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Unglaubliche Geschichte

Bürokratie-Wahnsinn: 280 Menschen in Schleching „verschwunden“ oder 141?

Martin Plenk, Geschäftsleiter von Schleching, erklärt, warum in seiner Gemeinde Personen „verschwunden“ sind  (Symbol).
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Martin Plenk, Geschäftsleiter von Schleching, erklärt, warum in seiner Gemeinde Personen „verschwunden“ sind (Symbol).

Geschäftsleiter Martin Plenk berichtete bei der jüngsten Gemeinderatssitzung in Schleching, dass die Einwohnerzahl der Gemeinde deutlich „geschrumpft“ ist. Aber nicht weil so viele Leute weggezogen sind, sondern weil der deutsche Bürokratie-Hengst gewiehert hat. Kein Einzelproblem in der Region. Plenk berichtet die unglaublichen Details und wie viel Geld das kostet.

Schleching - 1938 Menschen waren am 15. Mai 2022 in Schleching gemeldet. Das Datum ist deshalb wichtig, weil genau in diesem Zeitraum der deutschlandweite „Zensus 2022“ in der Berg-Gemeinde an der Grenze zu Tirol durchgeführt wurde. Vereinfacht gesagt wird dabei mittels einer Gebäude- und Wohnungserfassung mit statistischen Methoden ermittelt, wie viele Menschen in einem Ort wohnen (könnten - siehe Kasten). Bei Schleching ergab die im Juni 2024 vorgelegte Berechnung 1668 Bewohner - also 270 weniger, als am Zensus-Stichtag gemeldet waren.

In Schleching sind Menschen „verschwunden“. (Symbol)

Was ist der Zensus?

Im Jahr 2022 fand in Deutschland wieder ein Zensus statt. Mit dieser statistischen Erhebung wird ermittelt, wie viele Menschen in Deutschland leben, wie sie wohnen und arbeiten. Viele Entscheidungen in Bund, Ländern und Gemeinden beruhen auf Bevölkerungs- und Wohnungszahlen. Um verlässliche Basiszahlen für Planungen zu haben, ist eine regelmäßige Bestandsaufnahme der Bevölkerungszahl notwendig. In erster Linie wurden hierfür Daten aus Verwaltungsregistern genutzt, sodass die Mehrheit der Bevölkerung keine Auskunft leisten musste. In Deutschland ist der Zensus 2022 eine registergestützte Bevölkerungszählung, die durch eine Stichprobe ergänzt und mit einer Gebäude- und Wohnungszählung kombiniert wird. Für den Zensus arbeiten die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder zusammen. Das Statistische Bundesamt ist dabei für die Entwicklung der benötigten technischen Anwendungen verantwortlich. In Zusammenarbeit mit dem Informationstechnikzentrum Bund wird die für den Empfang, die Aufbereitung und Datenhaltung notwendige IT-Infrastruktur zur Verfügung gestellt.

Mit dem Zensus 2022 nahm Deutschland an einer EU-weiten Zensusrunde teil, die seit 2011 alle zehn Jahre stattfinden soll. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde der Zensus von 2021 in das Jahr 2022 verschoben. (Quelle: Zensus2022.de)

Jeder Siebte „verschwunden“ oder doch weniger?

Fast 14 Prozent der Einwohner waren also einfach „verschwunden“, jeder Siebte. Schleching ging daraufhin genau wie viele andere mit ähnlichen „Schrumpfungen“ kämpfende Gemeinden und Städte aus der Region im November 2024 in den Einspruch. Mit Bescheid vom 25. April sprach das Bayerische Landesamt für Statistik Schleching eine neue amtliche Einwohnerzahl von 1797 zu. Nicht mehr 270, aber immer noch 141 weniger als offiziell gemeldet.

Verhandeln über Einwohner auf dem Basar

Das ebenfalls vom statistischen „Bürger-Schwund“ betroffene Glonn hat es mit seinem Protest geschafft, über der „magischen“ 5000-Einwohner-Marke zu bleiben. Klingt ein bisschen nach türkischem Basar statt deutscher Genauigkeit. „Ich habe mich auch gefragt, wo sie die 141 weniger her hatten“, sagt Martin Plenk dem OVB und witzelt: „Vielleicht hätte sich die Zahl der fehlenden Bürger in Schleching nochmal um die Hälfte reduziert, wenn wir nochmal in den Einspruch gegangen wären.“

Das ist Galgenhumor über echten Bürokratie-Wahnsinn, denn an der Zahl der Einwohner hängt für Schleching und jede andere Gemeinde viel Geld. Die Schlüsselzuweisungen des Freistaats Bayern werden zum Beispiel nach der Einwohnerzahl berechnet, auch bei Zuschüssen zu Baumaßnahmen wird die Marke gern als Grundlage genommen. Geschätzt ist jeder Einwohner zwischen 600 und 900 Euro jährlich an Förderung „wert“. Es geht also im Fall Schleching über den Daumen gepeilt um etwa 100.000 Euro. „Uns geht bares Geld ab“, sagt Plenk deutlich.

Örtliche Behörden „mit Füßen getreten“?

Fast noch ärgerlicher ist für ihn jedoch, dass durch den Zensus die örtlichen Behörden abgewertet werden. „Für was haben wir eigentlich ein Einwohnermeldeamt? Die Arbeit dort wird mit Füßen getreten“, so Plenk. Möglicherweise gebe es in Schleching wie überall einzelne „Karteileichen“, aber Wahlbenachrichtigungen seien nicht zurückgekommen. Plenk findet zu Recht, dass solche Entscheidungen zum „Kopfschütteln“ über die Bürokratie in Deutschland beitragen.

Warum Schleching nicht klagt

Aber warum klagt dann Schleching nicht gegen die Zensus-Entscheidung? Zum einen weil der Zensus in der Version von 2011 eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht „überstanden“ hat. Die Vorschriften verstoßen nach Meinung der höchsten Richter unseres Landes „nicht gegen die Pflicht zur realitätsnahen Ermittlung der Einwohnerzahlen“. Zum anderen sei eine Klage durch alle Instanzen teuer und erfordere einen Fachanwalt. „Es entsteht ein immenser Aufwand für eine kleine Gemeinde wie Schleching und wir sehen kaum Chancen auf Erfolg“, so Plenk.

Nichtsdestotrotz würden laut Plenk einige Gemeinden auch aus der Region überlegen, ob sie gegen die rein statistische Ermittlung der Einwohnerzahl gerichtlich vorgehen. Welche Orte genau Einspruch gegen die Zensus-Ergebnisse eingelegt haben und welche Korrekturen es gab, wollte das Landesamt für Statistik wegen des noch laufenden Prozesses nicht präzisieren. Martin Plenk hat derweil auf OVB-Bitte noch einmal im Einwohnermeldeamt nachgefragt, wie viele Bürger aktuell in Schleching leben. Mit Stand 15. Mai 2025 - also genau drei Jahre nach der ersten Angabe - sind es 1884. Bleiben immer noch 87 durch den Zensus „Verschwundene“.

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