Bangen um Familie: SPD-Stadtrat reiste in die Türkei
„Beerdigungen im Minutentakt“: Rosenheimer Politiker Abuzar Erdogan hilft im Erdbebengebiet
Zwei Wochen nach der Erdbebenkatastrophe hat ein weiteres Beben den Südosten der Türkei und den Norden Syriens erschüttert. Wie schlimm die Situation vor Ort ist, weiß Abuzar Erdogan. Der SPD-Politiker ist in die Türkei gereist, um seiner Familie zu helfen. Ein Einblick.
Rosenheim/Elbistan - Die Entscheidung, in die Türkei zu reisen, fiel innerhalb weniger Stunden. „Meinem Opa ging es nicht gut und wir wollten meine Familie vor Ort unterstützen“, sagt Abuzar Erdogan. Also bucht der SPD-Politiker am Freitag, 10. Februar, einen Flug nach Antalya und reist einen Tag später mit seinem Vater in die Türkei. „Es war ein komisches Gefühl, weil ich nicht wusste, was mich erwartet“, sagt Erdogan.
Zwölfstündige Fahrt nach Elbistan
Am Flughafen angekommen, mieten sich die beiden Männer ein Auto und beginnen die fast zwölfstündige Fahrt nach Elbistan. Jene Stadt, die in der Nacht auf Montag (6. Februar) Epizentrum des Nachbebens gewesen ist, das die Südosttürkei erschüttert hat. „Die Situation war sehr bedrückend und angespannt“, erinnert sich der Politiker. Je näher sie dem Geburtsort seines Vaters kamen, umso größer sei das Bild der Zerstörung geworden. Er spricht von Trümmern, eingestürzten Häusern, verzweifelten Menschen, die nach Angehörigen suchten und einer unvorstellbaren Kälte. „Die Spitzenwerte lagen bei Minus 25 Grad“, sagt Erdogan.
Bei seiner Familie angekommen, verschafft er sich ein Bild von der Lage. Verletzt sei niemand gewesen, verloren hätten sie alles. Das Haus seiner Großeltern sei eingestürzt, die Bleibe seines Onkels unbewohnbar. „Meine Verwandten sind kurze Zeit später in die umliegenden Dörfer geflüchtet“, sagt Erdogan. Zwar gebe es dort weder Krankenhäuser noch Supermärkte, dafür seien die Bungalows relativ unbeschädigt gewesen. „Wir haben in der Hütte meiner Tante übernachtet“, sagt Erdogan. Geheizt wurde mit einem Holzofen. Um sich zu waschen, mussten sie Schnee sammeln und haben diesen auf dem Ofen schmelzen lassen.
Einkauf von Lebensmitteln und Medikamenten
Die kommenden Tage verbringt er damit, Lebensmittel einzukaufen und an die Menschen in den Dörfern zu verteilen. Er besorgt Medikamente, gibt denjenigen Geld, die während des Erdbebens alles verloren haben - und hört sich immer wieder das Leid der Einheimischen an.
Er erfährt von einer zehnköpfigen Familie, von denen nur Zwei überlebt haben. Er erzählt von dem Friedhof mitten in der Stadt, auf dem im „Minutentakt Beerdigungen stattgefunden haben“ und der „Totenstille“, als die Bergungstruppe aus den Trümmern eine Stimme zu hören glaubte. „Alles war wie versteinert, um mögliche Schreie zu hören“, sagt Erdogan.
Am sechsten Tag nach dem Beben seien die ersten Listen mit den Verstorbenen verteilt worden. „Das ist eine Situation, die man sich nicht vorstellen kann“, sagt der SPD-Politiker. Fast jeder habe einen Bekannten oder Verwandten verloren. „Nach dem ersten Beben sind viele Menschen zurück in ihre Wohnungen gekehrt und hatten beim zweiten Beben keine Chance“, sagt Erdogan. Es sei eine Entscheidung gewesen, die zwischen Leben und Tod entschieden hat.
Die Angst vor weiteren Beben
Mittlerweile ist der Politiker wieder zurück in Rosenheim und versucht von dort aus seine Familie zu unterstützen. Sobald absehbar ist, wo genau man helfen kann, will er noch einmal in die Türkei fliegen. „Im Moment ist vieles noch chaotisch und unorganisiert. Außerdem ist nach wie vor die Angst vor weiteren Beben da“, sagt er. Dass diese Angst durchaus begründet ist, zeigt das Beben am Montagabend (20. Februar), das erneut Tote und Verletzte gefordert hat.
„Ich hoffe sehr, dass die Hilfsbereitschaft nicht abreißt“, sagt Erdogan. Er selbst habe wahnsinnig viel Unterstützung aus seinem Freundeskreis erfahren. Denjenigen, die Hilfsgüter spenden wollen, rät er dazu auf Klamotten zu verzichten und eher Decken, Hygieneartikel und Heizmaterial zu sammeln. „Aber fest steht auch, dass Geld für viele das einzig effektive ist“, sagt er. Gespendet werden kann unter anderem an das Rote Kreuz oder die Alevitische Gemeinde Deutschland.



