Forstarbeiten in Traunstein werfen Fragen auf
Verstoß gegen Waldrecht? Baumfällung nördlich der Berufsschule III in Traunstein
Der Traunsteiner Stadtwald sorgt immer wieder für Diskussion. Die Angst, dass immer mehr Bäume verschwinden, rührt nicht von ungefähr: Erst die Rodung im Törring Wald in der Gemeinde Nußdorf für den Abbau von Kies, dann die geplante Erweiterung des Industriestandortes Nord durch den Haidforst und vor zwei Jahren die Absicht, die Berufsschule III auszubauen und dafür den dort angrenzenden Wald zu dezimieren Ein Leser von chiemgau24 hat sich nun bei uns gemeldet und vermutet hinter den kürzlich beobachteten Baumfällungen im Wald hinter der Berufsschule III nichts Gutes: Was steckt dahinter?
Traunstein – Wenn man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht – so oder so ähnlich erging es wohl einem unserer Leser. Bei einem Besuch des Waldstückes nördlich der Traunsteiner Berufsschule III sah er vor allem zahlreiche gefällte Bäume: „Sie hat hier nun so viele Bäume schlagen lassen, dass eine fachgerechte Bewirtschaftung nicht mehr vorliegt. Die restlichen Bäume werden beim nächsten Sturm fallen.“ Mit „Sie“ meint er die Stadt Traunstein, Eigentümerin des Gebietes. Er vermutet einen Verstoß gegen das Waldgesetz. Außerdem befürchtet er, dass die Forstarbeiten vielleicht doch mit der einst geplanten Erweiterung der Berufsschule zu tun haben könnten.
Trotz erfolgreicher Proteste: Die Angst vor Rodungen im Stadtwald hält an
Im Juli 2021 beschloss die Stadt Traunstein, eine Fläche von circa 2500 Quadratmetern an den Landkreis zu verkaufen. Auf dem Grundstück sollten unter anderem 40 neue Parkplätze für Schüler und Lehrer entstehen. Das Vorhaben scheiterte an den Protesten der Traunsteiner Bürger, unter anderem der Initiative „Wir für den Wald“. Auch der Ausbau des Industriegebietes Nord durch den Kotzinger Wald wurde von Umweltschützern gekippt. Teile des Kotzinger Waldes wurden wiederum schon zur Industriefläche umgewandelt. Die Befürchtung, dass der Parkplatzbau an der Schnepfenluckstraße bei der Berufschule III doch noch verwirklicht wird, steht weiter im Raum. Forstarbeiten Ende Februar in genau diesem, an die Schule angrenzendem Gebiet ließen die Sorge erneut aufflammen.
Stadt weist Vorwürfe zurück
Verantwortlich für die dortigen Fällungen ist die Stadt Traunstein, betreut durch den Stadtförster Tobias Steiner. Dieser stand chiemgau24 leider nicht zu einem persönlichem Interview bereit. Antworten darauf, was hinter der Forstaktion steckt, bekamen wir nach einigen Tagen schriftlich von der Pressesprecherin der Stadt Traunstein, Agnes Giesbrecht: „Die Stadt Traunstein weist die Unterstellungen in Ihrer Anfrage entschieden zurück“, heißt es zu Beginn der schriftlichen Stellungnahme. Es handle sich weder um eine Rodung, noch um exzessiven Baumschlag, das seinen falsche Tatsachen.
Rodungen sind erlaubnispflichtig
Ein Gespräch mit dem Bereichsleiter Forsten vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Wolfgang Madl, brachte, was die richtigen Fachtermini betrifft Klarheit: „Es wir das Wort Rodung oft falsch verwendet beziehungsweise verwechselt. Eine Rodung ist nach dem Waldgesetz eine Maßnahme, wo Wald weg kommt und eine Nutzungsänderung passiert, damit an dieser Stelle dann künftig ein Haus, Gewerbegebiet oder Straße gebaut werden kann.“ Solche Rodungsmaßnahmen seien, so Madl, laut Waldgesetz erlaubnispflichtig. Selbst wenn, was im Wald an der Schnepfenluckstraße nicht der Fall ist, ein sogenannter Kahlschlag stattgefunden hätte, würde das nicht unweigerlich bedeuten, dass es sich um eine Rodung handelt. Das Gebiet bliebe auch ganz ohne Bäume zunächst als Wald klassifiziert. Das bedeutet im konkreten Fall, dass die Fällungen der Bäume in dem Bereich nicht unweigerlich eine Rodung und somit Nutzungsänderung nach sich ziehen müssen.
