Rosenheimer Stadtarchivar erinnert
„Rosenheim nie so im Blickpunkt“ - „Schande für Stadt“: Ex-SSler-Treffen 1971 sorgte für Protest
In seinem Beitrag „‘Eine Schande für unsere Stadt‘: Das Treffen der ehemaligen Waffen-SS-Division ‚Das Reich‘ in Rosenheim, Herbst 1971“ im Wissenschaftsblog „Rosenheimer Miszellen“ beschreibt der Leiter des Stadtarchivs Rosenheim, Dr. Christian Höschler, das Geschehen und die Proteste rund um ein Treffen einer ehemaligen Waffen-SS-Division in Rosenheim 1971 zusammen. Wir haben dies um damalige Berichte aus dem Zeitungsarchiv ergänzt.
Rosenheim - „Nie zuvor stand Rosenheim so im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Waren doch mehrere Fernsehstationen aus dem In- und Ausland vertreten, dazu viele Journalisten großer Zeitungen, die über das ‚Nazi-Spektakel‘ berichten werden. Und auf eine solche Art von Werbung kann Rosenheim künftig getrost verzichten“, resümierte ein Beitrag am 18. Oktober 1971 im Oberbayerischen Volksblatt (OVB). Ein weiterer Meinungsbeitrag zerlegte die Begründung für die Versammlung der Ex-SS-Männer: Etwa die Behauptung, sie würden sich rein zur „soldatisch-militärischen Traditionspflege“ treffen. Er vermisst jegliche Aussage zu Reue oder Bedauern und will nicht akzeptieren, dass Untaten von Angehörigen der Truppe als „tragische Höhepunkte“ und „Einzelfälle“ abgetan werden. „Sie haben, das ist das Erschreckende, nichts dazugelernt“, schließt jener Autor.
Der gesamte Artikel von Dr. Höschler:
Mehr Artikel aus dem Zeitungsarchiv könnt Ihr außerdem hier finden.
Einem Demonstrationszug, an dem sich die DGB-Jugend, Jungsozialisten, Jungdemokraten, der AStA der Fachhochschule, die Schülermitverwaltungen der Rosenheimer Gymnasien und „free action“ beteiligten, hätten sich am Samstagnachmittag ungebeten auch ungefähr 200 Mitglieder der DKP und der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend angeschlossen, heißt es in einem ausführlichen Bericht über die Demonstration in derselben Ausgabe. „Insgesamt dürften rund 500 Demonstranten durch die Innenstadt zur Inntalhalle marschiert sein. In einer Ansprache auf der Loretowiese nannte DGB-Kreisvorsitzender Walter Schlosser das Treffen der ehemaligen SS-Soldaten ‚eine Provokation‘. Es sei ,eine Schande für unsere Stadt‘. Den ‚Wegbereitern eines neuen Faschismus‘ gelte es entgegenzutreten. Dagegen müssten alle demokratischen Kräfte mobilisiert werden.“ Dann habe die DKP „das Kommando übernommen“, die Polizei sich aber nicht provozieren lassen. „Es kam zu keinen größeren Tumulten.“
„Rosenheim nie so im Blickpunkt“ - „Schande für Stadt“: Ex-SSler-Treffen 1971 sorgte für Protest
Wie war es dazu gekommen? „In Rosenheim will an diesem Wochenende die Truppenkameradschaft der Division ‚Das Reich‘ ihre Gründungsversammlung abhalten. Dieses Vorhaben der Ehemaligen der SS ist auf massiven Protest gestoßen. In einem Flugblatt schreibt der DGB Rosenheim: ‚Dieses Treffen ist ein öffentliches Ärgernis, eine Schande für unsere Stadt ... Rosenheim darf nicht zur Brutstätte, rechtsradikaler SS-Traditionsverbände werden!‘ Weiter heißt es: ‚SS — raus aus Rosenheim!‘“, setzt ein Bericht im OVB vom 15. Oktober 1971 an, „Scharfen Protest hat gestern, nachdem das Treffen der SS in Rosenheim bekannt wurde, der DGB eingelegt. In einem Flugblatt schreibt Kreisvorsitzender Walter Schlosser: ‚Die SS-Division ,Das Reich‘ metzelte 1944 in Oradour, Frankreich, die männliche Bevölkerung nieder, Frauen und Kinder wurden in die Kirche getrieben und bei lebendigem Leibe verbrannt. In einer anderen Ortschaft, in Tülle, richtete sie unter der Bevölkerung ebenfalls ein Blutbad an!‘“
