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Personalmangel und fehlende Wertschätzung

„Wir brennen aus“: Warum Erzieherinnen im Mangfalltal Leichtigkeit und Freude vermissen

Das Kita-System hat einen Riss bekommen: Plätze sind da, können aber nicht besetzt werden, weil die Fachkräfte fehlen. Die Erzieherinnen im Mangfalltal federn den Mangel ab und brennen dabei aus. So kann es nicht weitergehen, sagen die Leiterinnen der katholischen Kindertagesstätten.
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Das Kita-System hat einen Riss bekommen: Plätze sind da, können aber nicht besetzt werden, weil die Fachkräfte fehlen. Die Erzieherinnen im Mangfalltal federn den Mangel ab und brennen dabei aus. So kann es nicht weitergehen, sagen die Leiterinnen der katholischen Kindertagesstätten.

Die Erzieherinnen im Mangfalltal halten unter großen Anstrengungen ein krankes System am Laufen: Sie federn den Mangel an Fachkräften ab und brennen dabei selbst aus. Sie rufen nach Hilfe, doch keiner hört ihre Signale. Ist die Kinderbetreuung kurz vor dem Kollaps oder wie kann es weitergehen?

Mangfalltal/Tuntenhausen – „Wir lachen kaum noch, dabei haben wir den schönsten Beruf der Welt“, sagt Anja Bayer. Sie leitet den Katholischen Kindergarten „St. Martin“ in Au und macht sich dafür stark, dass Erzieher wieder mehr Zeit für Kinder haben. „Dafür sind wir Pädagoginnen geworden. Und nicht, um ein desaströses System am Laufen zu halten“, betont Andrea Steiner vom Pfarrkindergarten Mariä Himmelfahrt in Vagen: „Wir an der Basis kümmern uns um unser höchstes Gut, die Kinder.“

Problem wird auf Rücken der Kinder ausgetragen

Doch ausgerechnet auf ihrem Rücken sowie dem der Eltern und Erzieherinnen wird ein Problem ausgetragen, das 1996 mit dem bundesgesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab dem dritten Lebensjahr begann und sich 2013 verschärfte, seitdem der Rechtsanspruch schon ab dem ersten Lebensjahr gilt. Denn Anspruch hin oder her: Kaum eine Kommune ist in der Lage, diesem zu entsprechen. Und dabei mangelt es in den wenigsten Fällen an Räumen und Plätzen. Der Branche ist in den vergangenen Jahren einfach der Nachwuchs ausgegangen.

Ist „Kita-Modell“ schon an die Wand gefahren?

Das „Kita-Modell“ sei längst an die Wand gefahren, sagen die Leiterinnen katholischer Kindereinrichtungen im Mangfalltal. Sie dürfen nicht streiken, ihrem Ärger aber im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen Luft machen: „In der Bildung funktioniert keine Gewaltenteilung, kann der Bund keinen Rechtsanspruch definieren, der nur dann umsetzbar ist, wenn sich die Länder parallel dazu um die Ausbildung der Fachkräfte kümmern, die Gemeinden die Kitas bauen, freie Träger sie übernehmen und wiederum die Gemeinden die finanziellen Defizite ausgleichen müssen“, kritisieren sie.

Über Jahre wurde der Fachkräftemangel scheinbar ignoriert, keine Ausbildungsoffensive gestartet, um den Renteneintritt der einst geburtenstarken Jahrgänge auszugleichen. Nun schlittert Deutschland sehenden Auges in die Katastrophe. Allein im Landkreis Rosenheim, so schätzen Experten, werden im neuen Betreuungsjahr etwa 1000 Kita-Plätze nicht besetzt werden können, weil die Fachkräfte fehlen.

Sie fordern mehr Zeit für Kinder: (von links) Barbara Reiser, Anja Bayer und Andrea Steiner leiten katholische Kindereinrichtungen im Mangfalltal. Sie machen sich dafür stark, dass Kinder wieder eine Lobby erhalten, damit sich die Situation in den Kindereinrichtungen entspannt. Momentan fehlen so viele Fachkräfte, dass der Betrieb der Kitas nur mit Mühe aufrechterhalten werden kann. Sie fordern, dass Ausbildung und Beruf aufgewertet werden, damit wieder mehr junge Menschen Erzieher werden.

