Richterin: „Ein Tag, der keinesgleichen kennt“
„Er ist nicht zu stoppen“: Radlerin bei Palling getötet, dann Straftatenserie quer durch Landkreis
Was ein 53-Jähriger Anfang September vorigen Jahres anrichtete, war auch vor Gericht unbegreiflich: Betrunken raste er bei Palling eine Burghauser Radfahrerin tot, flüchtete und hielt dann mit einer wahren Straftatenserie Polizisten und Bürger quer durch den Landkreis Traunstein auf Trab – jetzt wurde er verurteilt.
Traunstein/Palling - Es war ohnehin schon das „Allerschlimmste, was passieren kann“, wie es Richterin Barbara Dallmayer ausdrückte - doch der Tragik damit nicht genug: Die 58-jährige Burghauserin, die bei Palling von einem Betrunkenen totgefahren wurde, half beruflich ausgerechnet Menschen mit Suchtproblemen. Die Wahnsinnsfahrt eines Alkoholikers aus Bergen kostete sie an jenem 2. September 2023 das Leben. „Besonders grausam“ war diese Konstellation auch in den Augen von Anwalt Karl-Heinz Merkl. Er vertrat die Nebenklage und kam mit dem Ehemann der Getöteten zum Prozess am Amtsgericht Traunstein am Montag (19. Februar).
20 Meter weit flog die Radlerin - und der Bergener fuhr einfach weiter
Mit knapp 100 km/h fuhr der Angeklagte der Frau zwischen Freutsmoos und Tyrlbrunn von hinten ins Rad - dazu rund 2,5 Promille Alkohol im Blut, außerdem hatte er zuvor Cannabis geraucht. Es war gerade mal 15.30 Uhr, die Straße gerade, die Frau grell gekleidet. 20 Meter weit wurde die Burghauserin geschleudert. An ihren schweren Verletzungen verstarb sie 13 Tage später im Krankenhaus. Der betrunkene Bergener fuhr einfach weiter. „Eine Begleiterin der Frau konnte sich aber das Auto und das Kennzeichen merken“, berichtete ein Zeuge der Polizei. Und schon bald sollten wegen des 53-Jährigen die nächsten Notrufe eingehen...
Hund getreten, Wirt bedroht und immer wieder Zick-Zack-Fahrten
15 Minuten später rauschte er nördlich von Chieming fast in den Gegenverkehr. Es blieb beim Spiegelstreifer. „Ich hab ihn verfolgt und fast die nächste Kollision gesehen“, so der Fahrer vor Gericht. Doch als er den Angeklagten anhalten konnte und an seine Scheibe klopfte, habe der nicht reagiert - und verschwand. Eine halbe Stunde später beleidigte und bedrohte der Bergener dann Personal und Gäste des Gasthauses „Hirschauer Bucht“ am Chiemsee - und sein Hund rückte plötzlich in den Mittelpunkt. „Der Husky hat sich davor noch bei uns in der Küche vor ihm versteckt“, berichtete der Wirt. Dann habe der 53-Jährige den Hund zweimal mit voller Wucht getreten. „Der hat nur noch gewinselt.“ Mit Vollgas haute er wieder ab.
Über Grassau in Richtung Bergen ging die Fahrt weiter. „Der ist im Zick-Zack gefahren“, erzählt ein Passant: „Der Gegenverkehr musste schon auf den Radlweg ausweichen. Es war wirklich oft kurz vor knapp.“ Gegen 17 Uhr wurde der Angeklagte dann von der Polizei in Bergen gestoppt - aber nicht ohne erheblichen Widerstand und etliche Beleidigungen. Überhaupt: „Er hat sich aufgeführt, als wäre er im Recht und dürfe das alles machen“, so ein Polizist vor Gericht. Die Beamten brachten den Bergener zuerst auf die Polizeiinspektion in Trostberg, wo er wieder ausfällig wurde. Später ging es ins Inn-Salzach-Klinikum nach Wasserburg.
Urteil noch deutlich schärfer als Forderung der Staatsanwaltschaft
Staatsanwalt Christian Merkel forderte zwei Jahre und neun Monate Haft, Verteidiger Raphael Botor zweieinhalb Jahre. Das Urteil fiel aber wesentlich schärfer aus: Drei Jahre und sechs Monate urteilte das Amtsgericht. Dazu eine Unterbringung in einer Alkohol-Entzugsklinik und drei Jahre Führerscheinsperre. Ohnehin war der Bergener auch im September 2023 ohne Führerschein unterwegs. Das Urteil lautete auf fahrlässige Tötung, fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs, Fahren ohne Fahrerlaubnis, unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, Trunkenheit im Verkehr, versuchte Körperverletzung, Verstoß gegen das Tierschutzgesetz, Beleidigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und einem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte.
Das einzig wirklich Positive, das Richterin Dallmayer finden konnte, war das volle Geständnis des 53-Jährigen. Eine Entschuldigung vor Gericht fand der Mann erst in seinen letzten Worten („Eine Katastrophe“). Die Richterin fand deutliche Worte: „Es ist Furchtbares passiert.“ Vor allem hätte dem Gericht aufgestoßen, dass er nicht anhielt: „Er ist von niemandem zu stoppen. Es ist kein Ende absehbar.“ Der 2. September 2023 - nicht nur für die Richterin „ein Tag, der keinesgleichen kennt“.
xe