„Die Wünsche der Angehörigen gehen über alles“
Der Tod begleitet ihn täglich: So versorgt Bestatter Tobias Rieger aus Wasserburg Verstorbene
Leichen waschen, trauernde Angehörige begleiten und Beisetzungen organisieren: Tobias Rieger aus Wasserburg ist Bestatter aus Leidenschaft. Täglich präpariert er Leichen für Beerdigungen. Wir haben ihn bei seiner Arbeit begleitet.
Wasserburg/Ebersberg – Donnerstagvormittag, in der Nähe von Ebersberg. Arbeitsbeginn für Alexander Runge und Tobias Rieger. Der Raum, in dem die beiden arbeiten, mutet ein bisschen an wie ein Operationszimmer. Es ist steril, stählern, in den Schubläden und Schränken befinden sich Verbandszeug, Tupfer, Kanülen. Auch Runge und Riegers Kleidung erinnert an einen OP: Ein gelber Einmalkittel, zwei Lagen Handschuhe. Und doch hat das, was hier in diesem Raum passiert, wenig mit Leben retten zu tun. Denn die Menschen, die Runge und Rieger auf ihrer Stahlliege behandeln, sind bereits verstorben.
Die beiden arbeiten im Bestattungsunternehmen Riedl, einem der größten der Region. Die Firma hat Außenstellen in Wasserburg, Edling und Haag. Hier am Hauptsitz in Ebersberg befindet sich der sogenannte Versorgungsraum, hier werden Verstorbene kurz nach ihrem Tod noch einmal gewaschen und angekleidet. Sozusagen fertig gemacht für die weitere Reise. An diesem Donnerstag liegt Herr S. auf der Trage. Ein Mann um die 90 Jahre.
Meist wird der Körper zuhause gewaschen
Nicht immer würden solche Waschungen im Versorgungsraum stattfinden, erklärt Rieger. Im Gegenteil: „Meistens machen wir das bei den Angehörigen zuhause“, erzählt der Wasserburger. Je nach Wunsch kann die Familie dabei auch mithelfen. „Viele verlassen aber auch den Raum, sie wollen das nicht sehen.“ Und dann gibt es noch Verstorbene wie Herr S., die nach Ebersberg gebracht werden, um hier gewaschen zu werden. „Das war sein Wunsch“, erklärt Rieger. Herr S. hatte noch zu Lebzeiten vereinbart, wie er sich sein Ableben vorstellt. Bis ins Detail ist alles geklärt: Eine Urnenbestattung soll es sein, davor soll eine Waschung im Versorgungsraum erfolgen. Sogar die Kleidung, die er bei seiner Verbrennung tragen will, hatte er noch vor seinem Tod beim Bestatter hinterlegt.
Rieger und seine Kollegen halten sich genau an diese Wünsche. Denn Respekt ist die Prämisse, die ihre Arbeit prägt. „Was man immer bedenken muss: Hier liegt kein Stück Fleisch. Das ist ein Mensch“, sagt Runge. Rieger nickt. Wenn die beiden von ihrer Arbeit sprechen, beschreiben sie sie als „abwechslungsreich“, „schön“, „bereichernd“. Sie finden immer neue positive Adjektive, bei einem Thema, das viele ihr Leben lang gerne vermeiden und ausblenden. Der Beruf ist für beide eine Berufung, zu der sie über viele Stationen gekommen sind.
Über Umwege zum Beruf des Bestatters
Tobias Rieger (23) ist ursprünglich gelernter Zimmerer, ein Unfall machte es ihm unmöglich, seinen Beruf weiter auszuführen. Die Suche nach einem neuen Beruf führte ihn schließlich zu einem Praktikum bei Riedl, wo er blieb –warum kann er nicht genau sagen. Denn wenn man ihn fragt, warum jemand Bestatter wird, warum sich jemand freiwillig tagtäglich mit trauernden Menschen umgeben will, lacht er und sagt: „Das wüsste ich auch manchmal gerne.“
Und doch liebt er seinen Beruf. Vor allem den Innendienst, also die Beratung Trauernder, ist seine Leidenschaft. „Ich mag den Umgang mit Menschen, sie zu unterstützen und beraten“, sagt er und zuckt mit den Schultern. „Das kann ich gut.“ Aber natürlich müsse man aufpassen, die Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen. Nicht jeder könne das. Für ihn sei das aber kein Problem. „Wenn ich in meinen Anzug schlüpfe, ist das wie ein Kostüm für mich. Dann bin ich Bestatter, wenn ich ihn wieder ausziehe, dann habe ich damit nichts mehr zu tun.“
Bald startet Rieger mit der Meisterschule, denn er ist einer der wenigen Bestatter in Bayern mit entsprechender Ausbildung. Denn die meisten, die in dieser Branche arbeiten, sind angelernt, so wie Alexander Runge. Lange Jahre, erzählt er, sei er bei der Stiftung Attl als Einzelbetreuer tätig gewesen. „Dann hatten wir einen Todesfall in der Gruppe.“ Runge durfte bei der Arbeit der Bestatter zusehen und dabei habe es ihn gepackt. „Am nächsten Tag habe ich angerufen und gefragt, ob ich mir den Beruf mal ansehen darf.“ Seitdem ist Runge beim Bestattungsunternehmen im Außendienst tätig. Heißt: Er geht zu den Friedhöfen, lässt Särge hinab, trägt Urnen zu ihren Gräbern und wäscht Verstorbene.
