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Nachspiel der Razzia

Flüchtlinge ausgenutzt – aber warum ist das Inzeller Betrüger-Duo trotzdem auf freiem Fuß?

Ein Polizist schreitet die verschneite Einfahrt zum Hotel Gastager entlang.
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Ein Polizist schreitet im Januar die Einfahrt zum Hotel Gastager entlang. Er ist einer von einigen Dutzend Einsatzkräften, die das Hotel stürmten.

Flüchtlinge in Inzell betrogen und ausgenutzt: Trotzdem sind die Angeklagten wieder auf freiem Fuß. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen - so geht es weiter.

Inzell – Sebastian Günther spricht schnell und aufgeregt. Er ist Flüchtlingshelfer in Inzell. Sebastian Günther ist nicht sein wahrer Name, denn er macht sich Sorgen um seine Sicherheit. Mehr als sein eigener Schutz liegt ihm das Schicksal der Flüchtlinge in dem Inzeller Hotel Gastager am Herzen. Dort haben die Geflüchteten unter „seelischem Druck leiden müssen und gehaust wie im KZ“, sagt Günther.

Großrazzia im Hotel

In den frühen Morgenstunden des elften Januar dieses Jahres rollen Einsatzfahrzeuge der Polizei vor das Inzeller Hotel. Wagentüren schlagen und der Schnee der schlecht geräumten Einfahrt knirscht unter den Stiefeln der Polizisten. „Einige Dutzend Einsatzkräfte“ sind es nach Angaben des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd, die bei der groß angelegten Razzia das Gebäude stürmen, unterstützt von zwei Staatsanwälten.

25.000 Euro in bar gefunden

Sie kamen, um zwei Personen zu verhaften. Gegen den damaligen Pächter und seine mutmaßliche Komplizin lag ein Haftbefehl vor: wegen des dringenden Tatverdachts von Betrug und Wucher in einem besonders schweren Fall. Außerdem sollten im Zuge eines Durchsuchungsbefehls „das Gebäude, die Belegung und die Personen, die sich dort aufhalten“ angeschaut werden, wie Polizeisprecher Stefan Sonntag vom Polizeipräsidium Oberbayern Süd mitteilte. Der Einsatz dauerte Stunden. Am Ende hatten die Beamten Unterlagen gesammelt, Zeugen befragt, 25.000 Euro in bar gefunden und zwei Personen abgeführt.

Laut Staatsanwaltschaft Traunstein hatte der damalige Pächter zahlreiche Hotelzimmer an ukrainische Flüchtlinge vermietet und die Notsituation der Geflüchteten ausgenutzt. Das Jobcenter übernimmt für ukrainische Flüchtlinge die Mietkosten im Rahmen des Bürgergeldes. Bei der Untersuchung des Hotels wurden in 27 Zimmern jeweils zwei bis fünf Personen aufgefunden. Jede erwachsene Person habe eigene Mietverträge abgeschlossen, wodurch der ehemalige Pächter mehrfach Miete pro Zimmer kassiert haben soll. Die Staatsanwaltschaft berichtete beispielsweise von einer fünfköpfigen Familie, die sich ein Zimmer teilen musste.

Eingeschüchtert und Kontakt zur Außenwelt untersagt

Die mutmaßlichen Betrüger „wollten, dass die Ukrainer keinen Kontakt zur Außenwelt haben“, sagt der Flüchtlingshelfer Sebastian Günther. Er habe sich mit Geflüchteten außerhalb des Hotels in Inzell getroffen, um sie mit organisatorischen Dingen wie Behördengängen zu unterstützen. Als der damalige Pächter davon erfuhr, versuchte er laut Günther den Flüchtlingen den Kontakt zu dem Helfer zu verbieten. Das ließ sich Günther nicht gefallen.

Er organisierte sich mit den Ukrainern des Hotels über Whatsapp und half ihnen bei der Wohnungssuche. So habe er schon vor der Razzia einigen helfen können, eine neue Bleibe zu finden. Seine Bemühungen blieben von den mutmaßlichen Betrügern nicht unbemerkt und er sei aufgefordert worden, „die Finger von ihren Ukrainern zu lassen“, sagt Günther.

Staatsanwaltschaft ging von 100.000 Euro Schaden aus

Die Staatsanwaltschaft Traunstein teilte mit, dass im Zuge der Ermittlungen bereits im Dezember vergangenen Jahres festgestellt wurde, dass 123 Personen mit der Adresse des Hotels gemeldet waren. Etwa 100 Mietverträge wurden bei der Razzia im Januar sichergestellt. Damals ging die Staatsanwaltschaft von einem Schaden von rund 100.000 Euro aus. Die mutmaßlichen Täter landeten in Untersuchungshaft. Aber die Vermutungen der Staatsanwaltschaft trafen nicht zu.

