„Technik von früher hält brutal lang“
Jahrhunderte alte „Märchensäge“ vom Achental – Alex Sedlmaier schneidet Holz mit Wasserkraft
Am Fuß des schneebedeckten Hochgern in Staudach-Egerndach liegt „die Mühl zu Staudauch“. Hier arbeitet der Zimmerer Alex Sedlmaier mit einem mehr als einhundert Jahre alten Meisterwerk historischer Technik.
Staudach-Egerndach – Im Tal tragen die Wiesen das Grün des Frühlings, während die Spitze des Berges Hochgern noch im Weiß des späten Schneefalls glänzt. Wandert man den Alpbach, der Staudach-Egerndach durchfließt, bergauf in Richtung dessen Ursprungs, verändert sich die Kulisse. Unter das Rauschen des Baches und das Zwitschern der Vögel mischt sich langsam ein rhythmisches Geräusch. Der Duft des Bergwaldes und der Felder wird ergänzt durch das Aroma von Harz und frischen Holzspänen.
Erstmals 1254 erwähnt
Bevor der Bach im Wald verschwindet, trifft man auf „die Mühl zu Staudauch“ mit ihrem Hof und einem historischen Sägewerk. Die „Säge- und Hammerschmiedsmühle“ wurden erstmals 1254 erwähnt „in einer Urkunde Engelrams II von Hohenstein“, heißt es auf einer Plakette am Hofeingang. Das Anwesen ist „seit 1799 im aktuellen Familienbesitz.“
Vor dem Haupthaus, das auf 1450 datiert wurde, ist ein kleines Sägewerk. In seinem durch Wind und Wetter dunkel gefärbten Holzverschlag ist ein offenes Tor, und aus dem Inneren dringt das unermüdliche Geräusch einer trägen Maschine. An ihr arbeiten der Zimmerer Alex Sedlmaier und sein Schwiegervater Rüdiger Gerstl.
Ein Meisterwerk historischer Technik
„Im Moment arbeiten wir mit einem alten Esterer“, sagt Alex Sedlmaier und meint damit die Säge, deren massiver schwarzer Stahl die Prägung „Esterer A.G. Altötting Bayern“ trägt. Sie steht aufrecht in der Mitte des Schuppens, über einem Loch im Boden aus Holzbohlen. Es ist ein Meisterwerk historischer Technik. Der verborgene Antrieb im Untergeschoss lässt die senkrechten Sägeblätter ex machina mit Wasserkraft oszillieren. Über Umlenkrollen, Zahnräder und schwere Ketten werden die Förderwalzen angetrieben, die einen ganzen Baumstamm kontinuierlich durch die Sägeblätter treiben.
Der aktuelle Zustand des Sägewerks besteht seit etwa einhundert Jahren, erklärt der Zimmerer, „das ist das Faszinierende an dem Ganzen: Die Technik von früher hält brutal lang.“ Alex Sedlmaier hat ein freundliches Gesicht, trägt einen grau-schwarzen Drei-Tage-Bart und einen dazu passenden Filzhut. Wenn er von seiner, wie er sagt, „Märchensäge“ spricht, leuchten seine Augen.
Zu Beginn werden die runden Bäume zunächst vorgeschnitten. Danach werden die Sägeblätter auf das gewünschte Maß eingestellt und der Baum noch einmal durch die Säge geschickt. Heute schneiden Alex und Rüdiger Dachsparren und Bretter für den 60. Geburtstag eines guten Freundes der Familie.
Mühlen als Ursprung der Sägewerke
„Die meisten Sägewerke sind von einem Mühlen- dann auf einen Sägebetrieb umgestiegen. Und Stromerzeugung“, fährt Sedlmaier fort, „das ist immer fast der gleiche Werdegang, wenn man so schaut.“ Allerdings können der Zimmerer und sein Schwiegervater einige kleine Sägewerke im Umkreis aufzählen, die in den letzten Jahren geschlossen haben.
„In den Landkreisen Rosenheim und Traunstein fallen um die 70 Betriebe in die Kategorie ‚Säge-, Hobel- und Holzimprägnierwerke‘“, sagt Florian Reil, Pressereferent der Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern. Ganz generell stelle die IHK mit Blick auf die Gesamtwirtschaft fest, dass die zunehmenden Herausforderungen und Risiken die Unternehmen verunsichern und dazu bringen, dass sie teilweise weniger als früher in ihren Standort in der Region investieren. „Vor allem von energieintensiven Firmen, zu denen auch Sägewerke gehören, bekommen wir die Rückmeldungen, dass sie aufgrund der Kosten hier vor Ort nicht mehr wettbewerbsfähig sind.“
Betrieb nicht wirtschaftlich
Diesen Trend bestätigt auch Alex Sedlmaier. Für den industriellen Verkauf würde sich der Betrieb seines kleinen Sägewerks nicht lohnen. Für den Zimmerer, der hauptberuflich an der Berufsschule in Traunstein lehrt, ist es deshalb nur ein „zweites Standbein“. Zusammen mit einem Schwiegervater und seinen Söhnen arbeitet er geschätzt etwa eine Woche im Monat an der Säge. Sie schneiden Holz für sich selbst, für Freunde, Nachbarn und für Bauern, „die nicht weit wegfahren wollen“, sagt Sedlmaier: „Die fahren zu uns, bringen ihr Holz zum Schneiden und helfen auch mit.“
Nachdem einige Baumstämme durch die Säge gelaufen sind, geht Rüdiger Gerstl, der gelernte Werkzeugmacher, in den Nebenraum, um die Sägeblätter nachzuschleifen. Unterdessen ist Alex Sedlmaier eine Etage tiefer beim Herzstück der historischen Säge.
Turbine dreht sich seit 1909
Einige hundert Meter oberhalb des Hofs der Sedlmaiers wird ein kleiner Teil des Alpbachs durch ein Rohr zum Sägewerk und durch eine Turbine geleitet, ehe das Wasser wieder zurück in den Bach fließt. Die Turbine, die sich seit 1909 unermüdlich dreht, treibt einen Generator und nach Bedarf zusätzlich die Säge an. Über verschiedene Riemen und Rollen wird die Kraft des Wassers auf ein großes Schwungrad übertragen, das über eine Umlenkung die darüberliegende Säge betreibt.
„Der Bach gehört hier oben dazu“, sagt der Zimmerer. Über eine Rutschkupplung setzt er das Schwungrad wieder in Gang. Die darüberliegende „Märchensäge“ läuft an und beginnt zu rattern. Feiner Holzstaub rieselt durch die Holzbohlen nach unten.
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