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Naturjuwel Tüttensee in Not?

Wie radikal der Biber Landschaften im Chiemgau verändert – und warum er dennoch geschützt wird

Ein kleiner Mischling steht am Rande der Tiroler Ache im Gemeindegebiet von Übersee an einem mannsgroßen Biberloch, der als Zugang genutzt wird.
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Dieser rutschenförmige Zugang eines Bibers zur Tiroler Ache könnte glatt ein Kalb oder einen erwachsenen Menschen verschlucken.

Gefräßig, aber auch nützlich. „Wahnsinnig schmackhaft“ und schutzbedürftig. Der Biber und seine Ausbreitung in der Region sorgen für Diskussionen. So unterschiedlich sehen Landwirte, die Naturschutzbehörde und Jäger – mit Sondergenehmigung zur Entnahme und zum Verzehr – den Biber.

Übersee / Grabenstätt / ChiemgauDen nachtaktiven Biber selbst bekommt man selten zu Gesicht, seine Werke jedoch sind praktisch an allen Wasserläufen im Chiemgau sichtbar: Unterhöhlte Uferböschungen, Biberdämme und vor allem angefressene oder umgenagte Bäume teils stattlichen Kalibers zeugen von seiner Existenz. Der Biber hat offensichtlich Narrenfreiheit.

Keine Angst vor stattlichen Kalibern – der Biber macht auch mit alten und starken Bäumen kurzen Prozess.

Früher begehrt: Biberfleisch und „Bibergeil“

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts, in weiten Teilen Deutschlands schon deutlich vorher, wurde der Biber europaweit fast vollständig ausgerottet. Begehrt waren Biber wegen ihres warmen Felles und wohlschmeckenden Fleisches, das per mittelalterlichem Papstedikt sogar in Fastenzeiten verzehrt werden durfte, da Biber als Fische galten. Und dann ist da noch sein als „Bibergeil“ bekanntes Sekret, das zumindest damals wegen aphrodisierender und heilender Eigenschaften begehrt war.

Wärmend ist das Fell auch heute noch. Und der Geschmack des Biberfleisches wird von einem Jäger mit Sonderentnahmerecht (Name ist der Redaktion bekannt) als unglaublich wohlschmeckend beschrieben: „Das extrem rote Fleisch ist hervorragend zart und wahnsinnig schmackhaft – eine Mischung aus Wild und Rind. Schade, dass nicht alle in den Genuss kommen können, oder dürfen!“ Denn Teile von rechtmäßig entnommenen Bibern dürfen weder verkauft noch vermarktet werden. Bei Zuwiderhandlung oder ungerechtfertigtem Abschuss – auch das kommt immer wieder vor – drohen bis zu mehreren Jahren Haft. 

Der Biber gründet artenreiche Lebensräume

Vonseiten der Naturschutzabteilung Traunstein heißt es über die Pressestelle: „Beim Biber handelt es sich um eine nach Europa- und Bundesrecht streng geschützte Tierart, deren Existenz und Verbreitung gefördert werden soll.“ Denn der Biber verändere als Schlüsselart monotone Landschaften in kurzer Zeit zu sehr artenreichen Lebensräumen. In den Bibertümpeln würden sich rasch Pflanzen und kleine Tierarten ansiedeln, zum Beispiel Rohrkolben und Libellenlarven. Diese wiederum können zum Lebensraum und zur Nahrung für größere Tiere, wie Frösche, Ringelnattern, Fische und im Weiteren Schwarzstörche und Eisvögel werden. 

Ein großer Biberdamm am Zulauf des Tüttensees staut das Wasser auf. In diesem Bereich können sich neue Wasserpflanzen und Tiere wie Libellenlarven ansiedeln, die dann wiederum andere Tiere anlocken.

700 Tiere im Landkreis Traunstein

Klar sei aber auch, so heißt es von der Pressestelle, dass sich der Biber aufgrund fehlender Fressfeinde wie Wolf oder Bär schnell und weitflächig verbreite. Der Biberbestand im Landkreis Traunstein soll sich auf etwa 150 Reviere beziehungsweise ungefähr 600 bis 700 Tiere belaufen.

Von Überschwemmungen und abgestürzten Kälbern

Die Verbreitung des Nagetiers führt regelmäßig zu Nutzungskonflikten mit Grundeigentümern und Landnutzern. Wie der Jäger weiter berichtet, gefährden Unterhöhlungen von Uferböschungen nicht nur Landmaschinen, sondern auch Mensch und Tier. „Fälle von eingebrochenen Kühen oder Kälbern sind keine Seltenheit.“ Natürlich seien aber Überschwemmungen durch das Bauen von Dämmen das häufigste Problem.

Riesiger Biberbau in Übersee

Das bestätigt auch Johann Maier aus Übersee, Beisitzer beim Ökomodell Achental und ehemaliger Bauernobmann, den wir auf einer Ortserkundungsfahrt treffen. Schon häufig sei es aufgrund von Biberdämmen in den Entwässerungskanälen zu Überschwemmungen gekommen, „bei denen auch Häuser abgesoffen sind“. Südlich vom Westerbuchberg befände sich derzeit ein über zwei Meter hoher Biberbau, aber, so Maier: „Da macht‘s nichts.“

Vor dem Biberdamm (hier am Zulauf des Tüttensees) entsteht ein kleiner Tümpel, dahinter kommt nur noch ein Rinnsal heraus – mit möglicherweise negativen Folgen für die Wasserqualität des Naturjuwels Tüttensee.

