Coach Melanie Binder im OVB-Interview
„Brodelnde Vulkane unterm Weihnachtsbaum“? So verhindert man emotionale „Explosionsgefahren“
Die vierte Kerze auf dem Adventskranz leuchtet und das bedeutet, bald ist Weihnachten. Doch die schönen Festtage können schnell mal zu Ärger und Stress führen. Warum das so ist und wie man Streitereien an Heiligabend verhindern kann, verrät Coach Melanie Binder aus Kolbermoor.
Kolbermoor – Bald gibt es Geschenke, reichlich Festtagsessen und jede Menge Familienbesuche. Weihnachten ist für manche Menschen die schönste „Jahreszeit“. Daher muss für sie alles perfekt sein. Doch das kann dazu führen, dass man sich selbst zu viel Druck macht. Coach Melanie Binder aus Kolbermoor kennt das Problem und weiß, wie man das vermeiden kann. „Vielleicht hilft es schon, wenn man sich bewusst macht, was Weihnachten bedeutet und um was es wirklich geht“, sagt sie im OVB-Interview.
Um was geht es denn an Weihnachten?
Binder: Weihnachten geht weit über Geschenke, festliches Essen und funkelnde Dekoration hinaus. Weihnachten ist das Fest der Liebe. Wir dürfen uns auf das Wesentliche besinnen und bewusst Zeit mit uns und unseren Liebsten verbringen. Zeit ist eh das Wertvollste, was wir schenken können. Denn damit schenken wir ein Stück von unserem Leben. Kostenfrei, doch unbezahlbar.
Aber Weihnachten ist nur einmal im Jahr, also muss alles perfekt sein.
Binder: Und genau das ist das Problem: Diese idealisierten Vorstellungen von dem „perfekten Weihnachten“. Geprägt werden diese meist von gesellschaftlichen Erwartungen, die nach außen projiziert werden, durch Medien – inzwischen auch Social Media – und aus unserer eigenen Kindheit. Wir möchten eine „perfekte“ Weihnachtsatmosphäre schaffen, wie wir sie aus Filmen oder Werbungen kennen. Am liebsten Hollywood-like.
Warum ist das so?
Binder: Hinter dem Wunsch nach Kontrolle steckt oft die Angst, enttäuscht zu werden oder andere zu enttäuschen. Vor allem zu Weihnachten wollen wir, dass alles besonders schön ist, weil wir damit Harmonie und Liebe verbinden. Doch diese hohen Erwartungen setzen uns unnötig unter Druck und können dazu führen, dass wir den Moment nicht wirklich genießen. Und überhaupt, was ist schon das „perfekte Weihnachten“. Fängt doch schon bei der Vorstellung von einer weißen Weihnacht an. Wir dürfen uns von dem Hollywood-Bild einer perfekten Weihnacht lösen und unser Weihnachten so gestalten, wie wir es möchten. Meine Regel: Unperfekt ist das neue Perfekt und vor allem echt.
Ihr Tipp, um sich bei den Vorbereitungen der Festtage nicht unter Druck zu setzen?
Binder: Du musst nicht alles alleine machen. Du darfst dir Unterstützung holen. Klare und rechtzeitige Aufgabenverteilung ist eine Lösung, damit die To-do-Liste gar nicht erst so lang wird – und man vermeidet das „Ich schaffe das nicht-Gefühl“ bei einem selbst. Die meisten Familienmitglieder sind dankbar, wenn sie unterstützen können und eine klare Aufgabe haben. Idealerweise werden die Aufgaben gemeinsam in der Familie besprochen und aufgeteilt. Kommunikation und miteinander reden ist so wichtig! Heißt: priorisieren, was ist wirklich wichtig und delegieren, was davon kann ich abgeben oder mich unterstützen lassen.
Weihnachtszeit bedeutet für einige auch „Familienzeit“. Allerdings kann die auch schnell in Streitereien enden.
Binder: Kommunikation ist das A und O. Sprecht miteinander und nicht übereinander, das ist mein Credo an alle. Bei manchen Familien hat man das Gefühl, da sitzen lauter brodelnde Vulkane unterm Weihnachtsbaum. Explosionsgefahr liegt in der Luft! Das liegt nicht an Weihnachten, sondern daran, dass vieles übers Jahr (oder viele Jahre zuvor) nicht ausgesprochen, sondern lieber unter den Teppich gekehrt wird. Wer miteinander spricht, auch über unangenehme Themen, kann früher Dinge lösen, ohne dass sie eskalieren müssen. Losgelöst von Weihnachten.
Verlaufen Ihre Weihnachtsfeiertage ruhig?
Binder: Wir feiern in kleinem Kreis als Familie zu Hause in Kolbermoor. Am zweiten Weihnachtsfeiertag haben wir dann „Full House“, da kommt die ganze Familie zu Besuch – es wird zusammen gebruncht und in der großen Runde gefeiert.
Und wenn es mal doch zu viel wird, was machen Sie, um den Weihnachtsstress mal kurz zu vergessen?
Binder: Kleine Auszeiten für mich und die Besinnung auf das, was wirklich wichtig ist. Außerdem versuche ich auch all die Tipps, die ich meinen Klienten gebe, selbst zu berücksichtigen. Spannenderweise ist die Podcastfolge mit den 15 SOS-Tipps für ein friedliches und entspanntes Weihnachtsfest, die, die mit am häufigsten gehört wurde in meinem Podcast. Es scheint also vielen so zu gehen und es gibt viele Möglichkeiten zu entschleunigen und den Stress zu reduzieren.
Was ist für Sie das Schönste an dieser Zeit?
Binder: Weihnachten ist für mich immer eine ganz besondere, zauberhafte Zeit – oder wie unser Sohn sagen würde: „Weihnachten ist die schönste Jahreszeit!“. Seit unser Sohn auf der Welt ist, hat Weihnachten für mich nochmal eine neue Bedeutung bekommen. So darf ich Weihnachten auch immer wieder durch Kinderaugen miterleben.
Heißt?
Binder: Das beginnt mit dem ersten Adventskalendertürchen öffnen, geht über gemeinsam dekorieren, Plätzchen backen, wenn wir Lust dazu haben, Weihnachtsfilm anschauen und über den Weihnachtsmarkt schlendern hinaus. Einfach diese zauberhafte Zeit genießen, in der Tag für Tag Weihnachten näher rückt und die Vorfreude auf das Fest steigt. Es geht nichts über die strahlenden Kinderaugen, geträllerte Weihnachtslieder aus Kindermund und die Aufregung und Vorfreude auf das Christkind. Weihnachten ist und bleibt für mich die Zeit der Besinnung, Einkehr und das Fest der Liebe. Ich bin jedes Jahr dankbar dafür, wenn die besten Geschenke nicht unterm Baum liegen, sondern am Tisch sitzen und wir alle gesund und zufrieden sind.