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Gedenken in Wasserburg

„Eine verklausulierte Lizenz zum Töten“: Vortrag erinnert an NS-Verbrechen in Gabersee

Wolfgang Schmid, gelernter Pfleger, später Lehrer für Pflegeberufe und seit der Eröffnung des Gaberseer Psychatriemuseums im Jahre 2003 ehrenamtlicher Museumsleiter.
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Wolfgang Schmid, gelernter Pfleger, später Lehrer für Pflegeberufe und seit der Eröffnung des Gaberseer Psychatriemuseums im Jahre 2003 ehrenamtlicher Museumsleiter.

Das kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg hat mit einem bewegenden Vortrag an die Verbrechen der Nationalsozialisten in der Heil- und Pflegeanstalt Gabersee erinnert. Wolfgang Schmid, Leiter des Psychiatriemuseums, führte durch die düstere Geschichte der 1930er und 1940er Jahre.

Wasserburg – Das kbo-Inn-Salzach-Klinikum (ISK) erinnerte jüngst im Rahmen der Veranstaltungsreihe zur Erinnerungskultur mit einem bewegenden Vortrag an das düstere Kapitel der Heil- und Pflegeanstalt Gabersee während der Zeit des Nationalsozialismus. Wolfgang Schmid, Leiter des Psychiatriemuseums, führte das Publikum im Festsaal des Klinikums durch die erschütternden Ereignisse der 1930er und 1940er Jahre, in denen psychisch kranke Menschen systematisch entrechtet und ermordet wurden.

Der Erinnerungskultur verpflichtet

„Als Geschäftsführer des heutigen kbo-Inn-Salzach-Klinikums fühle ich mich der Erinnerungskultur in besonderem Maße verpflichtet“, so Dr. Karsten Jens Adamski zur Eröffnung der Veranstaltung. „Über 500 unschuldige Patientinnen und Patienten der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Gabersee wurden in den Jahren 1940 und 1941 nach Hartheim deportiert und dort getötet, nur weil ihr Leben aufgrund einer psychischen Erkrankung als unwert angesehen wurde“, zeigte sich Adamski erschüttert von den Verbrechen. „Diese Zahlen sind bedrückend.“, pflichtete Vizebezirkstagspräsident Rainer Schneider in seinem Grußwort bei. Die NS-Euthanasie sei die direkte Folge einer menschenverachtenden Ideologie gewesen und habe ihren Anfang auch in den Einrichtungen des Bezirks genommen. „Die Erinnerung an die Opfer muss wachgehalten werden, denn ein Blick in die jüngste Vergangenheit zeigt, wie schnell Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt werden“, mahnte Schneider. Er sei dem kbo-ISK für die Organisation der Veranstaltungsreihe zum Gedenken daher sehr dankbar. „Besonderer Dank gilt aber Ihnen, Herr Schmid. Ich danke Ihnen, dass Sie uns an Ihren Erkenntnissen teilhaben lassen und vor allem, dass Sie Ihre Forschungen betrieben haben, um wach zu halten, was nicht mehr sein darf“, wand sich der Vizebezirkstagspräsident direkt an den Referenten.

Wolfgang Schmid, gelernter Pfleger, später Lehrer für Pflegeberufe und seit der Eröffnung des Gaberseer Psychiatriemuseums im Jahre 2003 ehrenamtlich als Museumsleiter tätig, beleuchtet in seinem ergreifenden Vortrag die wechselhafte Geschichte der Anstalt. 1883 als innovative Musteranstalt gegründet, um die Kreisirrenanstalt in München zu entlasten, entwickelt sich Gabersee im weiteren Verlauf überaus erfolgreich. Das zugrundeliegende Konzept sah Arbeit in der Landwirtschaft und eine möglichst offene Unterbringung vor. Der Erste Weltkrieg galt dann als erster großer Einschnitt und warf die Einrichtung erheblich zurück. „Nach Kriegsende begann die Klinik sich zu erholen und man führte das vormals erfolgreiche Konzept weiter – bis 1933 die Nazis an die Macht kommen und ein komplettes Umdenken stattfindet.“, beschrieb Schmid die Entwicklung. Eine Folge der Machtübernahme: Eine radikale Neuausrichtung der Psychiatrie.

