Bitte deaktivieren Sie Ihren Ad-Blocker

Für die Finanzierung unseres journalistischen Angebots sind wir auf die Anzeigen unserer Werbepartner angewiesen.

Klicken Sie oben rechts in Ihren Browser auf den Button Ihres Ad-Blockers und deaktivieren Sie die Werbeblockierung für . Danach können Sie gratis weiterlesen.

Lesen Sie wie gewohnt mit aktiviertem Ad-Blocker auf
  • Jetzt für nur 0,99€ im ersten Monat testen
  • Unbegrenzter Zugang zu allen Berichten und Exklusiv-Artikeln
  • Lesen Sie nahezu werbefrei mit aktiviertem Ad-Blocker
  • Jederzeit kündbar

Sie haben das Produkt bereits gekauft und sehen dieses Banner trotzdem? Bitte aktualisieren Sie die Seite oder loggen sich aus und wieder ein.

Paradies für die Blutsauger

„Es sind Milliarden, die da jetzt schlüpfen“ – Chiemsee erwartet Mückenplage

Hubschrauber beim Verteilen von Bti und eine Stechmücke
+
Am Chiemsee kann zweimal jährlich gegen die Stechmücken vorgegangen werden. Warum es dieses Frühjahr Probleme gibt.

Am Chiemsee wird es biblisch: Auf den Hagel folgen zwar nicht die Heuschrecken, aber auf den Regen die Mücken – milliardenfach. Wann die Plage beginnt und weshalb nicht dagegen vorgegangen wird.

Chiemsee – Das Hochwasser ist vorerst gebannt. Der Chiemgau kam im Vergleich zu anderen Regionen noch recht glimpflich davon – aber das Glück für die Region hält nicht an. Mücken finden paradiesische Bedingungen vor: feuchte, warme Überschwemmungsgebiete zum Schlüpfen.

Keine Bekämpfung am Chiemsee

Der Abwasser- und Umweltverband (AUV) Chiemsee ist federführend für die Stechmückenbekämpfung am Chiemsee und geht seit mehr als zwei Jahrzehnten gegen die Plagegeister vor. Die Rahmenbedingungen zur Bekämpfung sind laut eigenen Angaben durch die Regierung von Oberbayern klar geregelt und mit entsprechenden Auflagen versehen. Diese Voraussetzungen wurden in den letzten drei Jahren nicht erfüllt. Dieses Jahr schon – trotzdem erfolgt keine Bekämpfung.

In Deutschland kommt eine Vielzahl von Stechmückenarten vor. Der Chiemsee ist besonders von der sogenannten Überschwemmungsmücke betroffen. Ihre Eier warten in Senken, auf den Wiesen der Überschwemmungsgebiete rund um das bayerische Meer. „Wenn Wasser über die Eier fließt und das Fließen sozusagen zum Stillstand kommt, dass die Senken abgeschlossene Wasserflächen darstellen, dann wirkt es als Schlupfreiz“, sagt der Biologe Dirk Reichle, „und dann schlüpfen die Larven in Massen synchron.“

Die Organisation der Bekämpfung kann erst begonnen werden, wenn der Pegelstand des Chiemsees am Alz-Auslauf bei Seebruck über 116 cm steigt. Dieser Stand wurde in den Morgenstunden am Montag (03. Juni) erreicht. „Nach Rücksprache mit der Verbandsspitze wurde umgehend Kontakt mit der zuständigen Firma aufgenommen, welche das Monitoring und die Bekämpfung der Stechmücken durchführen“, heißt es vonseiten des AUV Chiemsee. Die zuständige Firma ist ICYBAC, eine Unternehmenstochter der KABS (Kommunale Aktionsgemeinschaft zur biologischen Stechmückenbekämpfung).

Der Bti-Wirkstoff wird mit dem Hubschrauber großflächig verteilt.

Larvizid führt zum Tod

ICYBAC führt seit Jahren die Bekämpfung der Überschwemmungsmücke in enger Zusammenarbeit mit dem AUV Chiemsee durch. Dazu wird in den betroffenen Regionen das kristalline Eiweiß des in der Natur vorkommenden Bakteriums Bti (Bacillus thuringiensis israelensis) mit einem Helikopter ausgebracht. „Bti ist ein Larvizid, also es wirkt nur gegen die Larven“, sagt Dirk Reichle, wissenschaftlicher Direktor von KABS. Das Protein des Bti-Wirkstoffs werde überwiegend in den ersten Larvenstadien der Mücke aufgenommen, erklärt der Biologe, und führe zu deren Tod.

