Große Demo am Samstag, 11. Mai
„Das ist frustrierend“: Warum Rosenheimer Radler jetzt auf die Barrikaden gehen
Die Stimmung ist angespannt: Vor vier Jahren hat der Stadtrat sich dazu entschieden, den Radverkehr in der Stadt zu verbessern. Doch viel passiert ist seitdem nicht. Jedenfalls, wenn man bei den Mitgliedern des Fahrradbeirats nachfragt. Jetzt wollen sie auf die Straße gehen, um ihrem Unmut Luft zu machen.
Rosenheim – Armin Stiegler und Dirk Langer haben die Nase voll. Im März 2020 wurde der „Radentscheid Rosenheim“ beschlossen. Dabei handelt es sich um ein Maßnahmenpaket, das den Radverkehr in der Stadt verbessern soll. Nachdem der Stadtrat seine Zustimmung gegeben hatte, wurde unter anderem ein „Fahrradbeirat“ etabliert. Alle Beteiligten können Ideen und Vorschläge einbringen und besprechen sich hinsichtlich des rechtlichen Rahmens und der bestehenden Richtlinien. Jetzt sprechen die Mitglieder Armin Stiegler und Dirk Langer darüber, wie es um das Vorhaben steht und warum sie mehr als unzufrieden sind.
Warum gehen Sie am Samstag auf die Straße?
Armin Stiegler: Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir uns überlegen, inwiefern unsere Arbeit überhaupt noch Sinn macht. Wir mussten in den vergangenen Monaten feststellen, dass unsere Anregungen und Vorschläge zum Teil noch überhaupt nicht oder aber nur sehr halbherzig umgesetzt wurden. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, am Samstag, 11. Mai, eine Fahrrad-Demo zu veranstalten. Das Thema ist extrem wichtig, das zeigen auch die 6.500 Unterschriften für den Radentscheid, die wir vor vier Jahren an Oberbürgermeister Andreas März übergeben haben.
Dirk Langer: Damals gab es einen großen Schwung. Im Radentscheid stehen konkrete Ziele drin, welche die Fahrradinfrastruktur verbessern sollen. Der Stadtrat hat diese Ziele übernommen und muss sie auch umsetzen. Und genau das passiert eben nicht in dem Maß, in dem es passieren müsste. Sowohl qualitativ, also was die Art und Weise von Planungen betrifft, als auch, was den zeitlichen Ablauf angeht.
Also dauert Ihnen die Umsetzung zu lange?
Langer: Ja. Ziel ist es, ein zeitnah durchgängiges Radverkehrsnetz zu schaffen, mit bestimmten baulichen Standards. Die Stadt hat in diesem Zusammenhang einen Gutachter beauftragt, der Vorschläge gemacht hat, wie das konkret für jede Straße aussehen könnte. Der Stadtrat hat den Maßnahmenkatalog anschließend verabschiedet. Eine Vielzahl der Maßnahmen wurde jedoch mehrmals verschoben. Bei vielen ist mit einer Umsetzung frühstens 2028 zu rechnen, in der Realität wird es wahrscheinlich noch länger dauern.
Gibt es auch Maßnahmen, die bereits umgesetzt wurden?
Stiegler: Gibt es, aber die Liste ist sehr überschaubar. Etliche Markierungen, beispielsweise in der Klepperstraße oder in der Münchener Straße.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass es mit der Umsetzung so schleppend vorangeht?
Langer: Es gibt sicherlich mehrere Gründe. Viele der von uns vorgeschlagenen Maßnahmen sind mit einer großen finanziellen Investition verbunden, da in der Regel auch Ausbaumaßnahmen für den Kfz-Verkehr kombiniert werden. Natürlich hat die Stadt nicht das Geld, alles gleichzeitig umzusetzen. Hinzu kommen Engpässe in der Personalstruktur des Tiefbauamts. Außerdem fehlt der politische Wille.
Ein harter Vorwurf.
Langer: Es gibt ein Beispiel. Vor drei Jahren hat das Bundesverkehrsministerium ein groß angelegtes Förderprogramm ins Leben gerufen, mit dem der Radverkehr in Kommunen und Landkreisen gefördert werden sollte – zum Teil mit 80 Prozent. Die Stadt hätte sich vom Grunderwerb über die Planung bis hin zum Bau alles fördern lassen können. Wir haben unter anderem vorgeschlagen, die Innsbrucker Straße umbauen zu lassen. Die Stadt hat diese Idee damals abgelehnt. Auch andere Maßnahmen wurden nicht berücksichtigt. Letztendlich hat die Verwaltung überhaupt nichts beantragt. Und das können wir nicht nachvollziehen.
Immerhin wurden eine Vielzahl von Abstellmöglichkeiten aufgestellt.
Stiegler: Das stimmt. Aber unsere Forderung war, dass 50 Prozent davon überdacht sein sollen. Bisher sind wir bei 2,5 Prozent.
Man hört Ihnen die Frustration schon sehr deutlich an.
Langer: Es ist ja nicht so, dass wir bisher gar nichts erreicht haben. Aber es ist für eine Zeit von vier Jahren einfach deutlich zu wenig. Wenn wir in dem Tempo weitermachen, kann man sich schon die Frage stellen, ob unsere Arbeit sinnvoll ist. Der Fokus bei vielen Stadträten liegt zu sehr auf dem Kfz-Verkehr. Nach wie vor hat man Angst, den Autofahrern etwas wegzunehmen.
So ist es ja auch, oder nicht?
