Experten aus dem Landkreis Traunstein im Gespräch
Der Biber: Vegan, monogam und „extrem wertvoll für die Natur“ – Oder doch ein Störenfried?
Die Wildtiere machen sich breit im Landkreis Traunstein. Und am Stammtisch genauso wie im Kabinettssaal - an der Diskussion zum Thema Wolf und Bär kommt man derzeit nicht vorbei. Im Moment weniger im Rampenlicht: der Biber. Ein weiteres Problemtier für einige Landwirte. Frisst der Biber unsre Wälder auf? „Mumpitz“ - sagt dazu der Chiemgau-Naturführer Heinz-Jürgen Pohl. „Er ist mit das Wertvollste, was die Natur hat“, stimmt auch Robert Poller, Naturschutzwächter aus Tittmoning in den Kanon ein.
Prien/Tittmoning – Zwei Männer, ein Thema: der Biber. Der Naturschutzwächter Robert Poller aus Tittmoning und der Chiemsee-Naturführer Heinz-Jürgen Pohl aus Prien. Sie wollen beide für mehr Akzeptanz und Verständnis gegenüber dem heimisch gewordenen Nagetier sorgen. Wir lernen im Gespräch: Der Biber kann Hochwasserschutz, Waldverjüngung, Artenvielfalt. Wir lernen auch, warum er in Ausnahmefällen trotzdem getötet wird - entnommen ist das schönere Wort dafür.
Am Ufer von Rimsting ist eines von acht Biberrevieren am Chiemsee
Wir sind in Rimsting verabredet: schon auf dem Weg zur Natur- und Vogelbeobachtungstation sehen wir erste Spuren. Bei einigen Bäumen entlang des Weges kann man Biberverbisse erkennen. Ansonsten wirkt die Landzunge zwischen der Mündung des Flusses Prien und dem Chiemseeufer eher wie eine Parklandschaft. Angelegter Uferweg, Parkbänke, kurzer Rasen. Biber würde man hier erst mal nicht vermuten. Und trotzdem, es ist eines von acht bekannten Biberrevieren am Chiemsee.
„Ein Biberrevier ist im Schnitt 2 bis 10 Kilometer Uferlänge groß. Je nach Nahrungsangebot“, erklärt uns Biberexperte Heinz-Jürgen Pohl. Wir stehen in der Naturbeobachtungshütte und Pohl steht neben einem präparierten Biber. Er erklärt anschaulich und hat einiges mitgebracht: Biberknochen, Biberhandpuppe, Schautafeln. Denn er bietet seit Jahren auch immer wieder Biberführungen an. Ob Touristen, kleine Kinder oder Hobby-Biologen: Und so werden wir zunächst mitgenommen in die Welt des größten Nagetiers Europas:
Neuansiedlung des Bibers für den Artenschutz
Er kann 12 Jahre alt und bis zu 35 Kilogramm schwer werden. Castor fiber, der lateinische Name des Bibers, ist in ganz Europa heimisch - wieder - denn im 19. Jahrhundert wurde der Biber in Bayern vom Menschen ausgerottet. Laut dem bayerischen Staatsministerium für Umwelt- und Verbraucherschutz fand eine Wiederansiedlung in den sechziger bis achtziger Jahren statt. Pohl erklärt, dass man damals festgestellt hat, dass der Biber immens zur Artenvielfalt beitragen kann: „Man hat festgestellt, dass da, wo der Mensch lebt, acht bis zehn Fischarten drin vorkommen, mit 15 bis 20 Exemplaren pro Art als Mittelwert. Da wo der Biber lebt, kommen 20 bis 30 Arten vor, mit 50 bis 80 Exemplaren pro Art.“
Biber fällt Bäume, um an Äste und Blätter zu kommen
Derzeit wird der bayerische Biberbestand auf ca. 22.000 Tiere in ca. 6.000 Revieren geschätzt. Bayern ist zwischenzeitlich fast flächendeckend besiedelt. Und da beginnen auch schon die Probleme. Der Biber ernährt sich hauptsächlich von Weichholz wie Pappel und Weiden, beziehungsweise deren Blätter. Weil er nicht klettern kann, fällt er Bäume, um an seine Nahrung zu kommen. Sehr nachhaltig - er verwertet das Material auch gleich zum Bau seiner Behausungen. Biberburgen und Biberdämme können wir auch im Landkreis Traunstein an vielen Orten bewundern. Nur dass viele sich eher wundern statt zu bewundern: Der Biberverbiss schürt die Sorge, dass wir bald keine Bäume mehr an den Ufern unserer Gewässer stehen haben.