Kontroverse um den Wirkstoff

Der Einsatz des Wirkstoffs wird kontrovers diskutiert. „Bti ist ein weltweit vorkommendes Bodenbakterium“, führt Reichle aus. „Es ist also nichts, was chemisch oder genetisch verändert wurde, sondern schlichtweg ein natürlicher Feind von Mückenlarven, was auch für das Protein gilt.“

Beate Rutkowski , 1. Vorsitzende BUND Naturschutz Kreisgruppe Traunstein, und Dirk Reichle, wissenschaftlicher Direktor von KABS, vertreten bezüglich des Einsatzes des Bti-Eiweises verschiedene Positionen.

Beate Rutkowski, erste Vorsitzende des BUND Naturschutz der Kreisgruppe Traunstein, ist gegen den Einsatz von Bti-Protein: „Es ist ein Insektizid, klar auf biologischer Basis, aber es ist eben trotzdem ein Eingriff in die Insektenvielfalt, in den Haushalt der Insekten.“ Es werde hoch konzentriert ausgebracht und sei daher nicht vergleichbar mit dem natürlichen Vorkommen.

„Es ist ein schmaler Grat, auf dem wir uns bewegen“, sagte Quirin Schwaiger, Geschäftsführer des AUV Chiemsee, bereits im März gegenüber der Chiemgau-Zeitung. Dem Naturschutz stehe die Belastung von Tourismus und der Bevölkerung entgegen. Der Wirkstoff werde gezielt auf den betroffenen Gebieten rund um den See ausgebracht und Sperrzonen ausgelassen.

Im Juni ohne Bti

Diesen Juni wird es, unabhängig von der Kontroverse, keine Bekämpfung geben. „Wir haben am Montag früh (3. Juni), also hier bei ICYBAC, uns zwischen sieben und acht zusammengesetzt und haben die Lage analysiert“, sagt der Biologe Dirk Reichle. Dabei seien die möglichen Personalkapazitäten ermittelt worden, wie groß die Reserven des Wirkstoffs im Kühlhaus sind und ob beide Faktoren den aktuellen Bedarf am Chiemsee decken könnten. „Wir kamen leider zu dem ernüchternden Ergebnis, dass wir diese Kapazitäten aktuell aufgrund der Gesamtwetterlage nicht aufbringen können“, teilt Reichle mit.

Der Ausnahmezustand aufgrund der Regenfälle im Rheingebiet seit vergangener Woche stellt die Ursache für den Mangel dar. „Wir haben sozusagen unser Kühlhaus in den letzten acht Tagen leer geflogen. Es waren über 3.600 Hektar allein am Oberrhein“, führt der Biologe aus. Der Zeitraum, in dem das Eiweißgranulat effektiv eingesetzt werden kann, steckt sich je nach Wetterlage zwischen fünf und sieben Tagen. Laut dem Biologen nicht genug Zeit, um genügend Material nachzuproduzieren.

„Es sind Milliarden, die da jetzt schlüpfen“

Zwischen Mitte und Ende nächster Woche dürften laut Reichle die Mücken in der Luft sein. „Es sind Milliarden, die da jetzt schlüpfen. Etwa 50 Prozent davon sind weibliche Tiere, die dann auch stechen, um Eier abzulegen. Das sind Dimensionen, die man nicht greifen kann.“ In etwa zwei Wochen sei die Entwicklung und die Paarung der geschlüpften Mücken abgeschlossen, woraufhin die Weibchen auf Blutsuche gehen.

Die gute Nachricht ist, dass die Überschwemmungsmücke nur eine kurze Lebenserwartung hat. Zwischen sechs und acht Wochen lebe nach Reichle das stechende Weibchen. Des Weiteren könne im Verlauf des Jahres der Wirkstoff erneut ausgebracht werden, wenn die Bedingungen erneut erfüllt werden. „Wenn der Pegel nochmal überschritten wird, stehen wir bereit“, sagt Quirin Schwaiger vom AUV Chiemsee. Solange es dann zu keinem bundesländerübergreifenden Ausnahmezustand kommt, sollte es auch zu keinen Engpässen kommen.

Keine Sorge beim Tourismusverband

Christina Pfaffinger vom Chiemsee-Alpenland Tourismus blickt der möglichen Mückenplage aus Sicht des Tourismus gelassener entgegen: „Wir haben natürlich in einem Naturraum immer das Thema, dass Tiere unterwegs sind.“ In den vergangenen Jahren habe es durch die Mücken keine merklichen Einbußen für den Tourismus gegeben. Lediglich nach dem Hochwasser 2013 sei es in den Besucherzahlen ein Thema gewesen. „Natürlich bedauern wir das, dass wir jetzt nicht mit dem Bti etwas bekämpfen können, aber es ist ja auch nicht der hundertprozentige Garant, dass man dann keine Mücken hat. Das muss man ja immer relativieren.“

Kommentare