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Interview
NRW-Minister Liminski über Islamisten-Marsch in Essen: „Eindruck eines Eroberungsfeldzugs“
Antisemitismus und Werbung für Extremisten-Aufmärsche im Netz: NRW-Medienminister Nathanael Liminski zeigt sich besorgt. Vor allem eine Plattform werde zum Problem, sagt er.
Düsseldorf – Der Minister denkt schon ans Putzen, später hat er noch einen Termin in Bonn: Dort werden die sogenannten Stolpersteine, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern sollen, blank gewischt und Nathanael Liminski (CDU) macht mit. Es ist der Gedenktag an die Reichspogromnacht, als Judenhass in Nazi-Deutschland einen ersten fürchterlichen Höhepunkt erreicht hatte. Der Termin bekommt in diesem Jahr noch einmal eine eigene Dimension. Im Zuge des Kriegs in Israel wird Antisemitismus im Netz immer größer, immer sichtbarer und Anfang November zog ein anti-israelischer Aufmarsch durch Essen. Derweil erstarken Extrem-Parteien wie die AfD. Dem Medienminister und Chef der NRW-Staatskanzlei bereitet das so große Sorgen wie nie zuvor, sagt er im Interview. Es sei oft zu wenig Platz für Grautöne und differenzierte Meinungen.
Herr Liminski, Sie stammen aus dem Bonner Raum, wo man Kölsch trinkt, und leben jetzt in der Altbier-Metropole Düsseldorf. Welchem Team gehören Sie an? Kölsch oder Alt?
Kölsch. Das wird auch so bleiben.
Die Antwort kam schnell, das Thema war einfach. Andere Themen wie Migration oder Corona sind komplexer. Trotzdem scheint jeder eine klare Meinung dazu zu haben, da ist wenig Platz für Grautöne. Haben Sie den Eindruck auch manchmal?
Ja, allerdings. Ich beobachte, dass viele Menschen sich zu komplexen Themen einmal eine Meinung bilden und danach alle neuen Informationen anhand dieser Meinung bewerten – statt ihre Meinung anhand von Informationen zu überdenken. Das bietet eine vermeintliche Sicherheit. Und im Internet schlagen unverrückbare und radikale Positionen eher durch, weil sie lauter sind als differenzierte Grautöne.
Solche Positionen bleiben oft nicht im Internet.
Leider. Das hat die Debatte auch im analogen Leben verändert. Und das bereitet mir Sorgen. Ob Klima, Corona oder Krieg: Es gibt vermeintlich nur Schwarz und Weiß, wobei die Realität sich doch oft eher in den Grautönen abbildet. Man kann in einer offenen Gesellschaft Konsens nur erreichen, wenn man einen echten Kompromiss sucht, also bereit ist, gemeinsam etwas Neues zu entwickeln. Dazu muss ich die Meinung meines Gegenübers erst einmal ernst nehmen und zumindest kurz einmal annehmen, dass er oder sie auch recht haben könnte. Dazu sind aber immer weniger Menschen bereit, besonders im politischen Betrieb.
Er stammt aus einer katholischen Familie, er ist der Sohn des verstorbenen Journalisten und Publizisten Jürgen Liminski und der Französin Martine Liminski. Er wuchs mit insgesamt neun Geschwistern in Sankt Augustin auf.
Seit Juni 2022 ist der CDU-Politiker im Kabinett von Hendrik Wüst Chef der Staatskanzlei NRW, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien.
NRW-Medienminister Nathanael Liminski: „AfD betreibt im Netz vor allem Stimmungsmache“
Parteien wie die AfD oder das Bündnis Sahra Wagenknecht setzen eher auf Polarisierung, als auf Kompromiss. Wie hält die CDU dagegen?
Das ist harte Arbeit. Einerseits müssen wir sachlich tragfähige Lösungen erarbeiten. Andererseits muss das Ganze politisch gut vermittelbar sein. Man würde es der CDU zu Recht nicht durchgehen lassen, wenn wir nur polarisierende Slogans bieten, aber keine Lösung. Aber es gibt auch einen technischen Aspekt, nämlich das Beherrschen von digitaler Kommunikation und Social Media. Während wir als CDU selbst unsere eigenen Mitglieder und Anhänger dort nur bedingt erreichen, ist die AfD da sehr effektiv aufgestellt und bedient ihre Filterblasen, die auch für Desinformation empfänglich sind.