Die forstwirtschaftliche Perspektive
Bei einem Besuch des Waldgebietes von chiemgau24.de konnten wir uns selbst ein Bild der Baumfällungen machen. Für den Laien sieht es so aus, als wären sehr viele, auch vor allem ältere Bäume entnommen worden. Warum generell gerade ältere Bäume gefällt werden, erklärt Madl so: „Auf der Seite ist es ja auch natürlich auf forstwirtschaftlicher Seite, dass man auch Bäume erntet. Ob die erntereif sind oder nicht kann man ja ganz grob, wenn man sich die Stöcke ansieht, erkennen. Die so sind, wie man sich eben einen ausgewachsenen Baumstamm vorstellt, sind erntereif. Das ist Forstwirtschaft, auch wenn das nicht jedem so gefällt.“
Keine Erntemaßnahme im Wald nördlich der Berufsschule
Bei den Baumfällungen nördlich der Berufsschule, so geht es aus der Stellungnahme der Stadt hervor, handele es sich aber nicht um eine Erntemaßnahme: „Grundsätzlich geht es bei dieser Maßnahme darum, die Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Die Stadt muss Sorge tragen, dass alle kranken, beschädigten und möglicherweise gefährlichen Bäume entnommen werden, damit kein Mensch zu Schaden kommt: sowohl die Nutzer des Waldes als auch die Anwohner.“
Der sogenannte Einschlag, also die Fällung von Bäumen, zieht sich allerdings auch in Bereiche des Waldstreifens, die weder an die Schule, den Weg noch an den Parkplatz angrenzen: „An einigen der Stöcke (Baumstümpfen) kann man sehen, dass die betreffenden Bäume geschädigt waren und entfernt werden mussten“ erklärt Anges Giesbrecht in der Stellungnahme. Außerdem ging es bei der Aktion auch um die Förderung bestimmter Baumarten so die Stadt weiter: „Neben dem Fällen beschädigter Bäume wurden auch besonders wertvolle Exemplare freigestellt, vor allem Eichen. Das dringend benötige Licht zum Wachsen erhalten sie nun.“
Eichen: Bäume der Zukunft?
Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (Klemmt et al, 2018):
Unsere heimischen Eichenarten »Traubeneiche« und »Stieleiche« wachsen in ihrer Bedeutung für einen klimagerechten Waldumbau. Es wird mit einer deutlichen Zunahme der Fläche der zukünftigen potenziell natürlichen Waldgesellschaften, in denen diese Arten als Hauptbaumarten vorkommen, in Bayern gerechnet. Auch außerhalb dieser Bereiche kommt den Eichen im Klimawandel zunehmend eine wichtigere Rolle zu, da mit der Zunahme standörtlicher Extreme (Wechselfeuchtigkeit, Wechseltrockenheit) im Klimawandel gerechnet werden muss, denen die heimischen Eichen in Mischung mit geeignete Baumarten aufgrund ihrer ökologischen Arteigenschaften begegnen können.
Großflächige Verjüngungsverfahren vermeiden?
Der Bund für Naturschutz hat ein 12-Punkte-Papier entwickelt, wie sowohl Privat- als auch Kommunal- und Stadtwald nachhaltig genutzt werden kann. Darin heißt es unter anderem: „Zur Förderung des Waldinnenklimas muss das Kronendach weitgehend geschlossen bleiben. Großflächige Verjüngungsverfahren und zu große Auflichtungen sind zu unterlassen. Auch in Wirtschaftswäldern müssen Elemente aller Waldentwicklungsphasen vorhanden sein.“ Es ist gängige Praxis, dass Wälder durchforstet werden. Das bedeutet, dass waldbauliche Pflegemaßnahmen stattfinden, bei denen Bäume entnommen werden. Ziel ist oft, neben den wirtschaftlichen Interessen, dem jungen Nachwuchs mehr Licht und Raum zu verschaffen – also eine Verjüngung des Waldes: „Darum geht es auch, dass da junge Bäume nachkommen, wenn da nicht von allein junge Bäume nachkommen, muss man welche pflanzen und sicherstellen, dass auf dieser Fläche auch weiterhin Wald bleibt, auch wenn er dann im Moment nicht mehr so aussieht wie der alte Waldbestand.“ Eichen zum Beispiel, erklärt uns Wolfgang Madl, bräuchten circa 300 Jahre um zu einem sogenannten erntereifen Baum heranzuwachsen.
