Industrie-Unternehmen betroffen
„Alarmzeichen und Weckruf“: Das sind die Gründe für die Kurzarbeit im Chiemgau
Es fehlt an Aufträgen, doch die Kosten bleiben trotzdem bestehen. Das bereitet den Unternehmen in der Industrie derzeit Probleme. Eine Maßnahme: Kurzarbeit. Auch im Chiemgau sind Unternehmen betroffen. So ist die aktuelle Lage und das sind die Ursachen.
Übersee/Siegsdorf/Chiemgau – Die Konjunktur schwächelt, die Stimmung in der bayerischen Wirtschaft bleibt angeschlagen. Darauf machte die IHK für München und Oberbayern bereits in ihrem Frühjahrsbericht aufmerksam. Und dieser Trend hat sich noch nicht umgekehrt. „Unsere aktuelle IHK-Konjunkturumfrage zeigt, dass der Druck am Arbeitsmarkt zunimmt, insbesondere in der Industrie. Dort will jedes vierte Unternehmen die Belegschaft verkleinern“, erklärt Dr. Jochen Wiegmann, Chefvolkswirt der IHK für München und Oberbayern. Eine Maßnahme: Kurzarbeit.
Heidenhain und BSH melden Kurzarbeit
Sind auch Industrie-Unternehmen im Chiemgau betroffen? Amag components in Übersee ist spezialisiert auf die Herstellung von Komponenten für die Flug- und Raumtechnik. Dort werde es aber in absehbarer Zukunft keine Kurzarbeit geben, teilt eine Sprecherin des Unternehmens mit.
Das gleiche gilt für Brückner Maschinenbau in Siegsdorf, Weltmarktführer im Bereich der Folien-Strecktechnologie, wie es auf der Homepage des Unternehmens heißt. Auch hier erklärt ein Sprecher, das Unternehmen blickt aufgrund eines hohen Auftragsbestandes zuversichtlich ins nächste Wirtschaftsjahr und darüber hinaus. „Kurzarbeit ist deshalb kein Thema.“
Anders sieht es jedoch bei zwei großen Firmen in Traunreut aus. Zum einen beim Unternehmen BSH Hausgeräte, in dem mehr als 3000 Mitarbeiter tätig sind. Hier zeigt das spürbar abgeschwächte Konsumklima in relevanten Märkten ihre Auswirkung, heißt es von Sprecherin Eva Bauerschmidt. „Unter anderem wegen der anhaltenden Inflation, den steigenden Zinsen und des daraus resultierenden Einbruchs des Immobilienmarkts, mussten wir die Absatzerwartungen für Herde und Kochfelder nach unten korrigieren.“ Das habe unmittelbare Auswirkungen auf die Produktionsplanung der Fabrik in Traunreut und erfordere eine vorübergehende Anpassung der Stückzahlen.
Daher hat die BSH Hausgeräte GmbH in Traunreut bis Dezember 2024 Kurzarbeit für rund 1500 Mitarbeitende aus Produktion und produktionsnahen Bereichen an einem Arbeitstag pro Woche angemeldet. „Die restlichen Bereiche am Standort sind nicht betroffen“, fügt Bauerschmidt hinzu. „Die Fertigung wird entsprechend an vier Tagen der Woche aufrechterhalten.“
Arbeit an vier Tagen in der Woche
Im Oktober werden die vier Tage gebündelt in die Herbstferien gelegt. Ab November soll die Produktion jeweils von Montag bis Donnerstag laufen. „Mit den aktuellen Maßnahmen reagieren wir frühzeitig“, betont die Sprecherin. Die Kurzarbeit ermögliche es, schnell und flexibel auf die momentane Marktsituation zu reagieren, die Personalkapazitäten an die aktuelle Produktionsmenge anzupassen und einen erneuten Hochlauf der Produktion mit der vorhandenen Mitarbeiterschaft bei wieder steigender Nachfrage zu sichern. „Die BSH stockt das Kurzarbeitsgeld auf, um die Gehaltseinbußen für Mitarbeitende möglichst minimal zu halten“, erklärt Bauerschmidt. Dass die Kurzarbeit über den geplanten Zeitraum verlängert werden muss, davon werde derzeit nicht ausgegangen.