Die Straftatbestände des Betrugs und des Wuchers durch Abrechnung überhöhter Mieten seien nicht nachweisbar, sagt Oberstaatsanwalt Dr. Rainer Vietze, Sprecher der Staatsanwaltschaft Traunstein, „da das Jobcenter aufgrund der bestehenden gesetzlichen Vorgaben verpflichtet ist, auch sehr hohe Mieten zu erstatten.“ Beide Angeklagten, die sich seit elftem Januar in Untersuchungshaft befunden haben, seien wieder „auf freiem Fuß“, teilt die Staatsanwaltschaft Traunstein mit.

Zu wenige Fälle nachweisbar

„Im Hinblick auf den Vorwurf der betrügerischen Mehrfachvermietung von Zimmern waren nur wenige Einzelfälle nachweisbar“, sagt Oberstaatsanwalt Vietze. Deshalb „wurde von der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft nach § 154 Absatz 1 Strafprozessordnung abgesehen.“

Strafprozeßordnung (StPO) - § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder

2. darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

„Ich finde das einen Skandal“, sagt Sebastian Günther und bezieht sich auf die widrigen Umstände, in denen die Geflüchteten gelebt haben sollen. Als er in Rente ging, habe er das Ehrenamt als Flüchtlingshelfer angefangen, da er sich in der Gemeinde engagieren wollte. „Meine Mutter musste im Krieg vor den Russen flüchten“, erzählt Günther und „als ich die Ukrainer am Bahnhof gesehen habe“, sei für den Rentner die Entscheidung klar gewesen.

Neue Straftaten entdeckt

Obwohl der ehemalige Pächter und seine Komplizin nicht mehr in Untersuchungshaft sitzen - nachweislich straffrei sind sie noch nicht. Die Staatsanwaltschaft Traunstein habe „gegen beide Beschuldigte jeweils den Erlass eines Strafbefehls beantragt“, sagt Oberstaatsanwalt Vietze. Von dem Ermittlungsverfahren wegen Betrug und Wucher wurde nur abgesehen, da die zu erwartende Strafe „angesichts der in den beiden Strafbefehlen verfolgten Straftaten nicht erheblich ins Gewicht fällt“, führt Vietze aus. Denn auf die beiden Angeklagten fällt ein neues Licht.

Wie die Staatsanwaltschaft Traunstein mitteilt, wird dem damaligen Pächter des Alpenhotels Gastager vorgeworfen, im März 2023 einen an eine ehemalige Bewohnerin adressierten Brief der Landesjustizkasse Bamberg unrechtmäßig geöffnet zu haben. Der Brief forderte die Frau auf, ihre Bankverbindung für eine Rückzahlung von 71.000 Euro anzugeben. Der Angeklagte soll seine eigene Bankverbindung eingetragen und die Unterschrift der Frau gefälscht haben. Dadurch seien die 71.000 Euro auf seinem eigenen Konto gelandet.

Betrug, Urkundenfälschung und Verletzung des Dienstgeheimnisses

Ihm wird Betrug, Urkundenfälschung und Verletzung des Dienstgeheimnisses vorgeworfen. „Im Strafbefehl wurde eine Freiheitsstrafe von einem Jahr verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde“, sagt Rainer Vietze. Zugleich sei die Einziehung von rund 71.000 Euro angeordnet worden.

Der früheren Mitarbeiterin und Komplizin des ehemaligen Pächters wird zur Last gelegt, einer Onlinebekanntschaft Geld abgeknöpft zu haben. Durch Vortäuschen falscher Tatsachen soll sie sich so 20.000 Euro erbeutet haben. Dieser Betrag soll nun laut Strafbefehl eingezogen werden. Ebenfalls sei für sie eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt worden, sagt Vietze. Deren Vollstreckung auch in ihrem Falle zur Bewährung ausgesetzt wurde. „Die beiden Angeklagten haben Einspruch eingelegt, sodass die Entscheidungen nicht rechtskräftig sind und der weitere Verlauf des Strafverfahrens abzuwarten bleibt“, schließt Oberstaatsanwalt Vietze.

Vonseiten des Hotels hieß es bereits im Februar, dass Renovierungsarbeiten stattfinden werden, um wieder einen touristischen Betrieb aufnehmen zu können. „Jetzt wohnen gerade noch 13 Geflüchtete im Hotel“, sagt Flüchtlingshelfer Sebastian Günther.

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