„Es ist eine Zumutung, wenn man dem über Jahre sichtbaren Fachkräftemangel plötzlich mit größeren Gruppen oder unausgebildeten Helfern begegnen will, Kindereinrichtungen aber gleichzeitig einen gesetzlich definierten Erziehungs- und Bildungsauftrag haben“, reagiert Barbara Reiser von den „Klostermäusen“ in Beyharting auf die Idee der bayerischen Sozialministerin Ulrike Scharf, zur Not Quereinsteiger in die Kitas zu holen.

In Bayern fehlen 14.500 Erzieher

Nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung müssten allein in Bayern zusätzlich zum vorhandenen Personal weitere 14.500 Fachkräfte eingestellt werden, um die Nachfrage nach fehlenden 61.900 Kita-Plätzen zu decken. Doch die Ausbildung hinkt dem Bedarf um Jahre hinterher. Zudem muss man sich diese auch leisten können. „Die Ausbildung an den Berufsfachschulen dauert vier Jahre und wird bislang nicht mit einem Ausbildungsentgelt vergütet“, erklärt Dagmar Lenz, Leiterin des Pfarrkindergartens in Vagen.

Fünf Jahre Ausbildung, geringfügige Vergütung

Nach Informationen der Bundesagentur für Arbeit erhalten beispielsweise Gesundheits- und Krankenpfleger in ihrer dreijährigen Ausbildung zwischen 1190 und 1350 Euro pro Monat. Erzieherin kann man bislang nur über den Umweg der Kinderpflegerin werden. Dafür kann Schüler-BAföG beantragt werden, das bei Erstausbildung 632 Euro beträgt, wenn die Jugendlichen schon eine eigene Wohnung haben. Mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung werden junge Erwachsene an der Fachoberschule mit höchstens 736 Euro gefördert.

Ein weiterer Weg in die „Kita“ ist auch das vierjährige Studium der Sozialpädagogik, um als pädagogische Fachkraft anerkannt zu werden. Dafür kann BAföG beantragt werden. Der Förderhöchstsatz liegt nach Informationen des Bundesbildungsministeriums derzeit bei 934 Euro. Unterm Strich müssen also bei beiden Ausbildungswegen die Eltern für Wohnung und Lebensunterhalt der künftigen Erzieher kräftig zubuttern.

Schlechte Bezahlung, wenig Wertschätzung

Doch auch nach ihrer Ausbildung „wird die pädagogische Kompetenz der Erzieher nicht gewertschätzt“, ergänzt Dagmar Lenz. Und das, obwohl gerade während der Corona-Lockdowns schmerzhaft spürbar wurde, welche entscheidende Rolle die Kitas für ein funktionierendes gesellschaftliches System spielen. „Alle Einrichtungen kämpfen und versuchen, ihren Betrieb aufrechtzuhalten“, betont Barbara Reiser. „Das geht an die Substanz“, macht Andrea Steiner klar: „Unsere Fachkräfte und vor allem die Leiterinnen der Kitas brennen aus.“

„Lage in den Kitas ist angespannt“

Sabine Suitner-Miller, die Verwaltungsleiterin des Kita-Verbundes Beyharting mit fünf Einrichtungen, kann das bestätigen: „Die Lage in den Kindereinrichtungen ist durch den Personalmangel sehr angespannt. Und auch jene Mitarbeiter, die gefühlt immer da waren und den Mangel ausgeglichen haben, sind jetzt am Rande ihrer Belastbarkeit angelangt.“

Nach der ausklingenden Corona-Pandemie hat sich die Situation aber keineswegs verbessert. Ganz im Gegenteil: „Früher haben wir gerade hier auf dem Land noch Mitarbeiterinnen gefunden, die gern in Teilzeit arbeiten wollten. Jetzt habe ich das Gefühl, dass die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, uns zusätzliche Fachkräfte abzieht, weil es jetzt noch schwerer ist, Personal zu finden“, sagt Sabine Suitner-Miller.

Zu den etwa 80 Mitarbeitern, die in fünf Kindereinrichtungen des Katholischen Kita-Verbundes Beyharting tätig sind, gehört nur ein Mann: „Weil das Einkommen in den Kindertagesstätten zu gering ist“, weiß Suitner. Der Personalmangel ist so groß, dass „sich auf dem Markt niemand mehr findet“. Fallen Kolleginnen wegen Familienplanung oder Krankheit aus, müssen Gruppen geschlossen werden. In den katholischen Kitas in Tuntenhausen und Pfaffenhofen betrifft das im Moment jeweils eine Krippengruppe, also jeweils zwölf Plätze. „Mit Hilfe der Eltern, die ihre Betreuungszeiten reduziert haben, wurden in den beiden Einrichtungen aus zwei Gruppen eine gemacht.“