„Die Bürger Rosenheims ‚sollen sich mit dieser heimlichen Eroberung Rosenheims durch die ehemalige SS-Truppe nicht einverstanden erklären‘. Ein Telegramm wurde vom ‚Tschechoslowakischen Verband der Antifaschistischen Kämpfer‘ an die Stadtverwaltung Rosenheim gesandt. Unter anderem heißt es da: ‚Wir glauben nicht, dass ehrenhafte Bürger Ihrer Stadt einverstanden sein können, mit der Gastfreundschaft für die Mörder unschuldiger Opfer von Oradour, Tülle und anderen Orten in Europa, wo Angehörige der SS-Division ,Das Reich‘ Männer, Frauen und Kinder terrorisiert und gemordet haben.‘ Für Samstag, 13 Uhr, hat die Rosenheimer Jugend einen Protestzug vom Parkhotel bis zur Inntalhalle polizeilich angemeldet. Daran wollen sich unter anderem die Schülermitverwaltung der Gymnasien, die Jungsozialisten, die Jungdemokraten, die DGB-Jugend, der AStA der Fachhochschule und die Free action beteiligen.“
Höschler: „Mutige und engagierte Menschen setzten ein Zeichen“
Der Leiter des Stadtarchivs Rosenheim, Dr. Christian Höschler, hat zu dem Geschehen damals nun einen ausführlichen Beitrag in den „Rosenheimer Miszellen“ veröffentlicht. Im Sommer 1971 hätten zwei ehemalige Waffen-SS-Kommandeure in Kooperation mit der „HIAG“, kurz für „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS“ ein Rundschreiben an ehemalige Angehörige der 2. SS-Panzerdivision „Das Reich“ beziehungsweise deren Vorgängerverbände innerhalb der Waffen-SS geschickt, erläutert der Historiker. Die HIAG habe als erklärtes Ziel gehabt, das Bild der Waffen-SS zu rehabilitieren, indem sie deren Rolle im NS-Regime als eine rein militärische im Sinne der konventionellen Kriegsführung darzustellen versuchte. „In dem gemeinsam unterzeichneten Schreiben wurde zur Gründung einer Truppenkameradschaft ‚Das Reich‘ aufgerufen. Zu diesem Zweck sollte ein offizielles Gründungstreffen am 16. Oktober 1971 in Rosenheim stattfinden.“
Auch gegenüber der Presse wurde betont, dass die Veranstaltung auch dem solidarischen Austausch zwischen ehemaligen Divisionsangehörigen sowie der gemeinsamen Erinnerung an gefallene Kameraden dienen solle. Als weiteres Anliegen wurde das Thema der Vermisstensuche benannt, da auch 26 Jahre nach Kriegsende noch zahlreiche Schicksale ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS ungeklärt waren. „Ursprünglich war geplant, die Kameradschaftsgründung in einem Rosenheimer Hotel durchzuführen, welches über einen Veranstaltungssaal für 80 Personen verfügte.“ Die Protestierenden hätten die aus ihrer Sicht übermäßige Polizeipräsenz kritisiert und in Sprechchören skandierten: „Liebe Polizisten, schützt doch keine Faschisten.“
„Obwohl das Treffen in der Inntalhalle also umfassend dokumentiert wurde, geriet es im kollektiven Geschichtsbewusstsein der Stadt Rosenheim überraschenderweise in Vergessenheit“, bemerkt Höschler in seinem Beitrag. In einem Rundschreiben im Oktober 1972 wiederum habe die Vorstandsschaft der Kameradschaft betont, dass die Truppenkameradschaft inzwischen ins Vereinsregister der Stadt München eingetragen worden sei, „man aber künftig – vermutlich auch und gerade in Anbetracht der massiven Proteste anlässlich des Gründungstreffens in Rosenheim – öffentliches Aufsehen eher vermeiden wolle.“ Der Austausch innerhalb der Gruppe sei aber weiter rege geblieben. Der zivilgesellschaftliche Protest, der 1971 in Rosenheim an den Tag gelegt wurde sei wichtig gewesen. „Mutige und engagierte Menschen hatten ein deutliches und lautes Zeichen gegen rechtsextreme, ewiggestrige Verbrecher gesetzt. Rückblickend dürfte es sich um eines der frühesten Kapitel einer kritischen Erinnerungskultur zur NS-Zeit in Rosenheim gehandelt haben“, so Höschler abschließend. (hs)
