101. Geburtstag in Rosenheim
„Vorbei mit der schönen Zeit“: Das erlebte Bronislawa Plattner in 101 Jahren
Im Kreis ihrer Familie feierte Bronislawa Plattner am 18. August ihren 101. Geburtstag. Ihr junges Leben war vom Zweiten Weltkrieg und der Flucht aus ihrer Heimat geprägt. Was die Rosenheimerin in den über 100 Jahren alles erlebt hat.
Rosenheim – Bronislawa Plattner strahlt, als sie den Blumenstrauß der Dritten Bürgermeisterin Gabriele Leicht entgegennimmt. Es ist ein besonderer Tag für Plattner. Im kleinen Kreis ihrer Familie feiert sie ihren 101. Geburtstag. Vor allem über den überraschenden Besuch der dritten Bürgermeisterin freut sie sich sehr. „Ich dachte, der 101. Geburtstag wäre nicht mehr so wichtig“, sagt sie und lacht. Leicht entgegnet ihr: „Das ist doch heute ein besonderer Anlass.“
Zu Kaffee und Kuchen setzt sich die Familie an den gedeckten Tisch im Kapellenraum des Elisabeth-Altenheims in Rosenheim. Bewohner des Hauses kommen an dem Tisch vorbei und gratulieren dem „Geburtstagskind“. Im Hintergrund erklingt Musik eines Keyboard-Spielers. Doch die Familie lauscht nur den Geschichten von Plattner.
„Vorbei mit der schönen Zeit“
1922 wurde Bronislawa Plattner in einem oberschlesischen Dorf bei Tworkow im heutigen Polen geboren. An ihre Familie denkt die 101-Jährige gerne. „Unsere Eltern legten viel Wert auf eine gute Erziehung“, sagt Plattner. Und dazu gehörten „nicht stehlen, nicht lügen und die Eltern ehren.“ Und das taten sie und ihre Geschwister. Zusammen mit drei Brüdern und einer Schwester wuchs sie als „Nesthäkchen“ behütet auf. Bis die Nationalsozialisten an die Macht kamen und später der Zweite Weltkrieg ausbrach. „Dann war es vorbei mit der schönen Zeit“, sagt Plattner.
Von dem Nazi-Regime habe die Familie in ihrem Heimatdorf zunächst nicht viel mitbekommen. Doch dann starb einer ihrer Brüder kurz vor Kriegsbeginn bei einer Militärübung und 1942 fiel der zweite Bruder an der Ostfront. „Das war sehr traurig und einschneidend“, erinnert sich Plattner. Doch nicht nur Menschen wurden eingezogen. „Auch die ganzen Pferde nahmen sie mit“, sagt sie. Und auch von ihrem geliebten Hund musste sie Abschied nehmen. Denn der Staat zog auch ihn ein.
Kein leichter Anfang in Rosenheim
In den letzten Kriegsjahren habe Plattner mit vielen anderen jungen Frauen in der Munitionsfabrik arbeiten müssen, damit die Familie Lebensmittelmarken erhielt. 1945 sei sie dann mit vier weiteren Frauen aus ihrer Heimat geflohen. Zu Fuß, auf dem Fahrrad und auch mit der Bahn ging es für die jungen Frauen über das Gebiet der heutigen tschechischen und slowakischen Republik nach Bayern. Während dieser Zeit sei sie von ihrer Familie getrennt worden.
In der amerikanischen Zone fand Plattner dann Arbeit. Zunächst lebte sie in Deggendorf. Dort half sie in der Küche als Serviererin und im Familien-Haushalt der Amerikaner aus. „Und dann arbeitete ich als Verkäuferin bei der amerikanischen Armee in Bad Aibling“, sagt Plattner. Dort begegnete sie ihrem Mann Josef zum ersten Mal. Noch nicht ahnend, dass sie ihn erst viele Jahre später heiraten würde.
1948 erblickte ihre Tochter Elisabeth das Licht der Welt. Damals lebte Plattner noch wie viele andere Arbeitskollegen und Flüchtlinge in Notunterkünften. Ihre Tochter ist mit einer Sehbehinderung geboren worden. Unter diesen schwierigen Umständen sei es für die junge alleinerziehende Mutter keine einfache Aufgabe. Schweren Herzens habe Plattner ihre Tochter in die Obhut der Jugendfürsorge gegeben. Stets versuchte sie, ihrem Kind nah zu sein. Bis die Tochter sieben Jahre später die Blindenschule in München besuchte. Kurz darauf habe Plattner eine Wohnung in Rosenheim gefunden. An diese erinnert sich die 101-Jährige gut. Denn dort konnte sie in den Urlaubs- und Ferienzeiten viel Zeit mit ihrer Tochter verbringen.
1975 ging für Bronislawa Plattner ein großer Traum in Erfüllung. Mit 53 Jahren heiratete sie ihren Mann Josef. „Er war ein lieber, aber stiller Mensch“, erinnert sie sich. Josef brachte eine Tochter und einen Sohn mit in die Ehe. Später zogen sie nach Rosenheim, wo Plattner bis zu ihrer Rente im Landratsamt arbeitete. 1997 kam es zu einem schweren Einschnitt in ihrem gemeinsamen Leben. Ihr Mann erlitt einen Schlaganfall und wurde damit zum Pflegefall. Fast acht Jahre habe sie sich um ihn zu Hause gekümmert. 2006 starb er im Altenheim.
Dankbar für ihre Gesundheit
Zwölf Jahre später ging es auch für Plattner ins Altenheim. Dankbar sei sie vor allem über ihre Selbstständigkeit. „Ich kann mich selbst noch pflegen und mein Bett morgens machen“, sagt sie. Doch das Bett neu zu beziehen, ginge nicht mehr. „Ich habe Probleme mit den Armen und auch die Augen werden schlechter“, so Plattner. Lesen gehe kaum noch. Die Nachrichten könne sie nur noch über den Fernseher verfolgen.
„Man darf nicht jammern, denn es gibt Jüngere, denen geht es schlechter als mir“, sagt Plattner. Daher sei sie dankbar für ihre sonstige Gesundheit. Eines vermisse Plattner jedoch sehr. „Ich würde gerne nochmal durch die Stadt spazieren gehen“, sagt die 101-Jährige. Auch wenn sie nicht hier geboren sei, habe die Stadt einen hohen Stellenwert in ihrem Leben. „Ich habe mich an die Stadt und das Leben hier gewöhnt.“