Mehr Personal für bessere Arbeitsbedingungen: Die Politik ist gefragt

Am 1. September beginnt das neue Betreuungsjahr. Der katholische Kindergartenverbund Wendelstein bietet in sechs Kindereinrichtungen in Bad Aibling, Bad Feilnbach und Raubling 326 Plätze in Kindergarten-Gruppen und bis zu 75 Krippenplätze an. „In unseren sechs Einrichtungen mit mehr als 90 Mitarbeiterinnen suchen wir aktuell vier pädagogische Fachkräfte (Erzieherinnen) und zwei pädagogische Ergänzungskräfte, also Kinderpflegerinnen“, informiert Verwaltungsleiterin Manuela Müller. „Sollten wir alle sechs Stellen zum 1. September nicht besetzen können, könnte es dazu kommen, dass eine Krippengruppe (zwölf Kinder unter drei Jahren) und eine Kindergartengruppe (25 Kinder von drei bis sechs Jahren) nicht ins neue Kita-Jahr starten kann.“

Insgesamt, so beschreibt Müller, sei die Arbeitsbelastung des bestehenden Personals derzeit sehr hoch, weil offene Stellen (durch Schwangerschaft oder Wechsel) aufgrund der fehlenden Bewerbungen zeitnah nicht besetzt werden können. Durch die Mehrbelastung komme es immer häufiger zur krankheitsbedingten Ausfällen, die immer länger dauerten. „Die Folgen sind: Verkürzung der Öffnungszeiten oder notfalls Schließung der Gruppe – letzteres konnten wir bis jetzt noch vermeiden!“

„Ohne das zusätzliche Engagement des bestehenden Personals, für welches wir als Träger sehr dankbar sind, und wir uns im Rahmen unserer Möglichkeiten auch erkenntlich zeigen, könnte vielerorts der Betrieb nicht mehr aufrechterhalten werden“, macht die Verwaltungsleiterin klar: „Das ist insgesamt nicht mehr lange durchhaltbar!“ Ihres Erachtens nach liege es auch daran, dass die gesellschaftliche Wertschätzung der Berufe der Kinderpflegerin oder Erzieherin in Deutschland sehr gering sei und deshalb immer weniger Schulabgänger diesen Ausbildungsweg wählen. „Anreize können sicher über bessere Arbeitsbedingungen und mit besserer Bezahlung geschaffen werden“, betont Manuela Müller: „Bessere Arbeitsbedingungen können aber nur mit mehr Personal geschaffen werden. Und hier ist die Politik gefragt!“

Betreuungsschlüssel passt nicht zur Realität

Überall dort, wo Kollegen fehlen, ächzen jene, die die Stellung halten, unter der wachsenden Belastung. Zwar gibt es neuerdings als Ausgleich zwei Regenerationstage pro Jahr. „Die sind für den Einzelnen zwar gut, vergrößern in Summe aber in den Einrichtungen den Mangel noch zusätzlich“, erklärt Steiner.

„Viele Pädagogen reduzieren ihre Stunden oder geben auf, weil der Beruf so aufreibend geworden ist“, bedauert Barbara Reiser. Ursachen dafür seien auch, dass die Kinder immer „jünger“ würden – also nicht so weit entwickelt sind, wie sie es im jeweiligen Alter eigentlich sein müssten, und dass die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund steige. Doch der Personalschlüssel werde nicht an die Situation angepasst.

Leiterinnen „spielen Feuerwehr“

Um den Betrieb ihrer Kindertagesstätten aufrechtzuerhalten, gleichen die Leiterinnen den Mangel aus. „Egal ob sie aufgrund der Größe der Einrichtung eigentlich für Leitungsaufgaben freigestellt sind oder nicht, spielen sie immer wieder Feuerwehr und stehen permanent im Gruppendienst“, kritisiert Andrea Steiner. Und Barbara Reiser bringt einen Vergleich aus der freien Wirtschaft: „Wir sind Managerinnen, die ihr Unternehmen führen und nebenbei im Schichtdienst in der Produktion arbeiten.“

Für die administrativen Aufgaben einer Kita-Leitung, für Weiterbildungen oder Team-Meetings bleibe keine Zeit mehr. „Die Arbeit stapelt sich im Büro“, beschreibt Reiser die permanente Doppelbelastung und den Spagat zwischen den Bedürfnissen von Kindern, Eltern, Personal und Träger: „Wir können kaum noch atmen.“

