140 Jahre Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg
45 Jahre Dienst in Psychiatrie: So will Wolfgang Schmid den Gaberseer Spirit wachhalten
Er verkörpert wie kein anderer den „Gaberseer Spirit“: Wolfgang Schmid, 45 Jahre Mitarbeiter des Inn-Salzach-Klinikums Wasserburg. Noch heute schwärmt er vom Zusammengehörigkeitsgefühl, das das Personal im Krankenhaus eine. Doch lässt sich dieser Spirit in die Zukunft retten? Warum Schmid eher skeptisch ist.
Wasserburg – Kaum einer im Wasserburger Land kennt die Psychiatrie so gut wie er: Wolfgang Schmid hat 18 Jahre lang im Inn-Salzach-Klinikum als Krankenpfleger gearbeitet, danach die Kollegen aus der Pflege ausgebildet, war Betriebs- und Personalrat. 45 Jahre, in denen sich im Wasserburger Fachkrankenhaus, das derzeit das 140-jährige Bestehen feiert, viel geändert hat: Ausbau der Therapien, neue ambulante und stationäre Angebote, Errichtung von Tageskliniken und Zweigstellen, zuletzt der gemeinsame Neubau mit Romed Wasserburg. Schmid hat alle Veränderungen mitgetragen, ein „Gaberseer“, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Volksmund in Anlehnung an den früheren Kliniknamen und den Stadtteil von Wasserburg heißen.
Ein echter Gaberseer“
Ein echter „Gaberseer“ hat die enge Beziehung zum Klinikum oft in die Wiege gelegt bekommen. In vielen Wasserburger Familien haben Vertreter mehrerer Generationen im Krankenhaus gearbeitet. So war es auch bei Wolfgang Schmid. Der Vater und Mutter waren in der Krankenpflege tätig. Der Sohn brach nach der Mittleren Reife sogar das Gymnasium ab, weil er lieber Gaberseer werden wollte, als Abitur machen. „Das hatte jedoch eher rationale Gründe“, berichtet Schmid schmunzelnd, „ich hatte viele Freunde, die waren schon in der Lehre und verdienten ihr erstes Geld. Da wollte ich mithalten. Eine Ausbildung in Gabersee bot sich einfach an.“ Schnell entdeckte Schmid, dass die Entscheidung die richtige gewesen war, obwohl eine Lehre in der Psychiatrie, schon damals generalistisch aufgestellt, „eine Hausnummer ist“. Der Umgang mit Menschen, „die nicht so einfach sind“, fordert, betont Schmid.
Er lernte in der Gerontopsychiatrie, in der Schwerstpflege, in der Neurologie und auf Stationen mit chronisch schwer psychisch Kranken, die damals im ISK, das noch kein Akutkrankenhaus war, viele Jahre verbrachtenn. „Ich kenne die Verwahrpsychiatrie noch gut“, sagt er, wobei Schmid Wert auf die Feststellung legt, dass es schon damals nicht darum ging, Patienten nur zu verwahren nach dem Prinzip „sauber-satt-sicher“, sondern ihnen ein geschütztes Zuhause mit Pflege zu bieten. Bis in die 90er Jahre hinein kamen chronisch psychisch Kranke, die als austherapiert galten, in Krankenhäusern wie dem ISK unter– wenn möglich auf offenen Stationen. Sie wohnten, lebten und arbeiteten hier. Gerne erinnert Schmid sich noch an einen Patienten mit Schizophrenie, der sich mit seiner Situation arrangiert hatte und als Kirchenpfleger im Gabersee-Gotteshaus betätigte. „Er ist bei uns alt geworden, war hier zuhause.“ Eine kleine Welt für sich, in der auch gemeinsam die Feste im Jahreszyklus gefeiert wurden, erinnert sich Schmid. Frauen und Männer waren streng getrennt untergebracht, es gab große Schlafsäle. Die Stationsgemeinschaften fühlten sich wie eine Familie. Mit allem, was dazu gehört: Freundschaften, aber auch Ärger. „Manchmal wurde auch gerauft“, erinnert sich Schmid an Krisen vor allem in den geschlossenen Stationen, wenn Patienten auch schon einmal ausrasteten.