Naturjuwel in Gefahr

Das wiederum kann man vom Biberdamm am Zulauf des Tüttensees nicht behaupten, wie ein Ortstermin zeigt. Was hinter dem riesigen Biberdamm herauskommt ist nur noch ein Rinnsal. Dabei trägt auch dieser Zulauf zur Wasserqualität bei. Noch ärger jedoch steht‘s um den Auwald im Uferbereich, der durch Biber-Fällarbeiten mancherorts extrem gelichtet wurde. Von Bibern angenagte und eventuell umstürzende Bäume könnten Spaziergänger gefährden. Zudem scheinen größere Teile des Uferbereichs unterhöhlt zu sein, was Auswirkungen auf die Befestigung des Ufers haben könnte. 

In Ausnahmefällen – wenn das Nebeneinander von Mensch und Biber nicht anders geregelt werden kann – genehmigt das Landratsamt eine Entnahme der Biber durch besonders geschulte Jäger. Einer davon berichtet: „Die Entnahme erfolgt mit Lebendfallen oder durch Abschuss mit sogenanntem Hochwildkaliber.“ Die Jagd auf den Biber sei jedoch äußerst zeitaufwändig und erfolge außerhalb der Schonzeit meist bei Vollmond, da Biber in der Regel nachtaktiv sind und keine Hilfsmittel wie Nachtsichtgerät oder Taschenlampe genutzt werden. Lebendfallen müssten teils mehrfach täglich kontriolliert werden. 

Entnahme ohne langfristige Wirkung

Auf diese Weise seien im Landkreis Traunstein in den vergangenen Jahren gleichbleibend circa 50 Biber entnommen worden. Das entspricht etwa sechs bis sieben Prozent des geschätzten Bestandes und liegt etwas unter der Reproduktionsrate der Tierart. Die Entnahme, so heißt es vom Naturschutz, habe in vielen Fällen jedoch keine langfristige Wirkung, da Biber Revierverteidiger sind. Freiwerdende Reviere würden von zur Abwanderung gezwungenen Jungtieren meist schnell nachbesetzt.

Auch Privatpersonen werden entschädigt

Für gewisse land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Schäden wird vom Freistaat Bayern ein freiwilliger Biberentschädigungsfonds in Höhe von derzeit 660.000 Euro jährlich zur Verfügung gestellt. Da der Fonds in den vergangenen Jahren nicht für alle gemeldeten Biberschäden in Bayern ausreichte, beschloss der Landkreis Traunstein im vergangenen Jahr, die gekürzten Ausgleichszahlungen auf freiwilliger Basis aus dem Kreishaushalt zu decken und an die Betroffenen zu leisten. Zudem wurde, so heißt es von der Pressestelle, für Privatpersonen, die keine Entschädigungen aus dem Biberentschädigungsfonds erhalten, die Möglichkeit geschaffen, einen Pauschalbetrag von 50 Euro pro Schadensfall zur Auszahlung zu bringen. Im Jahr 2022 seien so 27 Schadensregulierungen mit einer Entschädigungssumme von insgesamt 17.522 Euro erfolgt.

So melden Sie Biberschäden

Ein Biber kann in einer Nacht einen Baum mit 30 bis 40 Zentimeter Durchmesser fällen. Beim Nagen stützt er sich auf dem Schwanz ab und nagt keilförmig zwei bis drei Zentimeter breite und bis zu 15 Zentimeter lange Späne ab. Dadurch entsteht am angenagten Baum die typische Sanduhrform.

Biberschäden müssen zeitnah nach Feststellung bei der unteren Naturschutzbehörde schriftlich oder telefonisch gemeldet werden. Gegebenenfalls ist ein Fotonachweis notwendig. Daraufhin wird ein Ortstermin zur Begutachtung und Aufnahme des Schadens vereinbart. Nach der Prüfung wickeln die Mitarbeiter der unteren Naturschutzbehörde und die ehrenamtlichen Biberberater die Schadensregulierung ab. Sie erfolgt nach den aktuellen Richtlinien zum Bibermanagement und den Leitfäden zur Abwicklung von forstwirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Schäden.

Außerdem ist festgelegt, welche Art von Schäden in welchem Umfang kompensiert werden: Ein Biberschaden an einer Buche ist so beispielsweise höher klassifiziert als der Schaden an einer Fichte. Anerkennenswerte Schäden werden dann zeitnah durch das Landratsamt Traunstein in Vorfinanzierung ausbezahlt. „Mit diesem Maßnahmenpaket des Bibermanagements lässt sich der Großteil der Nutzungskonflikte Mensch-Biber gut regeln“, heißt es von der Pressestelle des Landratsamtes Traunstein. Für andere wiederum stellt der Biberfonds in Bayern nur einen Tropfen auf den heißen Stein dar.

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