Entschleunigt und neu definiert
Das Geheimnis von Drei-Sterne-Koch Edip Sigl: So kommt der Chiemgau auf den Teller
Feurige schwarze Augen, ansteckende Leidenschaft, natürliche Weisheit und jede Menge Humor. Damit zog der sympathische Sternekoch Edip Sigl jetzt auch die besten Hoteliers Deutschlands in seinen Bann. Vor allem aber mit seiner kulinarischen Liebeserklärung an den Chiemgau.
Grassau – „Es gibt hier heute nichts zu essen“, sagt der Sternekoch und lacht verschmitzt. Wer da gehofft hatte, dass die „Insights“ mit Edip Sigl im Resort Das Achtal den Gaumen verwöhnen, war enttäuscht. Doch nur für einen winzigen Augenblick. Denn die Einblicke, die der 39-jährige Chiemgauer gab, waren so faszinierend, dass die besten Hoteliers des Landes, viele mit eigener Sterneküche im Hause, dem gebürtigen Türken förmlich an den Lippen hingen.
Deutsche Spitzen-Hoteliers sind fasziniert
Mit einer Stunde am knisternden Kamin in der Hubertushütte des Resorts war es da nicht getan. „Edip, Du musst in die Küche“, wurde er nach der ersten Runde dezent gerufen. Doch nach einer Stunde stand er schon wieder in der Hubertushütte, um seine Erfahrungen zu teilen. Das Interesse an „F&B“ oder besser „Essen und Trinken“ als einem der wichtigsten Segmente eines Luxus-Hotels war bei den 270 Spitzen-Hoteliers riesig, die zur Preisverleihung der „101 besten Hotels Deutschlands“ nach Grassau gekommen waren.
Sie erlebten die kulinarische Reise mit dem Drei-Sterne-Koch als eine Hommage an den Chiemgau, denn hier hat Edip Sigl Liebe, Leidenschaft und Erfüllung gefunden. Geboren in der Türkei und in Köln aufgewachsen, ist er in der Welt gereift und im Chiemgau angekommen. Seine Lehrerin war es, die Edip die Entscheidung abnahm, ob er Schreiner oder Koch werden sollte. Da ihrer Meinung nach „Männer, die kochen können, etwas ganz Besonderes sind“, wurde er eben Koch, erzählt Edip Sigl schmunzelnd.
Tolle Zeit bei Heinz Winkler
Im Golfrestaurant Gut Lärchenhof in Pulheim fragt er sich noch, wozu „Michelin Sterne“ gut sind. Im Hugos in Berlin sieht er sie zum ersten Mal leuchten. In der Residenz Heinz Winkler begreift er, was einen leidenschaftlichen Koch und die „Haute Cuisine“ ausmacht. „Es war eine prägende, eine großartige Zeit“, erinnert er sich an die Legende Heinz Winkler. Und daran, dass er dort vor gut 17 Jahren die Frau fürs Leben kennenlernte. Seine berufliche Neugier führt ihn zu Juan Amador. „Ich wollte alles über die Molekularküche wissen. Aber ganz ehrlich. Sie ist nicht meins“, erntet er ein vielsagendes Lachen. Die nächste Station: eine Weltreise. Asien, Australien, Amerika. Seine wichtigsten Eindrücke: „Gegessen wird überall. Spannend ist das Wie.“
Das Heimweh und die Sehnsucht nach einer „Homebase“ führen Edip und Melanie Sigl zurück nach Bayern. Mit unzähligen kulinarischen Impressionen im Gepäck. Im Chiemgau finden sie ein kleines Häuschen, gründen eine Familie. Heute sind ihre Töchter fünf und acht Jahre alt. Im „Le Deux“ wird der junge Koch 2019 zum Küchenchef und im März 2020 mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Kurz darauf legt die Corona-Pandemie das Leben lahm.
Das Achental nutzt Corona-Lockdowns als Chance
Damals sucht das Resort Das Achental einen neuen Küchendirektor. „Für mich uninteressant“, erzählt er mit einem Augenzwinkern in Richtung seiner Chefin Ursula Schelle-Müller. Anschauen solle er es sich trotzdem, wünschte sich seine Frau Melanie. Damit er nicht mehr täglich nach München pendeln muss. „Das erste Gespräch war nett, wir haben uns ausgetauscht, gespürt, dass eine gegenseitige Sympathie da ist, aber keine Pläne geschmiedet“, erzählt Ursula Schelle-Müller.
