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Verbrechen auf dem Stemmerhof im Jahr 1942

Vom Rattengift zum Klappmesser – Die Geschichte der mordenden Magd von Wasserburg

Auf diesem Hof arbeiteten damals der Fuhrknecht Leonhard Eder und die Magd Cäzilie Bauer.
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Auf diesem Hof arbeiteten damals der Fuhrknecht Leonhard Eder und die Magd Cäzilie Bauer.

Leonhard Eder war taubstumm und arbeitete als Fuhrknecht auf dem Stemmerhof in Wasserburg. Eines Tages im Jahr 1942 lag der 60-Jährige verblutet in seiner Kammer – und nach mehreren Wochen geriet plötzlich eine junge Magd in Verdacht.

Wasserburg – Am 2. Februar 1942 herrscht Aufruhr auf dem Stemmerhof. Die Polizei fährt zum Sägewerk in Bachmehring bei Wasserburg am Inn. Die Knechte, Mägde, Melker und auch die Gutsbesitzer Stemmer können es kaum fassen. Der Stummerl – so nannten alle den Fuhrmann auf dem Hof – hat sich umgebracht. Die Polizisten halten fest: Leonhard Eder, 60 Jahre, taubstumm, ist verblutet. Mit seinem Klappmesser hat er sich Pulsadern und Halsschlagader durchtrennt. Drei Wochen später liegt der Fall als Suizid bei den Akten.

Aber eigentlich war es Mord. Ulrike Hofmann ist Archivarin im Staatsarchiv München und beschäftigt sich mit historischen Fällen. Und dieser Fall lässt sie nicht los. Grund ist die mordende Magd Cäzilie Bauer. Wegen ihr ist die Ermittlungsakte Gesellschaftsstudie, Familiendrama und Kammerspiel in einem. Hofmann hat sie studiert – vom ersten Bericht der Landpolizei bis zu Bauers Hinrichtungsprotokoll. „Was den Fall so spannend macht, ist das Biotop an Beziehungsgeflechten auf dem Hof“, sagt sie. „Die Stemmers und die Angestellten leben unter einem Dach. Es gelten strenge Hierarchien, es gibt Liebeleien und es wird getratscht.“

Auf diesem Hof arbeiteten damals der Fuhrknecht Leonhard Eder und die Magd Cäzilie Bauer.

Wenige Wochen nach dem Tod Eders wird die junge Magd des Hauses, Cäzilie Bauer, des Mordes bezichtigt. Die Polizeidirektion München und die Staatsanwaltschaft München übernehmen den Fall. Und so lässt sich heute, 82 Jahre später, rekonstruieren, was an Lichtmess im Kriegsjahr 1942 auf dem Stemmerhof passiert ist. Nachdem Eder an jenem Morgen nicht zum Kaffee erscheint, schickt die Hausherrin die Dienstmagd mittags in seine Kammer. Cäzilie kommt zurück – und berichtet vom Blutbad. Sie habe noch gesehen, wie der Eder sich mit dem Messer mehrmals in den Hals gestochen habe. Der Stummerl war eigen. Aber was trieb ihn in den Selbstmord? Ein Rätsel.

Sägewerksbesitzer ist misstrauisch

Sägewerksbesitzer Rupert Stemmer will die Geschichte seiner Magd von Anfang an nicht glauben. Cäzilie hat ihm schon mal Brot und Geräuchertes gestohlen und es ihrer Familie geschickt. Die 25-Jährige ist für ihn zwar eine passable Arbeiterin, aber nicht sehr vertrauenswürdig.

Außerdem, so glauben die Herrschaften, hätte sich in der Kassette vom Stummerl viel mehr Bargeld befinden müssen. Nur 150 Reichsmark hat die Polizei darin gefunden. Stemmer hätte auf 3000 getippt. Der Stummerl war Jungeselle und akribischer Sparer. Cäzilie muss ihn ausgenutzt haben.

Das Sterbebild wurde auf Eders Beerdigung verteilt. Darauf ist weder von Selbstmord noch Mord die Rede.

