„Tag des offenen Denkmals“ bietet seltene Einblicke
Schlafsäle und Zwangsjacke: Psychiatrie-Museum Wasserburg über das Leben in der „Anstalt“
Beim „Tag des offenen Denkmals“ am Sonntag, 10. September, ist auch das Gaberseer Psychiatriemuseum dabei. Betreuer Wolfgang Schmid öffnet für uns im Vorfeld die Türen. Einblicke in Zeiten, als das Fachkrankenhaus noch „Anstalt“ hieß und die „Pfleglinge“ hier oft ihr ganzes Leben verbrachten.
Wasserburg – Große Schlafsäle, Bett an Bett, graue, uniformierte Anstaltskleidung, Blechschüsseln, aus denen ohne Besteck gegessen wurde: So sah es zu den Anfangszeiten auch im heutigen kbo-Inn-Salzach-Klinikum aus, das 2023 das 140-jährige Bestehen feiert. Hier hat der Wasserburger Wolfgang Schmid 45 Jahre lang in der Pflege und als Lehrer in der Ausbildung sowie als Betriebs- und Personalrat gearbeitet. Er verkörpert wie kein anderer den „Gaberseer Spirit“, diesen besonderen Zusammenhalt, und kennt so intensiv wie kein anderer die Historie des Klinikums.
Schmid hat Geschichten von Mitarbeitern und Patienten ebenso gesammelt wie Gegenstände, Fotos, Dokumente und Krankenakten. Das Museum, noch heute von ihm im Ruhestand betreut, öffnet in der Regel nur nach Anmeldung und am „Tag des offenen Denkmals“, Sonntag, 10. September, von 13 bis 16 Uhr. Um 14 Uhr berichtet Schmid persönlich über die bewegte Gaberseer Historie, unterstützt von Forensikpfleger Stefan Schrank.
„Königlich-Bayerische Kreis-Irrenanstalt“
Sie berichten, wie Mitte des 19. Jahrhunderts König Ludwig I. die Bezirke ins Leben rief und mit ihnen auch psychiatrische Krankenhäuser. Sie hießen damals noch „Irrenanstalt“. Die Patienten, „Pfleglinge“ genannt, waren davor in die Dorfgemeinschaften integriert gewesen. Mit Beginn der Industrialisierung, als immer mehr Menschen die Höfe im Agrarstaat Bayern verließen, um in den Fabriken der Städte zu arbeiten, kam ein neuer Betreuungsbedarf auf. Die psychiatrischen Krankenhäuser entstanden, 1883 auch in Gabersee die „Königlich-Bayerische Kreis-Irrenanstalt“
Einblicke in das Psychiatriemuseum in Wasserburg




Auch diese Geschichte erzählt die Ausstellung in Haus 23 auf dem Parkgelände, eines der ältesten Stationsgebäude, heute ebenso wie alle Pavillonbauten denkmalgeschützt. Tafeln berichten über die Anfangszeiten mit Platz für knapp 70 Patientinnen und Patienten, über die Erweiterungen zum Fachkrankenhaus für ganz Oberbayern nach dem 1876 erfolgten Eisenbahnanschluss von Reitmehring, von der Umbenennung in eine „Heil- und Pflegeanstalt“ 1908 und über den betrieblichen Alltag in jenen Anfangsjahrzehnten: Damals war das Fachkrankenhaus Selbstversorger: in punkto Energie und über eine große Landwirtschaft, zu der Anfang des 20. Jahrhunderts sogar 13 Pferde und zwölf Ochsen als Arbeitstiere sowie 84 Milchkühe und 90 Schweine gehörten. 96 Prozent aller hier lebenden Patienten gingen regelmäßig einer Beschäftigung nach. Es gab auch eine Küche, eine Gärtnerei, eine Näherei, eine Korbflechterei.
„Pflegline“ oft ein Leben lang da
Die meisten „Pfleglinge“ waren ihr Leben lang in Gabersee: Es war ihr Zuhause zum Wohnen, Arbeiten, Leben. Es gab zwar schon Therapien und Behandlungsansätze, doch sie konzentrierten sich anfangs beispielsweise noch auf Bäderkuren. Die „Zwangsjacke“, das letzte Mittel der Wahl, kam zum Einsatz, wenn jemand nicht mehr ruhiggestellt werden konnte.
Schmid lässt die Geschichte auch anhand vieler Geschichten lebendig werden: Er berichtet beispielsweise über den Gaberseer Bierkrieg, der durch die Tatsache ausgelöst wurde, dass 1896 der damalige ärztliche Direktor Dr. Utz die zwei Mass am Tag nicht mehr zu den Pflegekräften bringen ließ. Und schlägt den Bogen zu einem der berühmtesten Psychiater der Welt: Professor Bernhard zu Gudden, Gutachter von König Ludwig II, der mit diesem im Starnberger See ertrank. Eine Dauerausstellung von Alfons Schweiggert im Museum widmet sich intensiv dem Lebenswerk von Guddens.
Es gibt auch viele Anekdoten zum Schmunzeln, etwa über Patienten, die ihr Leben im Fachkrankenhaus verbrachten und geschätzte Bewohner waren: ein seelisch Kranker, der sich um die Kirche kümmerte, ein Patient, der seinen Schrank über Jahrzehnte liebevoll mit Zetteln und Verpackungsmaterial „auskleidete“.
Nur so lässt sich ein Besuch im Museum „verdauen“. Schließlich gehören zur Geschichte der Psychiatrie in Oberbayern und in Wasserburg auch die düsteren Kapitel der „Euthanasie“ in den NS-Jahren, die keine Museumsführung ausspart. 1939/1940 wurden 509 Patientinnen und Patienten deportiert, sie starben später in den Gaskammer von Schloss Hartheim. Das industrielle Ermorden überlebten nur jene, die als arbeitsfähig eingestuft worden waren.
1941 wurde Gabersee geschlossen, die Pläne, hier eine Adolf-Hitler-Schule zu eröffnen, fanden jedoch keine Umsetzung mehr. Nach dem Krieg befand sich auf dem Gelände ein Lager für „desplaced people“, vor allem jüdische Bürger, die sich hier auf ihre Ausreise vorbereiteten. 1953 wurde das Fachkrankenhaus mit 300 Betten wieder eröffnet. In den 70er Jahren startete die Enthospitalisierung, insgesamt wurden in den Folgenjahren etwa 600 Patienten in Akutkrankenhäuser oder Heime verlegt. Gabersee entwickelte sich – auch als Folge der Psychiatrie-Reform – zum modernen psychiatrischen Fachkrankenhaus.