Schließlich ist es die gemeinsame Vision, die die Eigentümerfamilie Müller und Sternekoch Edip Sigl doch zusammenführt. „Wir wollten unser Resort neu positionieren, neben unserem 18-Loch-Meisterschafts-Golfplatz auch im F&B-Bereich etwas tun und wussten, dass wir durch die Corona-Lockdowns die Zeit und die Chance hatten, etwas Neues aufzubauen“, beschreibt Ursula Schelle-Müller die unternehmerische Entscheidung. „Wir haben daran geglaubt, mit Edip eine spannende Reise starten zu können, weil wir eine gemeinsame Vision teilen.“
Um- und Ausbau für die gemeinsame Vision
„So kam eine richtige Maschinerie in Gang“, würdigt Sigl „den Mut zu einer großen Investition in unsicheren Zeiten“. Die Küche des Resorts wurde komplett um- und ausgebaut, Hotel- und Gourmetküche getrennt – in eigene Teams und eigene Herdblocks. Das Flachdach wird nicht einfach nur „begrünt“, sondern in einen 400 Quadratmeter großen Kräutergarten mit mehr als 470 Pflanzen verwandelt. Und Edip Sigl nutzt den Lockdown, um die Region mit den Augen eines Sternekochs zu erkunden. „Das war auch eine persönliche Findungsphase“, sagt er rückblickend. „Früher habe ich französische Küche mit asiatischen Einflüssen bevorzugt. Doch das bin ich nicht mehr. Auf dem Land kann man entschleunigen, sich aufs Wesentliche konzentrieren.“
So wird Leidenschaft zur Essenz einer Region
Im Chiemgau fühle er sich pudelwohl, erzählt er den besten Hoteliers Deutschlands. Und das, so bestätigen sie ihm mit der begeisterten Erinnerung an das „Chiemgau pur“-Menü des Vorabends, könne man schmecken. Sigl bringt die Aromen der Region auf den Teller. Und das geht nur, weil er auch die Zutaten mit Liebe und Leidenschaft erzeugt werden. Mit seiner Vision gelingt es ihm, eine enge Verbundenheit zu den Erzeugern aufzubauen. Von der Chiemseefischerei Lex bekommt er den Geschmack der Fraueninsel. An der Fischzucht Thalhamer Mühle begeistert ihn die Nachzucht bedrohter Fischarten. Im Honig aus Rimsting schmeckt er die Würze von Blüten, Wald und Fichten. In der Demeter-Gärtnerei Solawi Jolling wird das Gemüse für seine Küche voller Hingabe angebaut. Der Sepp`n Bauer aus Bernau beginnt für den Sternekoch mit der Zucht von Wachteln. Auf den Weiden des Nachbarn entdeckt er Wagyu-Rinder. Und das Höslwanger „Dorfkind“ töpfert das Geschirr, das seine Kreationen in Szene setzt.
Sigl schnürt ein ganz spezielles Chiemgau-Paket: mit kurzen Lieferwegen, Respekt vor der Natur, einem fairen Miteinander und einer Win-Win-Situation für die Region. Seine Vision prägt auch den Namen des Gourmet-Restaurants: es:senz. Dass darin seine Initialen versteckt sind, ist ein Zufall und fällt Edip Sigl anfangs gar nicht auf. Ihm geht es um die vier Grundelemente (Essenzen) allen Lebens: Erde, Wasser, Luft und Feuer. Er legt Wert auf einen „Hauptdarsteller“ auf dem Teller: „Ausdrucksstark, kraftvoll, auf das Wesentliche reduziert – die pure Essenz.“
Sigl lockt sieben weitere exzellente Kollegen ins Achental. Mit seinem Team bringt er die Gastronomie im gesamten Resort auf ein neues Level: nicht nur in den vier Restaurants und zwei Hütten, sondern auch am Frühstücksbuffet. „Er hat die Qualität in allen Bereichen extrem angehoben“, würdigt Ursula Schelle-Müller sein Engagement.
Sterneküche im Zyklus der Natur
In der es:senz kreiert Edip Sigl drei Menüs, die dem Zyklus der Natur folgen. Das Sechs-Gänge-Menü „Chiemgau pur“ ist seine Liebeserklärung an die Region. Mit dem Acht-Gänge-Menü „Chiemgau goes around the world“ interpretiert er seine Weltreise. Ergänzt wird das Angebot durch ein vegetarisches Menü.
Nach vielen Lockdowns dürfen die Hotels und Restaurants ab Mai 2021 schrittweise wieder öffnen. Wenige Monate später – im März 2022 – verleiht der Guide Michelin dem Restaurant es:senz zwei Sterne. Im Jahr darauf wird Sigl vom „Großen Restaurant & Hotel Guide“ zum „Koch des Jahres 2023“ gekürt und wieder mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. „Wir hatten auf einen Stern gehofft“, gibt Ursula Schelle-Müller zu. „Doch Edips Ziel waren immer drei Sterne.“ Die holt er zwei Jahre später – im März 2024.
Viele vom Schlag eines Edip Sigl gibt es nicht. Er ist einer von nur zehn deutschen und 145 weltweiten Drei-Sterne-Köchen. Und er ist auf dem Boden geblieben: Echt, nahbar, fröhlich und bescheiden. „Wir sind keine Zauberer. Wir sind einfach nur Köche – regional und heimatverbunden“, sagt er und reicht die Anerkennung für seine Kunst weiter: „Nur durch die enge Verbundenheit zu unseren Lieferanten und mit deren Unterstützung gelingt es mir, den puren Geschmack des Chiemgaus erlebbar zu machen.“ Wie das funktioniert, wurde auch beim Treffen der besten Hoteliers Deutschlands spürbar: „Wir hätten nie gedacht, wie der Chiemgau schmecken kann“, sagen die Profis und nehmen eine unvergessliche Erinnerung mit nach Hause. Viele haben zum ersten Mal von Grassau im Chiemgau gehört. Jetzt hat der Ort für sie eine kulinarische Stecknadel in der Landkarte. Gesetzt von Edip Sigl.



