Windkümmerer steht Seeon-Seebruckern Rede und Antwort
„Wünsche euch nicht, dass es so kommt wie im Altöttinger Forst“
Von einer möglichen „Goldgräberstimmung“ in Seeon-Seebruck ist die Rede. Denn nach den jüngsten Gesetzesänderungen ist klar: Strom wird in Bayern künftig mit Windkraftanlagen produziert. Wie und wo, darüber informierte Windkümmerer Peter Beermann.
Seeon-Seebruck - Gut gefüllt war der Saal des „Alten Wirts“ in Seeon bei der Informationsveranstaltung zur Windenergie. Die Gemeinde könne durch Photovoltaik-Anlagen bereits über 150 Prozent Energieautarkheit nachweisen, betonte Bürgermeister Martin Bartlweber am frühen Dienstagabend (27. Juni).
Doch: PV-Anlagen liefern nur tagsüber Strom, nachts seien Windkraftanlagen unschlagbar. Und der Bund stellt die Kommunen vor neue Herausforderungen: Bis spätestens 2032 muss Bayern auf einer Fläche von 1,8 Prozent erneuerbare Energiegewinnung in Form von Windkraftanlagen nachweisen.
„Frage ist, wer baut“
„Die Frage ist also nicht, ob Windräder gebaut werden, sondern wer baut“, unterstrich Bartlweber den Ernst der Lage. „Wir wollen nicht ins Hintertreffen gelangen und fremde Investoren in unser Land lassen - wenn wir schon gezwungen werden, wollen wir die Sache gemeinsam mit den Bürgern in die Hand nehmen.“
Auch Seeon-Seebruck - im Regionalplan unter der Region 18 zu finden - wurde 0,7 Prozent Fläche in den Vorrangs- und Vorbehaltsgebieten für mögliche Windrad-Standorte zugewiesen. Kriterien wie Wetterdaten und Winduntersuchungen, üblicherweise mit einem Laser auf eine Höhe von 300 Metern, spielen bei der Auswahl eine Rolle. Die Daten für die jeweiligen Regionen sind im Energieatlas Bayern hinterlegt.
Genaue Planungen? Fehlanzeige. Man wisse laut dem Bürgermeister schlicht und einfach noch zu wenig über mögliche Windprojekte in der Region um Seeon-Seebruck. Die Vorlaufzeit wolle die Gemeinde aber nutzen, um mit dem Hintergrundwissen des Windkümmerers der Regierung von Oberbayern, Peter Beermann, die Bürger im Vorfeld zu informieren.
Wichtig: Menschen vor Ort in Windradprojekte einbeziehen
Beermann ist seit mehr als 25 Jahren im Bereich Windenergie in Bayern tätig. Die Eigenversorgung ist für ihn ein wichtiger Stichpunkt. In seinen Augen könnten Windenergieprojekte nämlich nur erfolgreich sein, wenn die Kommunen samt Bürgern vor Ort eingebunden und am kommerziellen Erfolg beteiligt werden.
„Ich wünsche euch nicht, dass es so kommt wie im Altöttinger Forst. Schade, dass ein französischer Investor den Zuschlag bekommen hat. Natürlich kann man jetzt sagen, lieber ein Franzose als ein Chinese. Aber es wäre schon schön, wenn man da künftig nachjustiert“, untermauerte Beermann und plädierte dafür, die Bürger fest einzubinden.
„Wenn wir es steuern können, ist die Kirsche auf der Sahne, die Menschen vor Ort einzubeziehen. Wichtig ist, dass das Projekt - sei es ein Windrad oder ein kleiner Park - in eurer Hand bleibt und ihr es ‚unser‘ nennen könnt.“ Die Windenergie werde eher im ländlichen Raum realisiert werden - dies könne man Beermann zufolge als „Chance“ sehen, denn: „Kommen werden sie.“
Fragen und Antworten des Infoabends im Überblick:
Wie viel kostet eine Windkraftanlage?
Die Investitionskosten für eine große Anlage liegen ohne Nebenkosten bei rund 7,5 Millionen Euro. Inklusive der Gutachten beläuft sich das auf eine Endsumme von acht bis neun Millionen Euro. Die Kosten für die Vor-Projektierung beispielsweise bei Kleinparks von einem bis drei Rädern bewegen sich Beermann zufolge zwischen 500.000 und 800.000 Euro.
Wie haben sich Windräder im Laufe der Jahre verändert?
Moderne Windkraftanlagen - im Beispiel eine aus dem Jahr 2021 - haben eine Höhe von etwa 163 Metern, eine Leistung von 6000 kW und werfen 15 Millionen kWh Ertrag pro Jahr ab. Im Jahr 1995 seien sie gerade einmal 60 Meter hoch gewesen, besaßen eine Leistung von 500 kW und warfen einen Ertrag von 0,5 Millionen kWh ab.