Da hat die CDU also etwas versäumt.
Ja, aber wir werden besser, auf allen Ebenen. Die AfD konzentriert sich deshalb so stark auf den Social Media-Bereich, weil sie die Menschen hier direkt adressieren kann und sich nicht mit kritischen Journalisten auseinandersetzen muss. Im Gegenteil, die klassischen Medien versucht sie regelmäßig zu diskreditieren, als „Lügenpresse“ oder „Staatsfunk“. Die AfD betreibt im Netz vor allem Stimmungsmache. Das wollen und werden wir nicht kopieren.
CDU-Minister Nathanael Liminski: „Ich kann auch ein guter Mensch sein, ohne zu gendern“
Die AfD hat zuletzt Rekord-Wahlergebnisse gehabt. Sind die etablierten Parteien Schuld daran?
Das Erstarken der extremen Parteien ist zuallererst mit Frust über diese Bundesregierung verbunden. Je mehr die Ampel den Eindruck vermittelt, mit drängenden Problemen nicht klarzukommen, desto mehr wenden sich Menschen Extremen zu. Die Antwort der etablierten Parteien muss gutes Regierungshandwerk sein, statt Menschen für ihre Meinung zu beschimpfen. Je mehr man Leuten eine falsche Haltung vorwirft, ohne sich selbst kritisch zu hinterfragen, desto stärker verfestigt sich diese Entwicklung. Diese neue Art der Haltungspolitik wird schnell zu einer gefährlichen Spirale.
Ein Thema, das stark polarisiert, ist das Gendern. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nutzen manche Redaktionen den sogenannte Gender-Gap. Das kommt nicht bei allen Zuschauern gut an. Können Sie das nachvollziehen?
Sprache ist ein gesellschaftlicher Konsens. Beim Thema Gendern gibt es diesen Konsens nicht - oder zumindest noch nicht. Klar ist für mich, dass wir eine geschlechtersensible Sprache brauchen. Ich bin nicht dagegen, dass man dafür in Medienformaten auch mal kreativ ist. Aber es darf nicht der Eindruck entstehen: Wer gendert, ist ein besserer Mensch. Ich kann auch ein guter Mensch sein, ohne zu gendern.
Sie sind persönlich offenbar kein Fan vom Gendern.
Die Leute sind mitunter genervt davon. Als politisch Verantwortliche müssen wir uns gerade jetzt um Brot-und-Butter-Themen kümmern. Es gibt außen- und sicherheitspolitische Erschütterungen, eine Migrationskrise verbunden mit gesellschaftspolitischen Fragestellungen, Angst vor Arbeitsplatzverlust. Vor diesem Hintergrund sind die Menschen sensibel, wenn manche dann bei Themen wie dem Gendern ein unverhältnismäßiges und überbordendes Sendungsbewusstsein entwickeln. Sie fragen: Habt ihr nichts Wichtigeres zu tun? Dadurch gerät das in Misskredit, obwohl ich das Kernanliegen einer geschlechtersensiblen Sprache durchaus teile. Es ist wie so oft: Man kann etwas auch kaputt machen, indem man zu viel will. Ich meine: eher kleine als keine Schritte.
„Zu den Gräueltaten der Hamas kann es nur eine Meinung geben“
Stichwort sicherheitspolitische Erschütterungen. Der Krieg in Israel sorgt für stark emotionale Debatten. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie die Bilder aus Essen gesehen haben, wo Anfang November radikale Islamisten durch die Straßen marschiert sind?
Ich habe gedacht, dass das eine erschreckende Machtdemonstration und eine gewollte Provokation unserer offenen, demokratischen Gesellschaft ist. Man kann zum Nahost-Konflikt unterschiedliche Meinungen haben. Zu den Gräueltaten der Hamas kann es aber nur eine Meinung geben: Klare und uneingeschränkte Verurteilung. Das erwarte ich von jedem, der in diesem Land lebt. Und diese Erwartung ist nun nichts Un- oder Übermenschliches. Mit dem Marsch in Essen wurde ganz bewusst der Eindruck eines Eroberungsfeldzugs erweckt. Die schwarzen Flaggen mit weißer Schrift, die geschwenkt wurden, wecken Assoziationen an Terror, an Bilder aus Afghanistan, aus Syrien und dem Irak. Wer in guter Absicht in Deutschland demonstriert, vermeidet einen solchen Eindruck.
