KBO-Inn-Salzach-Klinikum feiert 140-jähriges Bestehen
„Raus aus dem schwarzen Loch“: Wie manisch-depressive Patienten in Wasserburg Hilfe finden
Ein früherer manisch-depressiver Patient berichtet, wie ihm Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte des KBO-Inn-Salzach-Klinikums das Leben retteten – sogar drei Mal. Einer von Tausenden, denen die Klinik in ihrer langen Geschichte helfen konnte.
Wasserburg – Walter S. (Name der Redaktion geändert) war 20 Jahre alt, als die Diagnose „bipolare Störung“ fiel. Es war zu Beginn seines Medizinstudiums: „Ich hatte keinerlei Elan, keinen Antrieb. Es war unerklärlich“, erinnert er sich. Der heute 75-Jährige bekam von einem Nervenarzt ein Medikament, das half – vorerst. Doch dann kam nach der depressiven eine manische Phase: Walter S. war extrem unruhig, konnte erneut nicht schlafen, diesmal aber nicht, weil er so viel grübeln musste, sondern weil er keine Entspannung fand. „Ich tigerte herum, rannte von einer Disco zur nächsten, war nur noch unterwegs. Ich gab das Geld mit vollen Händen aus, ohne die Folgen zu beachten. Ich habe mich total selbst überschätzt.“
Himmel hoch jauchzend, zu Tode betrübt
Himmel hoch jauchzend, zu Tode betrübt: Dieser Satz passt gut zu seiner seelischen Erkrankung, findet er bis heute. Denn Phasen tiefster Niedergeschlagenheit wechselten sich mit Zeiten ab, in denen er total euphorisch war. Walter S. lernte in den folgenden Jahrzehnten, mit dem extremen Wechsel zu leben. Und fand eine Frau, die das ebenfalls konnte. Wobei Walter S. offen sagt: „Eine psychische Erkrankung belastet eine Familie stark, ganz anders als ein Beinbruch. Sie stört ganz klar den Familienfrieden.“
2012 zum 1. Mal stationär im Inn-Salzach-Klinikum
2012 begab sich der gebürtige Berliner aufgrund familiärer Beziehungen nach Bad Aibling zum ersten Mal in stationäre Behandlung ins kbo-Inn-Salzach-Klinikum (ISK). Er wurde medikamentös neu eingestellt, bekam Therapien unterschiedlicher Art – Gespräche, Sport, Gruppensitzungen. „Es hat mir sehr geholfen, ich fühlte mich in guten Händen“, sagt er. Nach sechs bis acht Wochen ging es zurück ins Berufsleben. 2014 dann ein erneuter schwerer Rückfall in die Depression: Walter S. konnte nachts nicht länger als zwei Stunden schlafen, grübelte ohne Unterlass, quälte sich mit Selbstzweifeln herum. „Ich taugte nicht mehr, war ich überzeugt. Mein Leben war nur noch schwarz“, so empfand er es. Es war so schlimm, dass er sogar daran dachte, sich das Leben zu nehmen. Erneut war es seine Frau, die ihn ermunterte, ja überredete, sich in stationäre Behandlung zu begeben. Sechs Wochen im ISK, die zum zweiten Mal die Wende brachten: „Danach war ich ein anderer Mensch, wieder voller Zuversicht, gestärkt.“ Medikamentös mussten die Ärzte diesmal – auch als Folge eines gutartigen Gehirntumors, der operativ entfernt wurde – an die Grenzen des Machbaren gehen: Walter S. bekam Lithium in der höchsten noch möglichen Dosierung, ein Mittel, das nur unter strenger Kontrolle der Konzentration im Blut, verschrieben wird, damit es nicht zu einer Vergiftung kommt.
Lange Zeit ging alles gut, doch 2023 kam dann eine erneute Krise. Auslöser war, davon ist Walter S. überzeugt, ein schlimmes vorangegangenes Jahr. Die Pandemie hatten den Arzt mit eigener Praxis bis an die Grenzen seiner Belastbarkeit gebracht. Danach kam die Digitalisierung, eingeführt vom Gesetzgeber und ohne Alternative. Die vielen Schreiben der Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigung setzten ihn unter Druck, ebenso die immer größer werdende Bürokratie. „Ich habe geackert und geackert, gegrübelt und gegrübelt“, berichtet er. Die Selbstzweifel waren wieder da, der Wunsch, morgens einfach liegen zu bleiben statt die Praxis aufzuschließen, die Notwendigkeit, sich zu allen Handlungen zwingen zu müssen. Wieder kamen Gedanken auf, sich das Leben zu nehmen. Wieder war es da, das schwarze Loch, aus dem es scheinbar kein Entkommen gibt. Und wieder der Entschluss, den Rettungsanker zu greifen: stationäre Einweisung ins Inn-Salzach-Klinikum.
„Ich fühle mich sehr gut – aber nicht zu gut“
Hier kam es dann zu einem weiteren gesundheitlichen Schock: Nach gut drei Monaten Behandlung brach Walter S. zusammen, die rechte Körperhälfte war gelähmt. Schlaganfall? Er kam auf die Stroke-Unit-Einheit in der Neurologie des Klinikums. Dort stellten die Ärzte fest, dass es sich „nur“ um eine Durchblutungsstörung des Gehirn gehandelt hatte. Trotzdem dauerte es viele Wochen, bis der Patient wieder gehen konnte. Für ihn bewährte sich die neue Zusammenarbeit des psychiatrischen Fachkrankenhauses mit der Romed-Klinik, im Neubau unter einem Dach mit dem ISK. Gemeinsam entwickelten die Ärzte einen Medikamentenplan für die somatische und die seelische Erkrankung. Denn herzverträgliche Mittel für die Psyche müssen es nun sein. „Ich fühle mich im Moment sehr gut, aber nicht zu gut“, sagt Walter S, denn „zu gut“ ist für ihn als Betroffener mit bipolarer Störung nicht gut, weil er dann zu Unruhe, Aufgeregtheit und Selbstüberschätzung neigt.
„Das Inn-Salzach-Klinikum hat drei Mal dafür gesorgt, dass ich gesund wurde, mir quasi das Leben gerettet“, sagt er. „Hingebungsvoll“ widme sich das Personal den Patienten – von den Ärzten bis zu den Therapeuten und den Pflegekräften. Letztere seien ebenfalls „erstaunlich gut geschult in psychischen und neurologischen Erkrankungen“, findet er. Walter S. hat nach seiner Einschätzung die Kombination aus richtiger medikamentöser Einstellung, Gesprächen, Verhaltenstherapien („Ich habe gelernt, auch mal nein zu sagen“) und vor allem viel Reha-Sport geholfen. Er rät allen, bei denen sich eine seelische Erkrankung andeutet, sich Hilfe zu holen. „Trauen Sie sich!“. Erster Ansprechpartner sei der Hausarzt, Betroffene sollten sich ihm anvertrauen. Außerdem gebe es ein dichtes Netz an Hilfen, darunter viele Beratungsstellen, und im Akutfall die Telefonseelsorge. Walter S. geht in seinem großen Bekannten- und Freundeskreis außerdem offen mit seiner Erkrankung um, die ausgerechnet ihn, den Arzt, getroffen hat. Die Menschen würden heute in der Regel nicht mehr abwehrend reagieren, ist er überzeugt. „Wir sollten dazu stehen“, lautet sein Appell.