Landschaft wurde seit Jahrmillionen vom Biber geprägt
„Wenn man alte Bilder von früher anschaut oder aus anderen Ländern, dann ist an den Gewässern das Ufer frei von Bäumen. Aber Büsche und Gestrüpp sind da.“ Man habe sich einfach daran gewöhnt, so Pohl, dass im Uferbereich große alte Bäume stehen, aber die würde es da nur geben, weil wir Menschen sie gepflegt haben. Da die Vorfahren des Bibers bereits seit 15 Millionen Jahren die Landschaft prägen, sei das der eigentliche Normalzustand. Für uns Menschen aber jetzt ungewohnt, der fleißige Biber gestaltet um: Bäume werden gefällt, Dämme gebaut und dadurch Bachläufe gestaut. Eigentlich auch gut für den Menschen meint Pohl.
Biber schafft auch Lebensraum für Insekten
„Vor einem Biberdamm habe ich schnell fließendes, freies Gewässer mit Kies, dahinter bestehendes Gewässer, Pflanzen, Schlamm. Das heißt, die Tiere finden verschiedene Habitate innerhalb der kleineren Gewässer.“ Das heißt, die Artenvielfalt nimmt auf kleinem Raum dank des Bibers zu. Auch das Totholz, das durch die umgenagten Bäume entsteht, sei, so Pohl, wieder ein wichtiger Lebensraum für Insekten.
Kostenloser Hochwasserschutz dank Biberdämmen
Und wenn ältere Bäume vom Biber gefällt werden, ist der zuvor beschattete Boden wieder lichtdurchflutet und gibt jungen Bäumen genug Raum zu wachsen. Waldverjüngungen ist das Fachwort und ist eine gängige Maßnahme bei den Förstern. Der Biber macht das kostenlos. Und ein weiterer, wichtiger Aspekt sei, so Pohl, der Hochwasserschutz, den die Biberdämme mit sich bringen. Es sei eine sehr effektive Methode, um Hochwasserspitzen zu senken. Er meint damit den verlangsamten Abfluss von Hochwasser durch die Staudämme des Bibers. Auch wichtig in Zeiten des Klimawandels: Durch das Aufstauen von Gewässern könne das Wasser langsam in den Boden sickern und so im Grundwasser landen, statt oberflächlich über Flüsse abzufließen und trockene Felder zu hinterlassen.
Auch an der Salzach zu Hause: Biberkunst in Tittmoning
Das klingt alles sehr positiv: Waldverjüngung, Hochwasserschutz, Artenvielfalt, Grundwasserspiegel-Erhöhung. Warum ist dann die Existenz des Bibers so umstritten? Wir wechseln den Ort. Vom Westen in den Nordosten des Landkreises: In Tittmoning wartet Robert Poller auf uns. Auch er ist leidenschaftlicher Biberexperte. Wir machen einen Spaziergang zur Salzach. Erste Station ist ein mächtiger Baumstumpf. Im unteren Bereich durch den Biber abgeknabbert, oben mit der Motorsäge gekappt. Es sieht fast aus wie das Kunstwerk eines Bildhauers.
Biber „das wertvollste für die Natur“
„Wir leben in der Natur, und wir müssen mit der Natur leben.“ Poller hat genauso wie Heinz-Jürgen Pohl eine Menge an Biberwissen im Gepäck. Auch er betont, wie wichtig der Biber für die Artenvielfalt und den Hochwasserschutz ist. Deshalb habe er auch so einen Bezug zum Biber: „Weil der Biber meines Erachtens noch eines von den wertvollsten, wenn nicht überhaupt das wertvollste für die Natur ist.“ Robert Poller ist aber auch Jäger und im Zweifelsfall für die sogenannte Entnahme von Bibern zuständig.