Ab dem 1. November gehen auch Beschäftigte der Dr. Johannes Heidenhain GmbH am Standort Traunreut in Kurzarbeit, teilt Pressesprecherin Claudia Fernus mit. In dem Unternehmen, das unter anderem CNC-Steuerungen sowie verschiedene Messgeräte und Systeme herstellt sind 4150 Mitarbeiter beschäftigt. Von der Kurzarbeit betroffen ist etwa ein Drittel der Mitarbeiter aus den Fertigungen, den produktionsnahen bis hin zu den administrativen Bereichen.
„Gearbeitet wird an vier Tagen in der Woche, wobei der Kurzarbeitstag in der Regel für die Mehrheit der Beschäftigten auf den Freitag gelegt wird“, informiert Fernus. Das Unternehmen durchlaufe eine vorübergehende Schwächephase in Bezug auf seine Kernmärkte „und eine deutliche Verbesserung der Auftragslage ist kurz- und mittelfristig derzeit nicht absehbar“.
Anna Enzinger, Geschäftsführerin und verantwortlich für die Bereiche Finanzen und Personal, erläutert die Beweggründe: „Wir können uns als Unternehmen der allgemein schwachen Konjunktur nicht mehr entziehen und reagieren mit der Kurzarbeit auf die wirtschaftliche Situation in unseren Kernmärkten in Deutschland und Europa sowie auf die vorübergehende Schwächephase der Weltwirtschaft.“
In Zukunft weitere Fälle von Kurzarbeit zu erwarten
„Die steigende Kurzarbeit ist ein Alarmzeichen und sollte für die Politik auf allen Ebenen – gerade aber im Bund und bei der EU – ein Weckruf sein“, betont Nikolaus Binder, Vorsitzender des IHK-Regionalausschusses Traunstein.
Dr. Jochen Wiegmann, Chefvolkswirt der IHK für München und Oberbayern fügt hinzu, dass in Zukunft wohl auch weitere Fälle von Kurzarbeit zu erwarten sind. „Kurzarbeit ist ein wichtiges Instrument für Unternehmen, kurzfristige Unterauslastungen zu überbrücken und dennoch den Mitarbeiterstamm zu halten.“
Zu den Gründen nennt auch er, dass viele Unternehmen generell mit einer zu geringen Nachfrage kämpfen. „Dahinter steckt sowohl bei den Konsumenten als auch bei Firmenkunden eine große Verunsicherung, wie es mit der wirtschaftlichen Entwicklung weitergeht“, sagt Wiegmann. Die Unternehmen würden sich derzeit mit Investitionen zurückhalten, insbesondere am Standort Deutschland, die privaten Verbraucher seien nicht in Kauflaune. In den vergangenen Jahren gab es hohe Kaufkraftverluste, die größtenteils durch höhere Löhne ausgeglichen wurden. Jetzt sorgen steigende Sozialbeiträge und Arbeitsplatzunsicherheit für Besorgnis. „Deswegen wird wieder mehr gespart und weniger Geld ausgegeben“, betont Wiegmann.
In der Industrie stocke vor allem auch die Nachfrage aus dem Ausland. Neue Wettbewerber insbesondere aus China sowie der Trend zu mehr Eigenproduktion in den großen belasten das deutsche Exportmodell. Die Folge: die Produktionskapazitäten sind nicht ausreichend ausgelastet.
„Wirtschaftspolitische Standortnachteile hausgemacht“
Binder sagt auch, dass die IHK seit Jahren auf die sich verschlechternden Rahmenbedingungen für die Wirtschaft aufmerksam gemacht habe. Denn viele der wirtschaftspolitischen Standortnachteile seien „hausgemacht“. So zum Beispiel zu hohe Energiepreise vor allem für die Industrie, der sich verschärfende Arbeitskräftemangel, steigende Standortkosten, sinkende Wettbewerbsfähigkeit und eine Flut an Bürokratie sowie Regulatorik.
Auch Jochen Wiegmann betont: „Die Wirtschaft braucht dringend einen Befreiungsschlag aus der Politik, der Reformstau ist groß.“ Die Bundesregierung sollte ihre Wachstumsinitiative daher schnellstmöglich umsetzen, den Standort wieder attraktiver machen und Bürokratie abbauen. Investitionen am hiesigen Standort müssten auch wieder attraktiver werden. Durch geeignete Reformen am Steuer- und Abgabensystem sollten die Arbeitskosten für die Unternehmen nicht weiter steigen und bei den Arbeitnehmern auch wieder mehr Netto vom Brutto in der Tasche bleiben.