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Sind die Wasserspeicher voll?

„Die Fuizn sind unser Problem“: Renaturierte Hochmoore und die Flut von Raubling

Blick auf ein einstiges Torfabbaugebiet in der Kollerfilze, das sich inzwischen zu einem See entwickelt hat.
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Durch die Renaturierung der Kollerfilze sind traumhafte Landschaften entstanden wie an der Nicklheimer Moorstation. Bis 2005 war hier noch eine durch industriellen Abbau ausgetrocknete, schwarze Torfwüste.

Am 3. Juni schoss die braune Brühe aus allen Richtungen nach Kirchdorf und Raubling. „Das Problem sind die Fuizn“, sind viele überzeugt. Doch können renaturierte Hochmoore wirklich zur Überflutung führen? Oder schützen sie eher vor Hochwasser? Das sagen die Experten.

Raubling – „Das Wasser kommt aus der Fuizn. Das ist unser großes Problem“, beobachten die Raublinger bei Unwettern. „Ganz im Gegenteil: Nasse Moore können Wasser wie ein Schwamm aufnehmen und speichern, den Abfluss verzögern und so Abflussspitzen reduzieren“, sagt das bayerische Umweltministerium. Doch was ist Realität und was Theorie? Die Gemeinde Raubling hat einen Plan: „Wir werden es genau beobachten, analysieren und bei Bedarf den Wasserstand im Moor absenken, um unsere Bürger zu schützen.“

Meilenstein der Moor-Renaturierung

1100 Hektar der Rosenheimer Stammbeckenmoore wurden in den vergangenen 20 Jahren wieder vernässt. Ein einzigartiges Klimaschutz-Projekt, denn trockengelegte Hochmoore gasen Kohlendioxid aus, wiedervernässte Hochmoore hingegen speichern CO2 und wirken so der Klimaerwärmung entgegen.

Die Karte zeigt die Lage und den Stand der Renaturierung der Rosenheimer Stammbeckenmoore.

Bei der Wiedervernässung werden die künstlichen Entwässerungsgräben der einstigen Torfabbaugebiete mit Staubauwerken verschlossen, um das Regenwasser anzustauen und im Bereich des Moores zu halten. Es soll unterirdisch über den Torf in die Fläche drücken und so den Boden wiedervernässen. Oberirdisch wird das Regenwasser von den Torfmoosen gespeichert.

Durch diese natürliche Retention soll sich über Jahrzehnte oder vielleicht auch Jahrhunderte wieder ein Hochmoor mit seiner typischen Flora und Fauna entwickeln.

Wären trockene Abbaugruben ein besserer Rückhalt?

Ein Blick in die Kollerfilze an der Nicklheimer Moorstation: Dort, wo einst Torf abgebaut wurde, haben sich durch den Anstau tiefe Wasserflächen gebildet. Könnten sie zur Überflutung von Raubling geführt haben? Und wäre ein trockenes Moor mit den alten, tiefen Abbaugruben nicht ein besserer Rückhalt für Starkregen? Das sind Fragen, die sich die Raublinger nach dem verheerenden Unwetter vom 3. Juni stellen.

Wo einst Torf abgebaut wurde, sind durch den Anstau des Regenwassers inzwischen auch tiefere Wasserflächen entstanden, die allmählich verlanden werden. Werden sie bei Starkregenereignissen zur Gefahr für die umliegenden Orte?

„Intakte oder renaturierte Moore können große Mengen an Wasser aufnehmen und speichern. Entwässerte Moore hingegen verhalten sich vollkommen anders. Trockener Torf hat hydrophobe, also wasserabweisende Eigenschaften“, erklärt ein Sprecher des bayerischen Landesamtes für Umwelt auf OVB-Anfrage. „Dadurch fließt das Wasser an der Oberfläche ab oder kann sich dort sogar aufstauen. Es dringt nicht oder kaum in den Boden ein.“ Das bayerische Umweltministerium wird in seiner Aussage sogar noch deutlicher: „Im entwässerten Zustand können Moore Hochwassersituationen verschärfen, wenn ihre Torfe degradiert und verdichtet sind.“

