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Unterirdischer Stauraum für drei Millionen Liter Wasser

Warum die Kolbermoorer Kanalisation Starkregen trotz riesiger Rückhaltebecken nicht schlucken kann

Bei Starkregen wissen die Kolbermoorer inzwischen, dass die Tonwerksunterführung kurzzeitig unter Wasser steht. Doch woran liegt es, dass die Kanalisation die Niederschläge nicht schnell genug schlucken kann?
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Bei Starkregen wissen die Kolbermoorer inzwischen, dass die Tonwerksunterführung kurzzeitig unter Wasser steht. Doch woran liegt es, dass die Kanalisation die Niederschläge nicht schnell genug schlucken kann?

Die Tonwerks-Unterführung in Kolbermoor steht immer wieder unter Wasser. Dabei ist sie neu und müsste auf Starkregen-Ereignisse ausgelegt sein. Woran liegt es also, dass die Entwässerung trotzdem nicht funktioniert? Kolbermoorer Experten klären auf.

Kolbermoor – Solange alles läuft, interessiert sich kein Mensch fürs Abwasserkanalsystem einer Stadt. Doch bei Unwettern – wenn es Gullideckel aus ihrer Verankerung drückt oder die Tonwerksunterführung in Kolbermoor mal wieder unter Wasser steht – weiß plötzlich jeder, wer für die Probleme verantwortlich ist: „Die klugen Ingenieure.“ So zumindest wird in den sozialen Medien gelästert. Doch woran liegt es wirklich, dass die Kolbermoorer Kanalisation den Starkregen nicht schlucken kann?

135 Kilometer Abwasserleitungen

135 Kilometer lang sind die Haupt- und Anschlussleitungen der öffentlichen Regen-, Schmutz- oder Mischwasserkanäle der Stadt Kolbermoor. „19.520 Einwohner sind ans öffentliche Kanalnetz angebunden. Etwa 280 Einwohner entsorgen ihre Abwässer in biologischen Kleinkläranlagen. Sie sind vom Anschlusszwang ausgenommen, weil ihre Anbindung ans öffentliche Netz aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar gewesen wäre“, erklärt Benjamin Nabel vom Technischen Bauamt der Stadt.

Kontrolle der öffentlichen Anlagen

Die öffentlichen Anlagen werden fortlaufend überprüft. „Unser Stadtgebiet ist in zehn Bereiche aufgeteilt, einer pro Jahr wird mit der Kamera befahren“, so Nabel. Zuletzt wurde das Kanalnetz im Bereich östlich des Tonwerkweihers überprüft. Ab September ist der Bereich „X“ – das Stadtzentrum – an der Reihe. Das Gebiet wird im Süden von der Mangfall und im Norden von der Bahnlinie begrenzt und zieht sich vom Conradtypark bis zum Toom-Baumarkt an der Grenze zu Rosenheim. Hier werden von Oktober bis Dezember etwa 15 Kilometer Leitungen mit der Kamera befahren.

Das Kanalsystem der Stadt Kolbermoor wird fortlaufend kontrolliert. Benjamin Nabel (rechts) vom Bauamt und Andreas Hainz von der Stadtentwässerung erklären, welcher Abschnitt ab Oktober mit der Kamera befahren wird.

Fortlaufender Sanierungsplan

„Wir sind dann auch täglich mit vor Ort“, sagt Andreas Hainz, einer von zwei Bauhof-Mitarbeitern, die sich der Stadtentwässerung widmen. Im Anschluss an die Kamerabefahrung werden die Aufnahmen – Terabyte an Videomaterial – sorgfältig in Augenschein genommen. „Wir prüfen, ob und in welchen konkreten Abschnitten es Risse, Absenkungen, Wurzeleinwüchse oder Wassereintritte gibt. Die Ergebnisse werden dann in einer Schadensdokumentation fixiert und fließen in einen Sanierungsplan mit Dringlichkeitsstufen ein, der im Folgejahr abgearbeitet wird“, erklärt der Entwässerungsexperte.

Mit der Kamerabefahrung wird anhand von Videos und Fotos sichtbar, wo ein Kanal schadhafte Stellen hat. Auf diesem Foto ist ein Wassereintritt (rechts) zu sehen. Er weist beispielsweise auf eine undichte Stelle oder einen Bruch hin.

Auch private Anlagen müssen kontrolliert werden

Aufgrund dieser engmaschigen Kontrolle und der fortlaufenden Sanierung sind die öffentlichen Kanäle der Stadt zwar um die 50 Jahre alt, aber trotzdem voll funktionstüchtig. „Etwa 80 Prozent sind in Ordnung, bei 20 Prozent gibt es Sanierungsbedarf“, schätzt Benjamin Nabel ein.

