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Asyl:„Nur Grenzpolizei nicht die Lösung“

466 Flüchtlinge auf 1 Fachkraft: Wie kann man Morde wie in Aschaffenburg in der Region verhindern?

Nach tödlichem Angriff in einem Park in Aschaffenburg
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Trauer über den bei der Attacke in Aschaffenburg getöteten Buben.

Die Asyl-Diskussion fokussiert sich derzeit auf eine Schließung der Grenzen. Das ist jedoch nach Überzeugung von Experten keine Lösung, um die Gefahr von Gewalttaten durch psychisch kranke Migranten wie in Magdeburg oder Aschaffenburg zu vermindern. So schwierig ist die Lage in der Region und das raten Flüchtlingsarbeiter.

Traunstein/Grassau/Mühldorf „Wie viele Menschen müssen noch ermordet werden“, fragte Friedrich Merz am Mittwoch (29. Januar) in der Asyl-Diskussion im Bundestag ganz plakativ. Der CDU-Chef spielte damit auf die Messer-Attacke mit zwei Toten - darunter ein zweijähriger Bub - in Aschaffenburg vor ein paar Tagen an. Der Täter: Ein offenbar psychisch labiler Afghane. Eine Serie von vergleichbaren Gewalttaten hat die Diskussion um die Fehler der Politik in der Asyl-Diskussion angeheizt. Aber lassen sich mit einer weitgehenden Schließung der Grenzen Attacken durch psychisch kranke Flüchtlinge auch in der Region verhindern?

„Wie lässt sich das Gefährdungspotenzial durch psychisch Kranke schnell reduzieren“?

„Migranten werden momentan in der öffentlichen Diskussion nur gebasht. Aber die Frage ist doch: Wie schaffen wir es, das potenzielle Gefährdungspotenzial durch psychisch Kranke möglichst schnell zu verringern?“, sagt Thomas Lecke-Lopatta im Gespräch mit dem OVB. Er ist Vorsitzender von Integer, einem Verein in Grassau, der sich um die Integration von Flüchtlingen im Achental verdient gemacht hat. Auch wenn Lecke-Lopatta „Grenzen der Aufnahmekapazität von Asylsuchenden“ sieht, hält er eine Abschottung von Deutschland für falsch. Zumal es mit Tausenden Flüchtlingen in der Region auch keine wirkliche Lösung für die tieferen Ursachen der Gewalt-Attacken von Migranten bringt.

Der bayerische Flüchtlingsrat hat kürzlich auf die Schwierigkeiten bei der Flüchtlings-Betreuung im Freistaat hingewiesen. Sozialpädagogin Jana Weidhaase erklärte im Morgenmagazin von ARD und ZDF, dass ein Drittel der Asylbewerber durch Kriege in der Heimat und die Flucht traumatisiert seien und psychosoziale Betreuung benötigten. Zudem würden psychisch kranke Flüchtlinge nach einem vorübergehenden Aufenthalt in der Psychiatrie wieder auf freien Fuß gesetzt, bekämen danach aber so gut wie keine Betreuung mehr. Die Expertin nannte eine erschreckende Zahl: Auf 150 Betroffene käme nach ihren Worten nur ein Betreuer.

Nur die Spitze des Eisbergs

Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Recherchen des OVB in der Region ergeben ein noch krasseres Missverhältnis in der allgemeinen Betreuung von Flüchtlingen. „In der Flüchtlings- und Integrationsberatung beraten wir etwa zu gleichen Teilen Personen mit und ohne Aufenthaltserlaubnis. 2024 kamen auf eine Vollzeitstelle 235 beratene und 231 mitberatene Personen“, schreibt Klaus Rieder von der Diakonie Traunstein auf Anfrage. Das bedeutet: Auf jede der zehn sozialpädagogischen Fachkräfte des evangelischen Trägers kommen unglaubliche 466 Flüchtlinge. Mit teils schwerwiegenden Problemen.