Vor der Demo in Essen wurde in den sozialen Medien Werbung gemacht, es gab antisemitische Propaganda. Haben wir Mittel, gegenzusteuern?
Es ist unsere Pflicht, Antisemitismus in jeder Form zu bekämpfen, auch im Netz. In NRW gehen wir bei dem Thema mit der Initiative “Verfolgen statt nur Löschen” voran. Die Landesanstalt für Medien NRW hat KI-Tools entwickelt, um hier schneller zu reagieren. Wir sind das Land, das die meisten Verstöße feststellt, zur Anzeige bringt und an die Behörden weitergibt. Von den knapp über 500 Anzeigen bei den europäischen Stellen kommen über 270 aus NRW. Gleichzeitig muss uns klar sein: Das ist natürlich nur die Spitze des Eisbergs.
Nicht alles, was an Propaganda im Netz auftaucht, ist strafrechtlich relevant.
Das stimmt. Es gibt zum Beispiel Programme, die den Nahost-Konflikt so beschreiben, dass die Hamas nicht als barbarische Terrororganisation, sondern als Opfer erscheint. Wir empfinden das als unerträgliche Täter-Opfer-Umkehr, Andere als Wahrheit. Solche Angebote werden leider auch von vielen in der muslimischen Community in NRW konsumiert.
Wie kann das sein? Wer in NRW einen TV-Sender gründen will, untersteht einer Aufsicht. Gibt es kein Mittel, antisemitische Propaganda aus dem Ausland einer Kontrolle zu unterziehen?
Erstmal muss man leider festhalten, dass es kaum türkischsprachige oder arabische Formate gibt, die hier nach unseren Regeln produziert werden - obwohl wir das in der Vergangenheit sehr wohl so weit wie eben unter dem Gebot der Staatsferne möglich gefördert haben. Wir können ausländische Nachrichtenangebote nicht einfach weg regulieren. Eine nachhaltige Lösung liegt aber in einer empfängerorientierten Medienpolitik. Das heißt: Wir müssen die Konsumenten stärker ertüchtigen, zwischen Fake News und echten Nachrichten oder zwischen Hetze und gutem Journalismus zu unterscheiden. Wenn alles durch ein mediales Prisma dargestellt wird, ist Medienkompetenz das Gebot der Stunde, auch und vor allem bei jungen Menschen. Dafür haben wir mit dem Digitalcheck ein niedrigschwelliges Angebot geschaffen, nicht ohne Grund auch auf Türkisch und Russisch.
Glauben Sie, dass Lehrerinnen und Lehrer wissen, mit welchen Inhalten ihre Schülerinnen und Schüler im Netz eigentlich konfrontiert werden?
Die größte Drecksschleuder im Bereich Antisemitismus ist TikTok. Mein Eindruck ist, dass viele Lehrerinnen und Lehrer das durchaus wahrnehmen, aber sich überfordert fühlen. Wir haben die Schulen in den Herbstferien mit Infomaterial versorgt, mit dem Appell: Proaktiv ansprechen, Räume für Diskussion schaffen. So können wir verhindern, dass dieses Gift unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zersetzt. Außerdem haben wir den NewscheckNRW aufgelegt. Das ist eine kostenlose Fortbildung für Lehrkräfte zum Thema Journalismus, die diese direkt im Unterricht nutzen können. Ich habe mir über den Zusammenhalt und die demokratische Verfasstheit unseres Landes noch nie so viele Sorgen gemacht wie jetzt.
Die Gruppe “Generation Islam” gilt als radikalislamistisch und ist besonders aktiv im Netz. NRW-Innenminister Herbert Reul will sie gern verbieten lassen. Ist das der richtige Weg?
Verbote von Vereinen oder Gruppen, die Volksverhetzung betreiben, ist definitiv ein richtiger Ansatz, ja. Darüber hinaus müssen wir unser Bekenntnis zum Existenzrecht Israels als deutsche Staatsräson auch an anderen Stellen konsequenter umsetzen: Bei der Definition von Volksverhetzung im Strafgesetzbuch und bei Asyl- und Einbürgerungsverfahren etwa. Vor uns liegen viele Monate und Jahre harter Arbeit. Damit werden auch gesellschaftliche Konflikte verbunden sein aber wann, wenn nicht jetzt und wozu, wenn nicht beim Kampf gegen Judenhass in Deutschland?