Zivilcourage und Gewaltprävention
Aufarbeitung im „Mordfall Hanna“: Experte rät zu Kampfansage an sexualisierte Gewalt
Der gewaltsame Tod von Hanna W. (23†) ist nach wie vor in aller Munde, denn der laufende Prozess bringt aufwühlende Details hervor. Nicht nur für die Familien von Opfer und Täter ist das traumatisierend. Doch was könnte zur Aufarbeitung des Verbrechens beitragen? Und wie können Fälle wie der „Eiskeller-Mord“ künftig verhindert werden? Sozialpsychologe, Prof. Dr. Dieter Frey hat Vorschläge.
Aschau i. Chiemgau; Bayern - Sexuelle Gewalt gegen Frauen nimmt in Deutschland rasant zu: Allein im Jahr 2022 kam es zu einer Steigerung um 20 Prozent. So waren im Vergleich zum Vorjahr rund 2.000 mehr Sexualdelikte statistisch erfasst, als noch im Jahr 2021. Noch größer ist jedoch das Dunkelfeld im Bereich der Sexualstraftaten. Man geht davon aus, dass nur in einem (!) Prozent der Fälle eine Anzeige erfolgt. Laut dem Bundeskriminalamt lässt sich dies damit begründen, dass Opfer befürchten, zu wenig Beweise vorlegen zu können, oder die pychische Belastung als zu hoch empfinden.
Was Clubs und Discos tun könnten
Doch was kann gegen diese immense Zunahme von Sexualdelikten unternommen werden? Gerade der gewaltsame Tod der 23-jährigen Studentin Hanna W. im vermeintlich sicheren und familiären Aschau im Chiemgau, wirft die Frage nach Präventionsmaßnahmen auf. Der Sozialpsychologe Prof. Dr. Dieter Frey beschäftigt sich an der Ludwig-Maximilians-Universität unter anderem mit dem Thema Gewaltprävention. Seiner Meinung nach müssen Veranstalter, Clubs und Discos dringend mehr zum Thema machen. „Sie könnten darauf hinweisen, für welche Werte der Club steht – beispielsweise für respektvolles und wertschätzendes Verhalten im Umgang zwischen Mann und Frau“, so Frey.
Thematisierung durch Volksfest-Veranstalter
Aber auch Clubgäste könnten durch Veranstalter aufgefordert werden, einzuschreiten, wenn Taten beobachtet werden. „Allein die Diskussion über solche Taten und dass Zivilcourage zum Thema gemacht wird, kann zur Verhinderung von sexuellen Übergriffen beitragen“, so der Experte. In der Forschung habe man positive Wirkung durch eine Ausbildung in Zivilcourage mit Rollenspielen feststellen können. Aber nicht nur Clubs und Discos sind gefordert. „Auch auf Volksfesten sollte thematisiert werden, dass übergriffiges Verhalten uncool und unter jeglichem Niveau ist. Dass man sofort einschreitet und jegliche Art von aufdringlichem Verhalten zum Tabu erklärt“, so Frey.
Was Frauen und Freundeskreis tun können
Opfer selbst können aufgefordert werden, ganz klar „NEIN“ zu sagen. Wichtig sei außerdem, dass man bei jedem Fall sofort der Polizei meldet oder die Nummer 110 wählt. Auch der Freundeskreis und die Familie möglicher Opfer können etwas tun, um Taten zu verhindern. Ganz klar, sollten Frauen in gefährlichen Situationen nie alleine gelassen werden. Natürlich sollten dunkle Plätze in der Nacht gemieden werden, vor allem wenn sie die Bewegungsfreiheit einschränken. Mädchen und Frauen sollten sich möglichst immer begleiten lassen, und üben, ihre Grenzen klar aufzuzeigen. „Sollten Passanten unterwegs sein, kann es helfen, diese anzusprechen und um Hilfe zu bitten“, empfiehlt Prof. Dr. Frey.
Konfliktbeauftragte in Gemeinden einsetzen
Auch zur Aufarbeitung eines Vorfalls wie beispielsweise im „Mordfall Hanna“ kann ein Präventionsprogramm beitragen. Die Tote zu würdigen und Solidarität zu bekunden, sei wichtig, so Frey. „Der Vorfall kann aber auch als Ausgangspunkt dafür genutzt werden, dass man wertschätzend und fair miteinander umgeht und jegliche Art von Grenzverletzungen – auch im sexuellen Bereich – nicht duldet.“ Für die Betroffenen und deren Familien stehen Polizei, Feuerwehr und soziale Organisationen bereit, an die sie sich wenden könnten. Frey betont aber, dass in Gemeinden Konfliktbeauftragte fehlen, und dass hier noch viel mehr getan werden könne.
Schulen sollten Fallbeispiele besprechen
„Wir brauchen eigentlich in jeder Gemeinde, in jeder Organisation und in jedem Verein Anti-Diskriminierungsbeauftragte, die sowohl für Täter als auch für Opfer zur Verfügung stehen,“ plädiert der Sozialpsychologe. „Sicherlich müsste in jeder Schule und in jedem Sportverein diese Thematik durchgesprochen werden. Einerseits um zu sensibilisieren und andererseits um Zivilcourage zu zeigen. Wichtig wäre es auch, in den Schulen Fallbeispiele durchzusprechen. Hier könnte konkret veranschaulicht werden, wo und wie man intervenieren kann und muss.“
Als Präventionsangebot empfiehlt der Sozialpsychologe den Verein Zivilcourage e.V., bei dem er Schirmherr ist. Junge Männer, die Gefahr laufen, Übergriffe zu begehen, können sich an das Präventionsnetzwerk Kein Täter werden e.V. wenden.