„Cäzilie Bauer ist eine Frau, die leben will“, sagt Hofmann. „Sie geht gerne ins Café, will schöne Kleider tragen und sich die schiefen Zähne richten lassen.“ Luxus, der für die Magd unerschwinglich ist. Cäzilie ist in Armut in einer Eisenbahner-Familie in Wolfratshausen aufgewachsen. Die Familie ist rechtschaffen, rettet sich aber durch kleinere Diebstähle immer mal wieder vor dem Hunger. Mit Anfang 20 tritt Cäzilie den Dienst in Wasserburg an. Ein sozialer Aufstieg – doch sie giert nach mehr.

„Dieses junge Madl geht kompromisslos vor und kommt mit der Selbstmord-Geschichte erstmal davon“, sagt Hofmann. „In den Akten finden sich Briefe, die sie später aus der Haft an ihre Eltern schreibt. Sie sieht sich als Opfer. Sie erkennt nie, dass sie ein Menschenleben ausgelöscht hat.“ Besonders bitter für Cäzilie: Gusti, ihre eigene Schwester, hat sie an die Polizei verraten. Hier wird die Akte zum Familiendrama.

Rattengift im Bier

Gusti Brandl lebt in München. Cäzilie hatte ihr oft erzählt, dass ihr der Stummerl schöne Augen macht. Vielleicht handelt sie also auf den Rat ihrer großen Schwester, als sie dem viel älteren Fuhrmann verspricht, ihn zu heiraten. Eder gibt ihr immer wieder Geld, damit sie alles für den gemeinsamen Haushalt anschaffen kann. Die Bediensteten auf dem Hof bekommen die Liebelei mit. Und der Hausherrin fällt auf, dass sich Cäzilie kofferweise schöne Dinge anschafft, die sie sich nie leisten könnte.

Eder drängt Cäzilie immer heftiger zur Heirat. Sie will den nervigen Liebhaber loswerden, mischt ihm mehrmals Rattengift ins Bier. Jedes Mal wird er krank, stirbt aber nicht. „Und immer wieder ist er geworden, da kannst tun, was magst“, erzählt Cäzilie ihrer Schwester. Genau wie von Lichtmess, als ihr Plan aufging. „Ich habe mir keinen Ausweg gewusst: Ich stand um vier Uhr früh auf und schlich mich in seine Kammer. Ich wollte bei ihm einen Selbstmordversuch vortäuschen und habe ihm die Pulsadern aufgeschnitten.“ Im Schlaf war Eder sediert. Cäzilie hatte ihm am Abend zuvor Schlaftabletten ins Bier gemischt. Schreien konnte er ja nicht. Als sie mittags sah, dass er noch lebt, stach sie zu.

Die Verhandlung dauert nur einen Tag

Nach dem Mord kommt es zum Zerwürfnis zwischen den Schwestern. Cäzilie besucht Gusti in München– mit viel Geld im Gepäck. Sie prassen, bis Gustis Mann die umtriebige kleine Schwester loshaben will und seine Frau zur Polizei schickt. Am nächsten Tag wird Cäzilie verhaftet.

Am 15. Oktober 1942 gesteht sie die Tat vor dem Sondergericht am Landgericht München I. Das Urteil lautet: Todesstrafe. Die Verhandlung dauert nur einen Tag, Cäzilies Pflichtverteidiger geht nicht in Revision. So machten die Sondergerichte der Nazis kurzen Prozess mit Gewaltverbrechern.

Familie Bauer zerbricht. Vater Josef Bauer glaubt Cäzilie, nicht Gusti. Verzweifelt schreibt der Veteran vor der Hinrichtung einen Brief an den „Herrn Führer und Reichskanzler“. Hinweise auf eine Antwort enthält die Akte nicht. Aber ein Plakat, das einst leuchtend rot gewesen sein muss. Es verkündet den heimtückischen Mord am Fuhrmann durch die weibliche Intrige – und dass Cäzilie Bauer hingerichtet worden ist. Das Plakat hängt damals vier Tage in ganz Wasserburg aus. 15 Sekunden dauert es, bis der Scharfrichter das Fallbeil löst. Auch das steht in der Akte.

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