Wie sieht es mit der Infrastruktur hierzulande aus?
Einspeisung und Netzausbau seien ein „riesen Thema“: Die Infrastruktur sei „nicht gut“, Netzausbauer arbeiten an einer Lösung, damit es im Fall einer Realisierung in etwa fünf Jahren laufe. Unter Umständen müsse ein Umspannwerk gebaut werden oder auf andere Umspannbereiche ausgewichen werden.
Wie profitieren die Bürger?
Planungssicherheit liegt vor, wenn sie sich bei der Bundesnetzagentur anmelden und einen Preis aushandeln - aktuell liegt er bei 7,35 c pro kWh für Windstrom.“
Wie viel Fläche muss für ein Windrad weichen?
3000 Quadramter versiegelte dauerhafte Fläche benötigt ein Windrad. Die Windräder seien in punkto Flächenverbrauch mit 0,3 Hektar im Vergleich zu PV-Anlagen „Spitzenreiter“, allerdings lasse sich ihre Höhe beispielsweise auch im Wald nicht verstecken, räumt Beermann ein.
Müssen die Anrainer Bedenken in punkto Schall- und Infraschall haben?
Windkraftanlagen werden dem Windkümmerer zufolge nur errichtet, wenn sie die gesetzlichen Schallgrenzwerte und Emissionsschutzgesetze einhält. Die kritische Stufe sei nachts und es man unterscheide zwischen einem Industriegebiet mit 70 dB(A) und einem Wohngebiet mit 40 dB(A). Beermann zufolge sei Schall „immer subjektiv, nicht jeder hört gleich gut und nimmt Geräusche anders wahr“. Niederfrequenter Infraschall komme überall vor. Es gebe aber „keinen belegbaren Zusammenhang zwischen emittierten Infraschall von Windkraftanlagen und gesundheitlichen Auswirkungen auf Menschen“. Ein Beispiel: Das „Wabern“ bei offenem Fenster auf Autobahnen sei auf Dauer eher gesundheitsschädlich.
Was ist mit Schattenwurf?
Der bewegte Schattenwurf müsse gesetzliche Vorgaben und Grenzwerte einhalten, andernfalls gebe es keine Genehmigung für den Bau einer Windkraftanlage. Ausschlaggebend seien die Maximalwerte von 30 Minuten pro Tag und in Summe von 30 Stunden pro Jahr. Der Schatten könne nur soweit gehen wie es die Höhe der Anlage zulasse.
Wie sieht es aus mit Belangen des Umwelt- und Naturschutzes?
Windkraftanlagen werden nur genehmigt, wenn artenschutzrechtliche Belange berücksichtigt werden, nachdem Fachgutachter Fauna und Flora eingehend untersucht haben. Windräder seien heutzutage grundsätzlich mit „Batcordern“ zum Schutz der Fledermäuse sowie Abschaltalgorithmen und intelligenten Kamerasystemen versehen, um auch Tötungsrisiken von Großvögeln zu verhindern. Wenn beispielsweise nur ein Rotmilan gefährdet ist, sei das ein K.O. Kriterium für das Projekt. Fakt sei Beermann zufolge: Vögel kommen in Straßen- und Bahnverkehr oder durch Fensterscheiben öfter ums Leben als bei Kollisionen mit Windrädern.
Wie hoch ist der Wartungsaufwand?
Im Normalfall schließe man einen Vollwartungsvertrag mit dem Hersteller ab, der für 98 Prozent der Zeit garantiere, dass die Anlage technisch verfügbar sei und laufe. Sollte eine Anlage mehr als zwei Prozent ausfallen, müsse dies vergütet werden. Zusätzlich sei man mit einer Vollwartungsausfallversicherung doppelt und dreifach abgesichert. Der Vertrag sei mit Kosten verbunden, die nach Hersteller und Vertrag variieren.
Wie funktioniert der Rückbau eines Windrads?
Rückbauten seien gesetzlich geregelt nach Paragraph 35, Absatz 5 Baugesetzbuch. Vor Baubeginn müsse eine Sicherheitsleistung hinterlegt werden. Das Recycling sei heutzutage fast komplett möglich, wertvolle Baustoffe wie Metall, Kupfer oder Glasfaserverbundstoffe in den Flügeln würden teilweise thermisch verwertet. Hierzluande sei es auch üblich, in die Jahre gekommene Windräder zur Weiterverwendung ins Ausland zu verkaufen.
mb