Stiegler: Wir haben in der Stadt nur einen begrenzten Platz zur Verfügung. Wenn wir den Radfahrern also größere Spuren anbieten wollen, dann geht es häufig zu Lasten des ruhenden oder fahrenden Verkehrs. Das ist natürlich ein heißes Eisen. Verwaltung und Stadträte müssen deshalb den Mut haben, auch unangenehme Entscheidung zu treffen.
Müssen Rad- und Autoverkehr wirklich immer gegeneinander ausgespielt werden?
Langer: Da wären wir wieder bei dem begrenzten Platz, den man nun einmal irgendwie verteilen muss. Da müssen Prioritäten gesetzt werden. Und im Radentscheid haben wir ganz genau festgelegt, wie diese Prioritäten gesetzt werden sollen. Es ist ja nicht so, dass wir alle Straßen sperren wollen. Je mehr Leute Rad fahren, desto leichter tut sich auch der Kfz-Verkehr. So kann es gelingen, dass Autofahrer auch mit zwei Spuren zurechtkommen.
Einen solchen Vorschlag haben Sie für die Innstraße unterbreitet.
Stiegler: In der Innstraße hätten wir die Möglichkeit, eine der beiden Fahrspuren stadtauswärts aufzulösen und somit einen Radfahrstreifen zu schaffen, der die von uns geforderte Breite von 2,25 Metern hätte. Die Stadtverwaltung favorisiert jedoch eine andere Lösung, bei der die Bordsteine nicht versetzt werden sollen. Das ist günstiger, erfüllt aber nicht unsere Anforderungen.
Langer: Und dabei hat eine Verkehrssimulation ergeben, dass der Kfz-Verkehr locker mit einer Spur stadtauswärts klarkommen würde. Die Qualitätsstufe würde auch dann noch bei gut bis sehr gut liegen. Das erreicht man fast nirgendwo in Rosenheim.
Stiegler: Was man auch erwähnen sollte: Die Verwaltung weiß, dass der momentane Radweg auf dem Bordstein gefährlich ist. Es gibt an dieser Stelle eine Vielzahl von Ausfahrten. Wenn die Autos rausfahren, gibt es nahezu keinen Abstand zu den Radfahrern. Es handelt sich also durchaus um einen Unfallschwerpunkt. Trotzdem ist die Verwaltung im Moment noch nicht dazu bereit, an dieser Stelle etwas zu verändern. Das ist frustrierend, auch wenn die endgültige Entscheidung noch aussteht.
Was erhoffen Sie sich von der Demo?
Stiegler: Unsere Arbeit im Fahrradbeirat bleibt oft im Verborgenen. Wir wollen auf unsere Arbeit aufmerksam machen und wollen die Stadträte an ihren Beschluss von vor vier Jahren erinnern. Es kann nicht nur bei einem Lippenbekenntnis bleiben.
Gibt es auch Dinge, die gut laufen?
Stiegler: Viel fällt mir nicht ein.
In der Kaiserstraße oder in der Münchener Straße sind Parkplätze weggefallen, um Platz für Radfahrer zu machen.
Stiegler: Ja, das ist richtig. Das ist im Rahmen unseres Radentscheids passiert. An diesen Stellen hat man sich für den Radverkehr entschieden – und die Umsetzung zeigt, dass es funktioniert. Jede Verbesserung für den Radverkehr ist wichtig. Aber vom Anteil her ist es einfach noch zu wenig.
Vielen Menschen ist der Wegfall von Parkmöglichkeiten ein Dorn im Auge. Ist unsere Gesellschaft überhaupt schon bereit dafür, dass der Fokus auf dem Radverkehr liegt?
Langer: Nur wenn wir ein sicheres und komfortables Radverkehrsnetz haben, wird die Nachfrage steigen. Der Stadtrat hat sich als Ziel gesetzt, den Radverkehrsanteil von 18 auf 26 Prozent zu erhöhen. Jetzt, wo viele Maßnahmen verschoben werden, frage ich mich schon, wie man dieses Ziel erreichen will. Aber natürlich brauchen wir auch mehr Menschen, die sich aufs Fahrrad schwingen wollen.
Das letzte Wort gehört Ihnen.
Langer: Viele andere Städte zeigen, dass es funktioniert. Rosenheim hat Nachholbedarf. Das zeigt auch der Fahrradklimatest, bei dem Rosenheim regelmäßig auf den hinteren Plätzen landet. Mit unserer Aktion wollen wir den Wunsch eines großen Teils der Bürgerschaft verdeutlichen, die Sicherheit der schwächsten Verkehrsteilnehmer zu erhöhen. Wir erhoffen uns vom Stadtrat ein klares Bekenntnis zum Radentscheid.
Mehr Informationen
Die Initiative „Radentscheid Rosenheim“ ruft für Samstag, 11. Mai zu einer Fahrrad-Demonstration für eine bessere Rad-Infrastruktur auf. Die Fahrrad-Demo wird als sogenannte „Kidical Mass“ durchgeführt, bei der insbesondere möglichst viele Kinder und Jugendliche mitfahren und sich so für bessere Radwege einsetzen können. Start ist um 10.30 Uhr am Ludwigsplatz. Die Route führt auch über Straßen, bei denen eine Verbesserung der Rad-Infrastruktur dringend erforderlich wäre. Voraussichtliches Ende ist gegen 11.30 Uhr wieder am Ludwigsplatz. Kinder bis zum 14. Lebensjahr dürfen nur in Begleitung eines Erziehungsberechtigten teilnehmen. Die angemeldete Aktion wird von der Polizei begleitet.