Gesunde Moore sind Starkregenpuffer

Gesunde Moore hingegen sind Starkregenpuffer. „Ein Kubikmeter Torf kann bis zu 950 Liter Wasser speichern. Oder anders gesagt: Ein Moor kann rund 80 Millimeter pro 100 Millimeter Wassersäule speichern, ohne dass es zu einem Oberflächenabfluss kommt“, informieren die Bayerischen Staatsforsten. „Moorschutz ist somit Hochwasserschutz.“

Trotzdem könne keine pauschale Aussage zum Einfluss eines renaturierten Moores auf den Hochwasserschutz getroffen werden, schränkt das Landesamtes für Umwelt ein: „Moore sorgen bei einem Hochwasser dafür, dass der Wasserabfluss verlangsamt und die Hochwasserspitze abgemildert wird.“ Das „Zuviel“ an Wasser werde gefiltert und anschließend über mehrere Tage wieder an die Umgebung abgegeben. Aber: „Die Ausprägung dieser Eigenschaft wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, beispielsweise von den Eigenschaften des Torfes, der Hangneigung, der Vegetationsbedeckung oder der Art der umgebenden Landschaft.“

Ein Ausschnitt aus dem Bayernatlas: Das Gelände fällt von den Hochmooren aus in Richtung Kirchdorf und Raubling ab.

Geländegefälle in Richtung Raubling

Ein Blick in die topografischen Karten des Bayernatlas zeigt, dass die Raublinger Stammbeckenmoore von etwa 470 Metern über dem Meeresspiegel im Norden gen Süden auf 480 Meter ansteigen. Das die Stammbeckenmoore umgebende Gelände steigt nach Süden in Richtung Farrenpoint an. Wiechs liegt auf 498 und Bad Feilnbach auf 521 Metern Höhe.

Ein Blick in den Osten zeigt: Nicklheim ist umgeben von wiedervernässten und noch nicht renaturierten Mooren, mit 469 Metern aber fast auf gleicher Geländehöhe. Wenige Kilometer weiter im Osten aber liegen Kirchdorf (460 m) und Raubling (458 m) fast zehn Meter unter dem topografischen Niveau der Moorgebiete.

Land unter am Enzianweg in Kirchdorf am 3. Juni.

Grundsätzlich, so erklärt das Bayerische Umweltministerium, puffern Moore Niederschläge. „Naturnahe Moore zeigen im Jahresverlauf einen stabilen Grundwasserflurabstand, das heißt, dass der Abstand zwischen der Geländeoberfläche und den zu- und abnehmenden Moorwasserständen nahezu gleich bleibt, wodurch sich besondere Effekte auf den Wasserhaushalt ergeben.“ Somit würden sie sich insbesondere bei kleineren Hochwasserereignissen positiv auf das Abflussgeschehen auswirken und könnten zum Schutz vor Hochwasser beitragen. Aber: „Die tatsächliche Wasserspeicherfähigkeit eines Moores ist zum einen von der Mächtigkeit des Moorbodens und zum anderen auch von der Vorsättigung abhängig.“

Hydrologische Situation am 3. Juni

Am 3. Juni war die hydrologische Situation besonders, die Landschaft gesättigt. Es hatte seit Tagen geregnet. „Als sich die extreme Starkregenzelle über der Region ergoss, war die Speicherkapazität der Landschaft bereits erschöpft. Die gesamte Fläche war sozusagen natürlich versiegelt“, erklärt Dr. Tobias Hafner, der Leiter des Wasserwirtschaftsamtes Rosenheim. In solch extremen Unwettersituationen fließen Oberflächenwässer unkontrolliert ab. Sind diese extremen Niederschläge noch dazu örtlich begrenzt, verwandeln sich Oberflächenwässer in Sturzfluten. Am 3. Juni kam zum flächenhaften Oberflächenabfluss auch noch das Wildbachhochwasser hinzu. Und so kam das Hochwasser in Kirchdorf und Raubling tatsächlich aus allen Richtungen kam.