„Aus unserer Beratungserfahrung wissen wir, dass Geflüchtete generell mit hohen Belastungsfaktoren zurechtkommen müssen. Es stellt an jede einzelne Person hohe Anforderungen, sich in einem anderen Kulturkreis, mit einer noch fremden Sprache, hohen bürokratischen Anforderungen und fehlenden sozialen Netzen zurechtzufinden“, erklärt Rieder dem OVB: „Zudem hat nahezu jede Person während der Flucht existenziell bedrohliche Situationen erlebt, die teilweise schwere Traumata zur Folge haben, welche häufig gar nicht artikuliert werden können oder aus dem Bewusstsein verdrängt wurden.“

Kerzen stehen am Tatort in Aschaffenburg.

Therapie-Angebote für psychisch labile Flüchtlinge – aber zu wenig Geld

Die Diakonie unterstützt deshalb im Landkreis Mühldorf gezielt Geflüchtete mit erkennbaren psychischen Belastungen in der Fachstelle Therapeutische Angebote für Flüchtlinge – kurz TAFF. Für all diese Angebote setzt die Diakonie „erhebliche Eigenmittel“ aus ihren Kassen und der Kirche ein. „Zudem unterstützen die Landkreise Traunstein und Mühldorf diese Angebote finanziell, wozu sie gar nicht verpflichtet wären“, so Rieder. Die handelnden Politiker aus der Region seien von der Notwendigkeit dieser Hilfen überzeugt – auch weil „die Finanzierung über EU-, Bundes- und Landesmittel bei weitem nicht ausreicht.“ So kommen zum Fachkräftemangel in Psychologie und Sozialpädagogik auch noch fehlende Finanzen von den großen Lautsprechern der Politik.

Wie die Integration und Betreuung von Flüchtlingen zumindest auf Gemeindeebene trotzdem vernünftig funktionieren kann, zeigt das Beispiel Grassau. Hier verfügen sowohl der Verein Integer als auch die Diakonie – die im Landkreis Traunstein außerdem noch an den Standorten Traunstein, Traunreut, Chieming, Inzell, Trostberg und Marquartstein präsent ist – über Räume für die Betreuung von Asylsuchenden. Zudem würden laut Lecke-Lopatta im Landkreis Traunstein die Flüchtlinge „vernünftig auf die Gemeinden verteilt“. Ganz im Gegensatz zum Beispiel Rott, wo derzeit ein Streit über eine riesige Flüchtlings-Unterkunft und die Überforderung der lokalen Bevölkerung tobt.

„Therapeuten kann man sich nicht schnitzen“

„Wir brauchen das bürgerschaftliche Engagement und die Patenschaften zurück, die wir am Anfang des Flüchtlings-Zustroms hatten. Therapeuten kann man sich nicht schnitzen, wohl aber Beobachter aus der Bevölkerung“, sagt Lecke-Lopatta. Zudem sei es wichtig, dass die Landkreise der Region wie Rosenheim oder Traunstein mehr Räume und Finanzmittel für die lokale Betreuung von Asylsuchenden locker machen. „Jeder Flüchtling muss einen einzigen Fallmanager haben, der für seinen Fall zuständig ist. Dann werden auch mögliche Probleme schneller erkannt“, glaubt der Integer-Chef.

Sein Verein sucht gerade in einer Kampagne nach jungen Leuten mit Social-Media-Knowhow: „Wir wollen über die Handy- und Insta-Kanäle besser an vereinsamte Menschen herankommen.“ Nur mit einem Bündel an konkreten Maßnahmen nahe an den potenziellen Problemfällen könne man auch das „Sicherheitsempfinden unserer Bevölkerung“ verbessern. Lecke-Lopatta: „Nur auf die Grenzpolizei zu hoffen, ist nicht die Lösung.“ Ob diese Botschaft wohl bei der großen Politik ankommt?

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