50.000 Euro Strafe bei illegaler Tötung oder Beschädigung eines Biberdammes
Der Biber steht unter Artenschutz und darf nur im absoluten Ausnahmefall in Abstimmung mit dem jeweiligen Landratsamt entnommen werden. Wer illegal einen Biber oder auch nur seinen Damm schädigt, muss im Übrigen mit einer Geldstrafe von bis zu 50.000 Euro rechnen. Ist die Entnahme offiziell beschlossen, so erklärt Poller, müsse er erst in einer Lebendfalle gefangen und im Anschluss erschossen werden. Der Schuss ins Wasser sei zu riskant wegen der Möglichkeit des Abpralls der Kugel. Der ehemalige Scharfschütze Poller weiß, wovon er spricht. Aber wenn Poller von den Fällen erzählt, wo er den Biber töten musste, wird klar: Es fällt ihm sehr schwer. Warum muss denn der Biber überhaupt manchmal entnommen werden?
Biberpopulation wird durch Natur reguliert
An der zu hohen Population läge es nur bedingt, wissen wir von unserem Treffen mit Heinz-Jürgen Pohl. Denn - der Biber beziehungsweise die Natur reguliert den Bestand selbst. Jungtiere müssten nach zwei Jahren die Elterntiere verlassen und sich ein eigenes Revier suchen. Biberpaare blieben ein Leben lang zusammen, so Pohl. Die Biberkinder haben vor allem, wenn sie jung sind, auch noch natürliche Feinde: Greifvögel, Bären, Wölfe, aber auch streunende Hunde und sogar Walser können den Kleinen gefährlich werden. Auch Hochwasserereignisse wie 2013 überfluten die Biberbauten und Jungtiere würden das dann nicht überleben.
Jungtiere, die von zu Hause ausziehen, werden oft zum Problem
Vor allem die jungen Biber, die gerade von zu Hause rausgeworfen wurden, so erklärt Robert Poller, würden auf der Suche nach einem eigenen Revier oft in Räume vordringen, wo sie nicht erwünscht sind. Sie untergraben dann schon mal Bahntrassen oder Straßenbefestigungen. Dann gäbe es oft keine andere Möglichkeit mehr als den Biber zu fangen und zu töten. Auch Privateigentümer von Auwäldern und angrenzenden Landwirtschaftsflächen finden die Anwesenheit des Nagers oft nicht gut: „Für Waldbauern sind solche Schäden ärgerlich – das kann ich gut nachvollziehen. Wir versuchen in diesen Fällen allerdings, Lösungen beziehungsweise Präventionsmaßnahmen zu finden und dadurch zu helfen.“
Ärger mit dem Biberdamm in Tittmoning
Je nach Art, Alter und Umfang des Baumes werden die Waldbauern auch entschädigt: Festgehalten ist das im Leitfaden Biberschäden. Und dennoch kommt es immer wieder zu Konflikten. Auch an der Salzach. Hier hätte man Probleme, weil Biberkritiker immer wieder den Biberdamm entfernen würden, so Poller. Fünfmal hat der Biber gegenüber der Sportplätze sein Glück versucht, fünfmal haben Leute den Damm illegal entfernt. Laut Landratsamt sei das aber ein Einzelfall. Man habe sogar ein Drainagerohr verlegt, um den Wasserstand des gestauten Baches kontrollieren zu können. Jetzt ist nur noch das Rohr über, der Damm wurde bereits wieder entfernt. Das sei auch für Leute, die den Biber wegen Schäden loswerden wollen, kontraproduktiv, erklären uns Poller wie Pohl. Denn: Wenn der Damm zerstört ist, müssen sie neues Material für ihren Bau heranschaffen: Dazu fällen sie wieder Bäume.
Besser: Nach ein paar Jahren im etablierten Biberrevier würden die Nager immer weniger Bäume fällen, da sie sich bereits eingerichtet hätten. Drahtgitter können einzelne, wertvolle Bäume schützen. Im Zweifelsfall geben Biberexperten wie Heinz-Jürgen Pohl oder Robert Poller auch gerne Auskunft, wie man mit dem nützlichen Nagetier gut und sinnvoll umgehen kann. Noch viel mehr zum Thema Biber könnt ihr bei einer der Biberwanderungen von Heinz-Jürgen Pohl und seinen Naturführerkollegen erfahren.