Ganz im Gegensatz zu den privaten Grundstücksentwässerungsanlagen, zu denen in Kolbermoor schätzungsweise 300 Kilometer Leitungen gehören. Nach der Entwässerungssatzung der Stadt müssten auch diese regelmäßig – mindestens alle zehn Jahre – kontrolliert werden. „Das aber vergessen viele“, weiß Hainz, „weil sie dem Irrglauben unterliegen, dass ja alles in Ordnung sein muss, wenn es bei ihnen keine Verstopfung gibt.“

Und so sind es oft erst Unwetter, die über derartige Fehleinschätzungen aufklären: „Gerade die Starkregenereignisse von Juni und August haben es wieder deutlich gemacht, dass das Wasser in den Kellern stand, weil die Entwässerung auf den Grundstücken schadhaft war und beispielsweise durch den Anstieg des Grundwasserspiegels Wasser in undichte Leitungen eingetreten ist“, weiß Andreas Hainz aus Erfahrung.

Entwässerungsfehlern auf der Spur

Auch die 16 Pumpstationen im Stadtgebiet sind Indikatoren für private Entwässerungsfehler. „Wir haben Bereiche mit Misch- und Bereiche mit Trennsystemen“, erklärt Hainz die technischen Grundlagen. In den Mischsystemen, die es vor allem im Zentrum Kolbermoors gibt, werden Schmutz- und Niederschlagswasser in einem Kanal gemeinsam abtransportiert. Die logische Folge bei Starkregen sei eine größere Menge an Abwasser.

Wenn weißer Rauch aufsteigt

In den Trennsystemen aber gibt es für häusliche Abwässer und für Regenwasser unterschiedliche Leitungen. „An den Pumpstationen dürfte bei Regen also eigentlich nicht mehr Fracht ankommen“, erklärt Hainz. Doch das Gegenteil ist der Fall, beispielsweise im Bereich von Wendelsteinstraße, Amsel- und Kranzhornweg. „Deshalb haben wir dort jetzt Kanalberauchungen durchgeführt“, erklärt Hainz.

Wenn bei einer Nebel-Berauchung des öffentlichen Abwasserkanals Signal-Nebel aus der Hofentwässerung oder der Dachrinne eines Privatgrundstückes aufsteigt, ist klar: Hier läuft etwas falsch.

Dazu wird ein definierter Bereich im Kanalsystem kurzfristig abgesperrt und mit einem geruchlosen, umwelt- und gesundheitsverträglichen Signalnebel befüllt. „Mit einer Berauchungsmaschine wie in der Disco“, beschreibt Hainz. Kurze Zeit später tritt dieser gut sichtbare Nebel aus. Steigt weißer Rauch aus Schachtdeckel und Dachentlüftung auf, ist alles in Ordnung. „Nur aus der Dachrinne eines Hauses sollte er nicht rauskommen“, sagt Hainz. Dann nämlich wurde ein falscher Anschluss entdeckt, wird Regenwasser in den Schmutzwasserkanal eingeleitet.

Reserven in der Grundstücksentwässerung

Der Niederschlag privater Grundstücke aber – also das Regen- oder Oberflächenwasser von Dachflächen, Wegen, Terrassen und Stellflächen – sollte laut Wasserhaushaltsgesetz über Versickerungsanlagen auf dem Grundstück entwässert werden. Ist das wie im Norden von Kolbermoor mit Böden aus Torf oder Seeton nicht möglich, müssen die Grundstücksniederschläge über private Leitungen vom Grundstück in den Regen- oder Mischwasserkanal geleitet werden.

Sind Kanäle zu klein ausgelegt?

Zur Entwässerungsplanung einer Stadt gehört auch die richtige Dimensionierung des Kanalsystems, um die anfallenden Wassermengen schadlos ableiten zu können. „Wir werden oft gefragt, warum wir die Kanäle nicht gleich größer gebaut haben“, berichtet Andreas Hainz. Doch das wäre nicht nur eine millionenschwere Investition, die über die Kanalgebühren auf den Bürger umgelegt werden müsste, sondern auch effektlos, denn: „Mehr Durchmesser bringt nicht automatisch mehr Abfluss“, erklärt der Entwässerungsexperte. Ganz im Gegenteil: „Die Kanäle müssen richtig bemessen sein, damit die Abwässer auch im Normalfall – also ohne oder bei wenig Regen – abfließen und es nicht zu Verstopfungen kommt. Deshalb sind Kanäle oft auch eiförmig. Unten befindet sich die engste Stelle, damit im Gerinne eine hohe Fließgeschwindigkeit für geringstmögliche Ablagerungen sorgt.“