„Die Wünsche der Angehörigen gehen über alles.“
Die Handgriffe der beiden sind routiniert. Mit wenigen Griffen ist Herr S. entkleidet. Mit einem Tuch decken sie den Intimbereich ab – aus Respekt und Pietät. Dann hält Rieger die Hose hoch. „Wollen die Angehörigen die behalten?“, eine Frage, die er immer stelle, denn: „Dieser Wunsch kommt sehr oft vor“, sagt er und setzt hinzu: „Die Wünsche der Angehörigen gehen über alles.“ So habe er auch schon mal einem Verstorbenen einen Brief hier im Versorgungsraum vorgelesen, weil seine Ehefrau das so wollte. „Sie war gar nicht da, sie hat das also gar nicht mitbekommen.“ Rieger las den Brief trotzdem vor. „Wir tun unser Möglichstes, um alle Wünsche zu erfüllen“, sagt er. Das sei ihm wichtig. „Wenn hier meine Mutter, mein Vater oder jemand anderes aus meiner Familie liegen würde, würde ich auch wollen, dass mit ihnen respektvoll umgegangen wird und alle Wünsche beachtet werden.“ Bei Herrn S. wollten die Angehörigen die Kleidung nicht haben, sie wird entsorgt.
Nach dem Entkleiden wird alles „Unschöne“ und Störende entfernt: Der Blasenkatheter wird vorsichtig gezogen, Pflaster, die wohl vom EKG-Gerät übrig geblieben sind, werden abgemacht. „Wir müssen vorsichtig sein, seine Haut ist schon etwas rissig“, sagt Rieger und begutachtet eine offene Stelle am Arm des Verstorbenen. „Das müssen wir nachher verbinden“, sagt er, „nicht dass uns die Wunde noch das Hemd durchblutet.“ Denn auch nach dem Tod könnten offene Stellen nachbluten. Vor dem Verbinden wird aber noch gewaschen. Ein ganz normaler Brausekopf dient dafür. Anschließend wird Herr S. mit Papierhandtüchern abgetrocknet und dem Verstorbenen werden seine hinterlegten Kleider – Anzughose und ein rot kariertes Hemd – angezogen.
Ein Gebiss aus Watte wird „gebaut“
Dann kümmern sich Rieger und Runge noch um das Gesicht, denn Herr S. trägt kein Gebiss. „Wenn er eines tragen würde, würden wir es einfach drin lassen“, erklärt Runge. In diesem Fall „baut“ Runge Herrn S. ein Gebiss aus Watte. „Sonst sieht das nicht schön aus. Alles, was wir hier tun, muss reversibel sein“, erklärt er. Sollte aus irgendeinem Grund nach der Beerdigung doch noch eine Obduktion angedacht werden, müsse es den Rechtsmedizinern möglich sein, den Körper ohne Weiteres in den Ursprungszustand zurückzuversetzen.
„Ich ermutige Angehörige, sich zu verabschieden“
Es ist eine einfache Versorgung, wie Runge und Rieger feststellen. Manchmal sei das auch anders. Bei Opfern von Verkehrsunfällen, Zugunglücken oder Suizidanten sei die Versorgung oft schwieriger. „Manchmal ist vom Körper kaum etwas übrig“, bedauert Rieger. Für die Familienmitglieder und Freunde der Verstorbenen oft herausfordernd. In solchen Fällen muss Rieger deshalb kreativ werden. „Wenn wir den Anblick den Angehörigen nicht zumuten können, dann decken wir zum Beispiel nur eine Hand auf“, erzählt er und erklärt, dass er alle Trauernde darin bestärke, die Möglichkeit der Verabschiedung wahrzunehmen. Natürlich werde niemand gezwungen. „Aber ich ermutige sie. Denn den Verstorbenen noch einmal zu sehen, ist ein wesentlicher Teil des Trauerprozesses. Viele Angehörige erkennen erst dann: Ja, das ist er oder sie“, sagt Rieger. „Danach können sie oft erst wirklich trauern.“
Auch Herr S. wird nochmal in den Verabschiedungsraum kommen. In wenigen Tagen folgen dann das Krematorium und anschließend die Urnenbeisetzung. Dafür wird er von Runge und Rieger in einen schlichten Sarg gebettet und mit einer weißen Samtdecke zugedeckt. Runge nickt zufrieden. „Gut siehst du aus, junger Mann“, sagt er zu Herrn S., bevor er gemeinsam mit Rieger den Sarg verschließt.