Wald instabiler kurz nach Durchforstung
Ob aus Verkehrssicherheitsgründen, Krankheiten des Altbestandes oder Verjüngungsmaßnahmen – es wurden relativ viele Bäume oberhalb der Berufsschule entnommen. Die Befürchtung, die unser Leser in seiner seiner Mitteilung äußert, dass die verbliebenen Bäume jetzt schnell Opfer von Sturmereignissen werden könnten, liegt auf der Hand: Und auch Madl benennt dieses Risiko: „Sie haben Recht mit der physikalischen Betrachtung. Ganz klar, unmittelbar nach einer solchen Durchforstung, auch wenn es zum Ziel hat, den Wald stabiler werden zu lassen, ist der Wald kurzfristig destabilisiert. Und die Bäume, die dann noch übrig sind, brauchen natürlich Zeit, bis sie dicker und stabiler werden.“
Durchforstungsgrundsatz: Früh, mäßig und oft
Alle fünf bis zehn Jahre findet laut Madl eine solche Durchforstung statt. Wäre es denn nicht aus Perspektive der Ökologie und der Naturgefahr sinnvoller, diese Maßnahmen öfter durchzuführen und jeweils weniger Bäume zu fällen?: „Der Durchforstungsgrundsatz heißt: Früh, mäßig und oft in die Bestände zu gehen. Es ist irgendwann auch eine betriebswirtschaftliche Frage. Natürlich wäre es gut, wenn ich jedes Jahr reingehe und fünf Bäume nehme und nicht alle zehn Jahre dann 50 Bäume.“
Baumfällungen waren „reine Vorsichtsmaßnahme“
Die Stadt Traunstein macht in ihrer Stellungnahme mit Nachdruck deutlich, dass die Forstarbeiten sowohl ordnungsgemäß als auch sachkundig vorgenommen worden seien „Die Bäume wurden einzeln entnommen und nicht flächig. Die Maßnahme ist alles andere als unsachgemäß durchgeführt worden. Ausgewiesene Fachleute haben konsequent akute und künftige Gefahren beseitigt. Zudem handelt es sich um keine „Ernte“: Die Bäume waren überwiegend nach forstlichen Verständnis nicht erntereif. Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme, um zu verhindern, dass Menschen verletzt werden. Zudem wurden seltene Arten gepflegt und Lichtbaumarten freigestellt.“
„Wir für den Wald“ war vom Stadtförster zur Begehung geladen
Außerdem hätte man bei der Aktion extra Totholz im Wald liegen gelassen: „Dieses wertvolle Holz wird auf der Fläche liegen gelassen, um hunderten von Tieren neuen Lebensraum zu bieten. Weiters werden geschädigte Bäume durch Baumkletterer von Gefahrenholz gesäubert, anstatt diese einfach zu fällen.“ Auch die Initiative „Wir für den Wald“ wurde bei den Forstarbeiten eingebunden und konnte zusammen mit dem Stadtförster Tobias Steiner vor Ort erfahren, warum die Bäume gefällt wurden. Dies bestätigte Claudia Lahr, Sprecherin der Initiative auch gegenüber chiemgau24.de.
„Ganz schadenfrei geht es nicht“
„Natürlich, ganz schadfrei geht es auch nicht. Im Auge eines normalen Bürgers, der sich dann daran stört, die Staatsforsten können da ein Lied von singen, da sind oft Pressearbeiten nötig, um zu erklären, warum das jetzt so ausschaut“, berichtet uns Wolfgang Madl vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. „Aber in den meisten Fällen“, so Madl weiter „ist das so, dass nach ein paar Wochen und Monaten dann wieder Gras drüber wächst.“ Ob auch über die Aufregung um die Forstarbeiten bei der Berufsschule bald wieder Gras wächst, wird sich zeigen.
„