Zu viel Regen in kürzester Zeit

Doch immer öfter gibt es den Sonderfall: plötzliche Starkregenereignisse mit hohen Niederschlagsmengen in kürzester Zeit. „Unsere Entwässerungseinrichtungen sind entsprechend der geltenden Norm bemessen oder übertreffen diese sogar“, erläutert Nabel. Zum Stauvolumen in den Kanälen kommen unterirdische Regenrückhaltebecken hinzu. Davon gibt es in Kolbermoor drei nördlich der Bahnlinie – in der Alten Siedlung, an der BMX-Bahn und am Gewerbegebiet an der Rosenheimer Straße. Das Größte mit einer Länge von 385 Metern befindet sich südlich der Mangfall unter der Brückenstraße. „Das gesamte Stauvolumen dieser vier Regenentlastungsanlagen liegt bei 3000 Kubikmetern, also bei drei Millionen Litern Wasser“, macht Nabel die Dimension klar. Das entspricht dem doppelten Volumen des großen Beckens im Kolbermoorer Freibad.

Regenwasserkanäle wie im Bereich der Carl-Jordan-Straße laufen bei heftigen Regenfällen innerhalb kurzer Zeit voll. Durch den Rückstau im Kanalsystem können die Wassermengen nicht schnell genug abtransportiert werden und die Gullys den Regen kurzzeitig nicht mehr ableiten.

Für Naturgewalten nicht gerüstet

„Am Unwettersamstag, 26. August, lag die Niederschlagsmenge pro Quadratmeter bei 50 Litern pro Stunde“, führt der Entwässerungsexperte Hainz Vergleichszahlen an. Im Stadtgebiet von Kolbermoor mit einer Fläche von etwa 20 Quadratkilometern – also 20 Millionen Quadratmetern – wären demnach in einer Stunde eine Milliarde Liter Regen niedergegangen. Für solche Naturgewalten kann die Kanalisation schlichtweg nicht gerüstet sein.

Wie entsteht Rückstau im System?

„Ein Abwasserkanalsystem ist nur so gut wie sein Nadelöhr“, macht Andreas Hainz klar. Die Kolbermoorer Misch- und Schmutzwasserleitungen führen ins Klärwerk nach Rosenheim. Dessen Kapazität sei völlig ausreichend, sagt Hainz, aber bei Extremregen komme es eben überall zum gleichen Problem: zur kurzzeitigen Auslastung der Regenentlastungsbecken und Vollfüllung der Kanäle. „Dann tritt Regenwasser in den Schmutzwasserkanal. Dann steigen die Wassermassen in Schmutz-, Misch- und Regenwasserkanälen gleichzeitig und innerhalb kürzester Zeit so stark an, dass sie nicht mehr abfließen können und zurückstauen.“

Tonwerksunterführung ist ein neuralgischer Punkt

Ein neuralgischer Punkt ist in solchen Situationen immer wieder die Tonwerksunterführung: In der Senke kommt die Fracht aus drei Regenwasserkanälen aus dem Kolbermoorer Norden zusammen. Zwei Pumpen befördern 260 Liter Wasser pro Sekunde in einen großen Kanal, der das Regenwasser am Mangfallsteg in den Triebwerkskanal ableitet. 

Dass sich das Wasser regelmäßig in der Unterführung anstaut und Kanaldeckel hochdrückt, hat verschiedene Ursachen. Eine davon: Bei Starkregen schießt das Wasser von privaten Grundstücken auf die Straßen. Eine zweite: Weht der Sturm Blätter auf die Gullys entlang der Straßen und deckt sie damit sozusagen ab, gelangt das Wasser gar nicht mehr in den Regenkanal, sondern schießt in die Senke und sammelt sich am tiefsten Punkt – direkt in der Eisenbahnunterführung. Die enorme Fracht und der Rückstau im Kanalsystem schränken zudem die Leistungsfähigkeit der Pumpstation ein. „Erst wenn sich der Rückstau im Regenwasserkanal aufgelöst hat, können die Pumpen ihre volle Leistungsfähigkeit wieder entfalten“, erklärt Hainz.

Kanaldeckel werden verschraubt

Die Stadt Kolbermoor versucht, die Überschwemmungen an der Tonwerksunterführung mit kurzfristigen Maßnahmen einzudämmen. Die Mitarbeiter des Bauhofes kontrollieren regelmäßig die Sinkkästen der Zufahrtsstraßen und reinigen ihre Auffangkörbe. Die Kanaldeckel werden verschraubt, damit die Wassermassen im Kanal bleiben. Zudem werden die Entwässerungsanlagen der privaten Grundstücke nördlich der Tonwerksunterführung überprüft, um künftig zu vermeiden, dass das Oberflächenwasser unkontrolliert über die Straßen abläuft und nicht wie vorgeschrieben auf dem Grundstück versickert oder über den Regenwasserkanal abgeleitet wird.

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