Die Ideologie, auf der diese basierte, sei jedoch keine alleinige Erfindung der Nationalsozialisten gewesen. So wies Schmid eindringlich darauf hin, dass Alfred Hoche, Leiter der psychiatrischen Anstalt von Freiburg, und der Jurist Karl Binding bereits 1920 einen Aufsatz verfassten, der den Nazis als Blaupause diente. „Als diese beiden ,Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens‘ verfassten, da waren die Nazis noch eine Splitterpartei in Münchener Bierkellern“, so Schmid. „Dieses abscheuliche Gedankengut gipfelte schließlich im berüchtigten ,Führerbefehl‘ von 1939. Das war eine verklausalierte Lizenz zum Töten.“ Schmid schilderte eindringlich, wie dieser Befehl schließlich im Rahmen der Aktion T4 umgesetzt wurde. „Die Opferzahlen in Gabersee umfassen nach neuesten Erkenntnissen 498 Menschen, die in der Reichsanstalt Hartheim ermordet wurden sowie 94 Personen, die der „Wilden Euthanasie“ in Haar zum Opfer fielen. Insgesamt töteten die Nazis somit alleine aus Gabersee 592 Frauen und Männer.“

Ambivalente Haltung

Als äußerst ambivalent beschrieb Schmid die Haltung des damaligen Anstaltsleiters Dr. Friedrich Utz. Dieser stemmte sich nach der Machtergreifung gegen den Verfall der Einrichtung und opponierte gegen den Führerbefehl, indem er keine Meldebögen über den Zustand seiner Patienten einreichte. Zugleich war er jedoch Mitglied im Erbgesundheitsgericht Rosenheim und entschied dort über Zwangssterilisationen. Diese seien von ihm, wie auch von der Mehrheit der Pflegenden gebilligt worden. „Ich habe mich viel damit beschäftigt und kann mit Fug und Recht behaupten, dass die meisten Pflegekräfte von den Zwangssterilisationen überzeugt waren. Nur die Barmherzigen Schwestern im Wasserburger Krankenhaus haben das nicht unterstützt und so musste die Gaberseer Belegschaft dort selbst operieren.“, erklärte Schmid.

Nach der offiziellen Auflösung der Heil- und Pflegeanstalt Gabersee am 1. April 1941 beherbergte der Komplex zunächst ein Heim der sogenannten Kinderlandverschickung, gefolgt von einem Reservelazarett und dem Leitstab Nord des Oberkommandos der Luftwaffe, „ehe schließlich die Amerikaner am 2. Mai 1945 dem Nazi-Spuk ein Ende bereiteten“, berichtete Schmid. Von März 1946 bis Juni 1950 diente Gabersee als Lager der Vereinten Nationen für „Displaced Persons“ – jüdische Auswanderer aus Polen, der Ukraine und Weißrussland, die auf ihre Emigration nach Palästina, die Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada oder Australien warteten.

Am 1. September 1953 erfolgte die Wiedereröffnung der Klinik unter der Leitung von Dr. Friedrich Hölzel. „Die Vergangenheit wurde schnell und pragmatisch aufgearbeitet, der Persilschein im Personalakt abgeheftet – das reichte aus“, resümierte Schmid. Der Aufarbeitung der Verbrechen habe man sich laut Wolfgang Schmid zu spät angenommen. So sei bis Anfang der Neunziger kaum etwas passiert. „Gott sei Dank ist das besser geworden. Jetzt bekommen die Opfer – wie beim Mahnmal in Wasserburg – auch ihre Namen zurück. Ein sehr wichtiger Schritt, denn bis dahin waren sie namenlos. Jetzt werden aus Opfern wieder Menschen. (re)

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