktive Strahlung. „Schwarzwild ernährt sich unter anderem von Hirschtrüffeln und Maronenröhrlingen, die als Radionuklid-Sammler gelten. Diese Pilze reichern strahlendes Cäsium 137 stärker an als andere Pilze“, heißt es aus dem Veterinäramt am Landratsamt.
Ihre Feinschmeckernase macht also die Wildsau zur Strahlungsbombe auf vier Beinen - oder doch nicht? „Im Gegensatz zu PFOA hat diese radioaktive Strahlung eine Halbwertszeit - und der Reaktorunfall von Tschernobyl ist bereits 35 Jahre her“, winkt Ulrich Haizinger vom ÖJV ab. Außerdem werde - laut Veterinäramt - belastetes Schwarzwild, welches den Grenzwert von 600 Becquerel Cäsium pro Kilogramm Fleisch übersteigt, „unschädlich beseitigt“. Der Jäger bekommt für jedes erlegte und zu entsorgende Wild eine Entschädigung über die untere Jagdbehörde zugesprochen.
Wenige Proben über Grenzwert
Auch der Vorsitzende der Kreis-Jäger Sascha Schnürer sieht keine Gefährdung: „Unserem Schwarzwild geht es sehr gut.“ Von den im Jahr 2022 aus den Pachtrevieren abgegebenen Proben haben nur sieben den Grenzwert überschritten, erklärt Schnürer. Das werde alles ganz genau über den Amtsveterinär beobachtet. Überschaubar also? Ein Blick in die Bayerischen Staatsforsten, wo ebenfalls die Belastung des Wilds auf dem Schirm ist, sieht etwas drastischer aus: Von den im gleichen Zeitraum allein im Großhaager Forst erlegten zehn Säuen waren satte sechs über dem Grenzwert, wie Jagdsachbearbeiter bei den zuständigen Staatsforsten Wasserburg Franz Neudecker auf Nachfrage der OVB-Heimatzeitungen angibt. Die Quote variiere allerdings mit Blick auf die wechselnde Nahrungsaufnahme der Tiere jede Saison, relativiert Neudecker.
Mehr Strahlung auf Flugreisen
Angesichts der Tatsache, dass der durchschnittliche Verzehr pro Kopf in Deutschland bei 250 Gramm jährlich liege, halte sich die Strahlenbelastung via Wildbret also in Grenzen, betont Sascha Schnürer. Das sieht bei Jägern wie ihm, die pro Kopf einige Kilogramm Fleisch verzehren, schon etwas anders aus. Bei Ulrich Haizinger sind es beispielsweise runde zehn Kilogramm - pro Kopf in seiner Familie. Noch fühle er sich allerdings sehr wohl in seiner Haut. „10.000 Becquerel sind beim Menschen doch völlig im Durchschnitt, auch wenn es niemand zugeben würde. Ein Flug nach Mallorca hin und zurück, und wir sind strahlenbelastet ohne Ende“, sagt Haizinger mit einem Augenzwinkern. Diese „Sau“ sollte mal durchs Dorf gerieben werden, oder?
Mehr Parasiten über Rohkost
Auch für Sascha Schnürer wird das Wildschwein nicht so heiß gegessen wie gekocht: „Wir Jäger halten uns generell gesünder als viele andere, weil wir mehr Zeit in der Natur verbringen.“ Seiner Ansicht nach tragen die fleischlosen und eher auf Rohkost ausgerichteten Ernährungstrends für eine Belastung beim Menschen bei - allerdings ganz anders als vermutet: „Wissen Sie, die parasitäre Belastung mit Würmern beispielsweise steigt in der Bevölkerung signifikant an. Das kommt sicher nicht von gut durchgekochtem Fleisch“, gibt sich Schnürer sicher.
Auch an „brandgefährliche“ Trichinen sei bei Schwarzwild nicht zu denken, weil auch diese mögliche Belastung durch regelmäßige Untersuchungen ausgeschlossen sei, so Schnürer. Dazu kommt ein zuvor ohne Stress mit (idealerweise) sicherem Schuss getötetes Tier in freier Wildbahn. Kein Zweifel: Für die beiden Jäger Sascha Schnürer und Ulrich Haizinger ist Wildfleisch das gesündeste Lebensmittel - aus dem Wald über die Messstation direkt auf den Teller.