Überbordende Bürokratie

Hinzu komme eine überbordende Bürokratie: „Fast jede Woche gibt es irgendein neues Formular, das wir ausfüllen müssen“, berichtet Yvonne Schalli aus dem Pfarrkindergarten „St. Laurentius“ in Feldkirchen. „Kinderschutzkonzepte, die mal so nebenbei, ohne fachliche Anleitung und unter zeitlichem Druck im Team entwickelt werden sollen, obwohl bei der Personalsituation überhaupt keine Zeit mehr fürs Team bleibt“, erklärt sie. „Brandschutzübungen, Erste-Hilfe-Konzepte, Kontrolle der Impfausweise, Gefährdungsbeurteilungen, seitenweise Selbstanalysen zur Arbeitssicherheit, Ausbildungen zum Leiter- und Trittbeauftragten, Schulungen für Telemedizin“, ergänzt Dagmar Lenz und sagt: „Papier ist geduldig. Es fehlt eigentlich nur noch eine Turnmattenbeauftragte.“

Das Gegenteil von Wertschätzung

Die gestiegenen Anforderungen an die Leitungen finden keinen Niederschlag in besseren tariflichen Rahmenbedingungen. Die Corona-Prämie für alle Mitarbeiter von Kindertagesstätten in Höhe von 600 Euro fiel für Leiterinnen und ihre Stellvertreterinnen geringer aus (400 Euro). In der Tarifrunde 2022 wurden sie aus der Sozial- und Erziehungsdienst-Zulage komplett ausgegrenzt. Die Jahressonderzahlung im November 2022 wurde für alle um fünf Prozent aufgewertet, nicht aber für die Leitungen. „Wertschätzung sieht anders aus“, kritisiert Steiner, die sich im Verband der Kita-Fachkräfte Bayern engagiert und im Februar eine Regionalgruppe Rosenheim gegründet hat.

Kinder brauchen „Wählerstimmen“

Sie warnt vor einem Kollaps des Betreuungssystems, denn es fehle eine Politik, die Bildung wirklich ernst nimmt: „Im frühkindlichen Bereich und in der Schule wird sich erst etwas ändern, wenn die Kinder in der Gesellschaft wieder zum höchsten Gut werden.“ Da Kinder ihrer Meinung nach keine Lobby mehr haben, sieht Steiner hier auch die Eltern in der gesellschaftlichen Verantwortung: „Sie haben es mit ihren Wählerstimmen in der Hand. Sie müssen ihre Ansprüche bei der Politik einfordern.“

Es sei lange fünf nach zwölf, betonen die Leiterinnen der katholischen Kita-Einrichtungen im Mangfalltal, denn: „Das Limit ist überschritten. Dort, wo einst Leichtigkeit und Freude waren, machen sich Resignation, Frustration und Demotivation breit. So geht es nicht weiter.“

Zwei Regenerationstage sollen Belastung ausgleichen

Die Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) haben gemeinsam mit dem dbb Beamtenbund und Tarifunion im vergangenen Jahr eine Tarifeinigung für die Beschäftigten im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst (SuE) erzielt. Dazu gehört abhängig von der tariflichen Eingruppierung unter anderem eine SuE-Zulage in Höhe von 130 Euro oder 180 Euro brutto. Diese kann auch in freie Zeit umgewandelt werden. Zudem soll der hohen Belastungssituation mit zwei Regenerationstagen pro Jahr entgegengewirkt werden. Da diese Tarifvereinbarungen auch ins Arbeitsvertragsrecht der Bayerischen Diözesen übernommen wurden, profitieren auch die Beschäftigten in den kirchlichen Kindertageseinrichtungen davon. Die Kita-Leitungen allerdings nicht, vor allem jene nicht, die schon seit vielen Jahren in den Einrichtungen arbeiten und dadurch bereits die Tarif-Endstufe erreicht haben. Begründet wird dies von der Gewerkschaft Verdi damit, dass für Kita-Leiterinnen und ihre Stellvertreterinnen bereits 2015 spürbare Verbesserungen erreicht worden seien. Damals wurden diese um mindestens eine, teilweise zwei Entgeltgruppen höhergruppiert. In der Tarifrunde 2022 sei es vor allem um bessere Arbeitsbedingungen und höhere Eingruppierungen für das gesamte pädagogische Personal in den Kitas gegangen.

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