Groß war damals die Kameradschaft unter den Pflegenden, schwärmt Schmid. Die Mitarbeiter halfen sich auch privat gegenseitig. Gang und gebe: Unterstützung beim Hausbau. Wer baute, bekam die besten Schichten, wer handwerklich geschickt war, half den Kollegen auf der Baustelle nach Feierabend aus. „Das war der Gaberseer Geist, dieses ganz besondere Zusammengehörigkeitsgefühl“, sagt Schmid. Begehrt waren damals Stellen als Stationsleiter, erinnert er sich. Es sei in der Regel streng nach Dienstalter gegangen. Wer nach diesem Kriterium an der Reihe war, bekam meistens den Job. Schmid wollte so lange nicht warten und nutzte die Chance, 1987 an die hauseigene Berufsfachschule für Pflege zu wechseln. Nach zweijähriger Ausbildung wurde er hier Lehrer und Klassleiter. „Das war die schönste Zeit meines Berufslebens“, findet er. Schmid gab sein Wissen auch aus der Praxis gerne weiter, genoss die Zusammenarbeit mit jungen Leuten, die Möglichkeit, ihre Ausbildung mitgestalten zu können. Auch vor dem Hintergrund der vielen Veränderungen, die in der Psychiatrie an der Tagesordnung waren.: „Wandel war und ist unser stetiger Begleiter“, sagt er.
Etwa 600 Schülerinnen und Schüler hat Schmid in dieser Zeit als Lehrkraft mit ausgebildet. Fast alle habe er mit Namen gekannt, viele seien noch heute im ISK tätig. Er ist bis heute überzeugt: „Der Pflegeberuf ist etwas sehr Schönes.“ Er biete viele Möglichkeiten zur Entfaltung, sei nicht schlecht bezahlt in Gabersee, biete hier viele unterschiedliche Arbeitszeitmodelle und Aufstiegschancen. Die Arbeit in der Psychiatrie entwickle Menschen außerdem automatisch in ihrer Persönlichkeit weiter: „Man lernt, keine Berührungsängste zu haben, Vorurteile gegenüber Menschen, die nicht so ticken, wie wir es erwarten, abzubauen.“
Als die Kegelbahn noch sehr beliebt war
Auch diese positive Einstellung gegenüber dem Tabuthema seelischer Erkrankung ist in seinen Augen typisch für den „Gabersee Corpsgeist“. Er hat in den vergangenen Jahren jedoch abgenommen, bedauert Schmid. Als Grund nennt er geänderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Sie bemerkte er in den Jahren vor seinem Eintritt in den Ruhestand, der mit einer Altersteilzeit begann, vor allem an der Schule. Die Auszubildenden seien mobiler geworden, weniger bereit, nach Feierabend gemeinsam etwas zu unternehmen. „Was haben wir früher zusammen gefeiert!“, schwärmt er ein wenig wehmütig. Damals sei die Kegelbahn auf dem Gelände stark frequentiert gewesen, Stationsfeste seien geradezu legendär gewesen. „Die Gesellschaft hat sich verändert“, sagt er seufzend. Der „Gaberseer Spirit“ sei noch da, aber nicht mehr vergleichbar mit früher.
Betreuer des Psychiatriemuseums
Das stellte Schmid auch während seiner Zeit im Personal- und Betriebsrat, hier auch in leitenden Funktionen, fest. In diesen Ämtern hat er auch stets die Kontakte zu Ehemaligen gepflegt. Am Stammtisch der Ruheständler entstand die Idee, „aus den vielen alten Geschichten“ eine Ausstellung zu kreieren, berichtet Schmid. Eine Facharbeit und ein Projekt an der Pflegeschule gingen es an. Schmid und sein Team gruben sich tief in die Historie ein, zu der neben viele Anekdoten auch dunkle Kapitel wie die Zeit des Nationalsozialismus gehörten, in der 509 Patienten ermordet wurden. Schmid sammelte alte Krankenakten, Gegenstände, Fotos, Dokumente, Unterlagen. Aus der Ausstellung wurde ein Psychiatriemuseum auf dem Klinikgelände, das Schmid bis heute auch als Ruheständler betreut. Hier bietet er Führungen an. „Gabersee mit anderen Augen sehen“, nennt er das. 500 bis 600 Besucher pro Jahr tauchen mit ihm ein in die Medizingeschichte von Wasserburg und des Bezirks. Hierbei wird er dank Museumsleiter Schmid wachgehalten: der „Gabersee Geist“.