Kritik an Mückenbekämpfung
Mücken-Hotspot Chiemsee: Kommt durch den anhaltenden Regen eine zweite Blutsauger-Welle?
Dieses Jahr ist extrem: Das Hochwasser im Juni hat die Wiesen geflutet und Mücken in Massen schlüpfen lassen. Welche Auswirkungen hat nun das anhaltend feuchte Wetter auf die Mücken-Population?
Chiemsee – Grund zum Jammern gibt es immer. Aber die Chiemgauer haben dieses Jahr einen triftigen, der sich nicht abschütteln lässt: die Überschwemmungsmücke. Zwar gibt es Mücken jedes Jahr und wer in einem Naturraum lebt, kennt auch dessen Bewohner, aber: Dieses Jahr sind es besonders viele einer Sorte. Und das hat mehrere Gründe.
Wenn der Chiemsee uferlos wird und durch die Wassermassen die angrenzenden Wiesen flutet, reagieren die Mückeneier, die im Boden warten. In kurzer Zeit wird das Ei zur Larve und die zur Mücke. Etwa 50 Prozent sind Weibchen und diese brauchen nach der Paarung Blut für ihre Eier. Die kleinen weiblichen Überschwemmungsmücken genießen den Ruf, besonders aggressiv bei ihrer Blutjagd zu sein. Ganz zum Leidwesen der Auenländer.
700 Hektar Mückenbrutland
Durch das Hochwasser wurde dieses Jahr die größte Fläche seit mindestens zehn Jahren überflutet. Ganz zur Freude der Überschwemmungsmücke. „In den letzten zehn Jahren ist am Chiemsee die Überschwemmungsmücke zweimal bekämpft worden“, sagt Quirin Schwaiger, Geschäftsführer des Abwasser- und Umweltverbands (AUV) Chiemsee. Die zu bekämpfende Fläche habe 2015 bei knapp 200 Hektar und 2020 bei knapp 450 Hektar gelegen. „Die Schätzung für dieses Jahr lag bei knapp 700 Hektar“, führt Schwaiger aus.
Dieses Jahr waren die Voraussetzungen der Umweltbehörden erfüllt, um die Überschwemmungsmücke am Chiemsee mit dem Bti-Wirkstoff zu bekämpfen. Das deutschlandweite Hochwasser führte allerdings zu Engpässen, weshalb nicht ausreichend Wirkstoff für eine effektive Bekämpfung zur Verfügung stand. Jetzt wird Kritik am AUV Chiemsee laut, der federführend für die Stechmückenbekämpfung ist.
Ist der AUV Chiemsee der Aufgabe gewachsen?
In der jüngsten Sitzung des Kreisausschusses Traunstein (2. Juli) forderte Josef Konhäuser, Stellvertreter des Landrats Siegfried Walch, eine vorausschauende Planung vonseiten des AUV Chiemsee. Zusätzlich warf er die Frage in den Raum, ob der AUV Chiemsee noch der richtige Ansprechpartner für die Mückenbekämpfung sei.
„In den letzten zehn Jahren war es nur in zwei Fällen tatsächlich gegeben, dass wir bekämpfen konnten“, sagt Quirin Schwaiger. „Zum einen wissen wir nicht, in welchem Jahreszyklus wir den Wirkstoff brauchen, zum anderen wissen wir nicht, für welche Flächenanzahl“, führt Schwaiger aus. Auflagen und Umweltfaktoren würden demnach eine langfristige Planbarkeit erschweren.
Kritik an der Firma, die die Mückenbekämpfung im Auftrag des AUV Chiemsee durchführt, sieht Schwaiger als unangebracht. Es gebe eine „hervorragende“ Zusammenarbeit seit über zwei Jahrzehnten und „die ganze Thematik der Stechmückenbekämpfung am Chiemsee ist durch diese Firma gewachsen“, meint Schwaiger.
Kritik von Naturschützern - Gelder anders nutzen
Beate Rutkowski, Vorsitzende des Bund Naturschutz der Kreisgruppe Traunstein, sieht den Bti-Einsatz als „Eingriff in die Insektenvielfalt.“ Sie sieht eine Lösung in einer lokalen Bekämpfung, etwa durch CO₂-Fallen. Großflächig würde es nach Rutkowski somit zu keiner Naturbelastung durch Bti kommen. Die frei werdenden Gelder der Bti-Bekämpfung würde sie „lieber in kleinere Maßnahmen investieren“. Quirin Schwaiger nennt als Kosten für den Bti-Einsatz, je nach Flächengröße, eine Summe im mittleren sechsstelligen Bereich.
Der jetzige Wechsel zwischen Sonne und Regen würde zu tropischen Bedingungen führen, die nicht nur die Überschwemmungsmücke liebt. „Wir haben in Bayern 50 verschiedene Mückenarten“, sagt Schwaiger, „das heißt, es ist gerade jede Mücke im siebten Himmel“. Das feuchte Wetter dieses Jahr hat allerdings auch einen entscheidenden Vorteil: Die Wiesen bleiben nass.
Dieser Juni war besonders nass
„Im vieljährigen Mittel fallen im Juni zwischen etwa 130 und 200 Liter pro Quadratmeter“, sagt Guido Kugelmann vom Deutschen Wetterdienst. Er bezieht sich dabei auf Daten von drei Wetterstationen im Chiemgau, die der Chiemgau-Zeitung vorliegen. „Im Juni 2024 fielen Niederschlagssummen zwischen rund 190 und 300 Litern pro Quadratmeter“, führt Kugelmann aus. Auch nach den ersten drei Junitagen, die vom Hochwasserregen geprägt waren, verzeichnen die Stationen im Monatsverlauf wenige Tage ohne Niederschlag und Spitzen, die die Hochwasserregenfälle überschreiten. Ist durch den vielen Niederschlag jetzt eine zweite Mücken-Welle zu erwarten?
Kommt eine zweite Generation?
„Gerade nicht“, sagt der Mücken-Experte Dirk Reichle. „Die lange Überflutung und feuchten Böden sind insofern positiv, dass es zu keiner erneuten Entwicklung einer nächsten Generation kommt.“ Als Voraussetzung einer neuen Population müssten die Wiesen zuerst wieder komplett austrocknen. Anschließend müssten die entsprechenden Bereiche erneut geflutet werden, um bei den Eiern der Überschwemmungsmücke einen Schlupfreiz zu erzeugen.