Am 3. Juni wurde die Neue Kreisstraße (links) und die Feuerwehr Raubling (rechts) überflutet. Kam das Wasser aus dem Moor oder aus der gesamten Landschaft?

Auch Wasserspeicher haben ihre Grenzen

Auch die Wasserspeicherfähigkeit eines Moores kann an ihre Grenzen kommen: „Besonders bei starken und länger andauernden Niederschlägen“, sagt das bayerische Umweltministerium. „Deswegen sind auch technische Hochwasserschutzmaßnahmen notwendig, um zum Beispiel Siedlungsbereiche zu schützen.“

Gegenwärtig installieren die Bayerischen Staatsforsten in den Eulenauer, Hochrunst- und Kollerfilzen Pegelmessstellen. Sie sollen nicht nur Auskunft über die Entwicklung des Moorwasserspiegels geben, um das Fortschreiten der Renaturierung der Moore zu bewerten. Sie liefern künftig auch konkrete Fakten darüber, wie sich Moore bei Unwettern und Sturzfluten verhalten und welchen Einfluss sie auf die Hochwasserlage vor Ort haben. Dadurch wird sich auch die Sicherheit der Anrainer verbessern, denn es sollen Pegelstände definiert werden, die einen Alarmzustand für die Umgebung der renaturierten Moore anzeigen.

Diese Zahlen werden zeigen, ob sich das Gefühl der Menschen bestätigt, dass das renaturierte Moor abgesenkt werden sollte, damit Raubling nicht mehr überflutet wird. Oder ob das Moor den Starkregen speichert und den Ort schützt. Auch die Gemeinde bekommt auf diese Weise neue Fakten für den Hochwasserschutz ihrer Bürger.

Ein Blick zurück: Die Nutzung und Renaturierung der Filzen

Ein Blick in die jüngste Historie der Rosenheimer Stammbeckenmoore: Vor rund 200 Jahren begann der Mensch wegen zunehmenden Energiebedarfs und Holznot den Torf als Energieträger zu nutzen und die Hochmoore des Raublinger Stammbeckens systematisch trockenzulegen und abzubauen. In den Nachkriegsjahren erreichte der Brenntorfabbau seinen Höhepunkt – sowohl maschinell als auch durch Handstich.

In Bayern gingen 95 Prozent der Moore durch Trockenlegung, Abbau und Aufforstung verloren. Auch alle größeren Moore im Rosenheimer Stammbecken – die Nicklheimer Filze, Eulenauer Filze, Roten Filze, Pangerfilze und die Kollerfilze wurden durch den Torfabbau erheblich beeinträchtigt. Lediglich die Sterntaler Filze ist noch naturnah und vermittelt einen Eindruck ursprünglicher Hochmoor-Landschaft, wie sie ehemals die gesamten Raublinger Stammbeckenmoore geprägt hat.

Schon in den 1970er-Jahren begannen die Bayerischen Staatsforsten mit der Renaturierung der Flächen. Heute sind etwa 1100 Hektar der Rosenheimer Stammbeckenmoore wieder vernässt. So wurden im Rahmen des EU-Projektes „LIFE Natur Rosenheimer Stammbeckenmoore“ von 2005 bis 2010 rund 620 Hektar durch Trockenlegung und Torfabbau geschädigte Hochmoore renaturiert – in der Abgebrannten Filze, der Hochrunstfilze und Sterntaler Filze.

Weitere rund 120 Hektar wurden in der benachbarten Kollerfilze nach Beendigung der Frästorfgewinnung wiedervernässt. Der Landkreis Rosenheim und die Bayerischen Staatsforsten veranlassten schließlich die Wiedervernässung weiterer rund 60 Hektar Moor. Von Oktober bis Dezember 2012 wurden von der Regierung von Oberbayern weitere fast 300 Hektar Moor renaturiert. Für die Wiedervernässung von Mooren sind wasserrechtlichen Genehmigungsverfahren erforderlich, bei denen auch die Belange des Hochwasserschutzes mit einbezogen werden.

Quelle: Umwelt-, Kultur- und Sozialstiftung im Landkreis Rosenheim und Gemeinde Raubling

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