Ärger wie in Inzell oder Schleching
Über 500 Ruhpoldinger „verschwunden“ und 3,5 Millionen Euro weg? Zensus sorgt für Flächenbrand
Nach Schleching und Inzell beklagt auch Ruhpolding die durch den Zensus 2022 „verschwundenen“ Einwohner. Die finanziellen Folgen sind gravierend - dabei steht die Gemeinde in Sachen Geld eigentlich gut da. Die Reaktion der Gemeinderäte ist knallhart.
Ruhpolding - Erst Schleching, dann Inzell, nun Ruhpolding - der Ärger über den Zensus 2022 wird in der Region zum Flächenbrand. „Gegen den Bescheid des Bayerischen Landesamtes für Statistik vom 29.4.2025 zur Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl im Rahmen des Zensus 2022, reicht die Gemeinde Ruhpolding form- und fristgerecht Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht ein. Eine Klagebegründung ist durch eine Anwaltskanzlei zu erstellen.“
Auch Inzell klagt
Zuvor hatte auch Inzell eine Klage angekündigt - dort „fehlen“ über 200 Einwohner. Schleching hatte derweil entschieden, mangels Erfolgsaussichten auf eine Klage zu verzichten. Der Frust ist allerdings auch dort groß.
In Ruhpolding votierte der Gemeinderat einstimmig für eine Klage zum vorgelegten Ergebnis der „Volkszählung“ aus dem Jahr 2022, nach dem in der Gemeinde zum Stichtag 15.5.2022 nur noch 6.101 Einwohner mit alleinigem Hauptwohnsitz gelebt hätten. Laut Datenbestand des Melderegisters der Gemeinde waren es hingegen 7.222 Personen (Zensus 2011 7.235). Die Verwaltung nutzte die Einspruchsfrist des Bescheides, nahm umfassend Stellung und begründete, warum die festgestellte Einwohnerzahl so nicht nachvollzogen werden kann. Aufgrund dieses Einwandes nahm das Amt eine Korrektur vor und erhöhte die Einwohnerzahl verbindlich um 580 Personen auf nunmehr 6.681.
Was ist der Zensus?
Im Jahr 2022 fand in Deutschland wieder ein Zensus statt. Mit dieser statistischen Erhebung wird ermittelt, wie viele Menschen in Deutschland leben, wie sie wohnen und arbeiten. Viele Entscheidungen in Bund, Ländern und Gemeinden beruhen auf Bevölkerungs- und Wohnungszahlen. Um verlässliche Basiszahlen für Planungen zu haben, ist eine regelmäßige Bestandsaufnahme der Bevölkerungszahl notwendig. In erster Linie wurden hierfür Daten aus Verwaltungsregistern genutzt, sodass die Mehrheit der Bevölkerung keine Auskunft leisten musste. In Deutschland ist der Zensus 2022 eine registergestützte Bevölkerungszählung, die durch eine Stichprobe ergänzt und mit einer Gebäude- und Wohnungszählung kombiniert wird. Für den Zensus arbeiten die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder zusammen. Das Statistische Bundesamt ist dabei für die Entwicklung der benötigten technischen Anwendungen verantwortlich. In Zusammenarbeit mit dem Informationstechnikzentrum Bund wird die für den Empfang, die Aufbereitung und Datenhaltung notwendige IT-Infrastruktur zur Verfügung gestellt.
Mit dem Zensus 2022 nahm Deutschland an einer EU-weiten Zensusrunde teil, die seit 2011 alle zehn Jahre stattfinden soll. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde der Zensus von 2021 in das Jahr 2022 verschoben. (Quelle: Zensus2022.de)
Gigantische Mindereinnahmen durch Zensus-Wahnsinn
In der Sitzung erläuterten Bürgermeister Justus Pfeifer und Geschäftsleiter Martin Heinemann die finanziellen Auswirkungen der damit verbundenen Einbußen bei den Schlüsselzuweisungen. Nach Hochrechnungen der Kämmerei würde die Gemeinde Ruhpolding im Vergleich mit der bisher angesetzten Einwohnerzahl von 7.235 (aus 2011) mit der jetzt festgesetzten Zahl in den nächsten zehn Jahren ca. 3,5 Mio Euro an Schlüsselzuweisungen verlieren.
Dies bedeutet einen wesentlichen finanziellen Nachteil, ohne dass sich die tatsächliche Aufgabenlast der Kommune verringern würde. Das Gremium und die Verwaltung waren sich einig, dass trotz der Nachbesserung des Landesamtes für Statistik weiterhin erhebliche Zweifel an der Methodik der Erfassung und der Hochrechnung bestehen. Zur Sicherung der Rechte der Gemeinde und um Rechtssicherheit zu erlangen, wird daher Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Gegen den Zensus 2011 war erfolglos geklagt worden.
Jeder Einwohner ist viel Fördergeld „wert“
An der Zahl der Einwohner hängt für Ruhpolding und jede andere Gemeinde viel Geld. Die Schlüsselzuweisungen des Freistaats Bayern werden zum Beispiel nach der Einwohnerzahl berechnet, auch bei Zuschüssen zu Baumaßnahmen wird die Marke gern als Grundlage genommen. Geschätzt ist jeder Einwohner zwischen 600 und 900 Euro jährlich an Förderung „wert“.
Zufrieden zeigten sich Gemeinderat und Finanzverwaltung Ruhpolding mit der nun abgeschlossenen Jahresrechnung 2024. „Es war das vierte Jahr in Folge ohne neue Schuldenaufnahme“, freute sich Bürgermeister Justus Pfeifer und war sich sicher: „Wir sind finanziell in allen Bereichen auf einem guten Weg“.
So steht‘s um Ruhpoldings Finanzen
Kämmerer Friedrich Haberland erläuterte in Kurzform noch einmal die wichtigsten Eckpunkte und Zahlen und verweis dabei auf höhere Einnahmen im Bereich der Steuern, aber auch auf nicht angefallene Ausgaben im Verwaltungshaushalt, durch die sich die Zuführung zum Vermögenshaushalt positiv entwickeln konnte. Im Vermögenshaushalt verbuchte man Investitionen und Haushaltsreste in Höhe von ca. 3,9 Mio Euro. Zudem konnten Kredite in Höhe von 1.203.897 Euro getilgt werden.
Die Einnahmen des Vermögenshaushaltes setzen sich aus der Zuführung aus dem Verwaltungshaushalt (1,781 Mio), Investitionszuweisungen (1.387 Mio), Verkaufserlösen und Beiträgen (0,963 Mio) und einer Rücklagenentnahme von 810.302 Euro zusammen. 2024 wurden keine neuen Kredite aufgenommen, der Stand der Rücklagen betrug zum Jahresende 2024 879.904 Euro und liegt damit oberhalb der gesetzlichen Mindestrücklage. Der Verwaltungsausschuss hatte die die Jahresrechnung in seiner Sitzung am 13. Mai 2025 ausführlich beraten und empfahl dem Gremium diese zur Kenntnis zu nehmen, was auch einvernehmlich erfolgte.