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Anonym gebären: Expertin erklärt alle Details

Babyklappe in Rosenheim wird eröffnet: Ist eine vertrauliche Geburt die bessere Lösung?

Sabine Lugauer vom Sozialdienst katholischer Frauen e.V., Martina Hummel von der Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen am Rosenheimer Gesundheitsamt und Ulrike Schauberger von der Schwangerschaftsberatungsstelle Donum Vitae (von oben nach unten).
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Sabine Lugauer vom Sozialdienst katholischer Frauen e.V., Martina Hummel von der Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen am Rosenheimer Gesundheitsamt und Ulrike Schauberger von der Schwangerschaftsberatungsstelle Donum Vitae (von oben nach unten).

Nachdem im Frühjahr in einem Rosenheimer Hinterhof ein Neugeborenes abgelegt wurde, eröffnet nun die erste Babyklappe der Stadt. Doch es gibt auch andere Lösungen für die Betroffenen. Wie eine Frau sicher und ohne ihre Identität preiszugeben, gebären kann.

Rosenheim – In eine Decke und einen Stoffbeutel gewickelt: So wurde im März dieses Jahres ein Neugeborenes im Hinterhof eines Rosenheimer Hotels gefunden. Es dauerte nicht lange, bis die Diskussion um eine Babyklappe in der Stadt entstand. Und ebenso schnell war auch die Entscheidung da. Nun wird die Babyklappe noch in diesem Jahr eröffnet.

Doch es gibt auch andere Möglichkeiten, die Frauen in solch vermeintlich ausweglosen Situationen nutzen können. Eine davon ist die vertrauliche Geburt – doch kaum jemand kennt diese Option. Seit der Einführung des Gesetzes zur vertraulichen Geburt im Jahr 2014 haben bundesweit 1040 Frauen dieses Angebot genutzt. Wie eine vertrauliche Geburt abläuft und welche Vorteile sie für Mutter und Kind mit sich bringt, erklären Ulrike Schauberger von der Schwangerschaftsberatungsstelle Donum Vitae, Sabine Lugauer vom Sozialdienst katholischer Frauen e.V. und Martina Hummel von der Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen am Rosenheimer Gesundheitsamt.

Vertrauliche Geburt: Was ist das?

Möglichst kurz und knapp: Was ist eine vertrauliche Geburt?

Schauberger: Eine Frau, die ihre Schwangerschaft aus Angst oder Verzweiflung geheim halten möchte oder muss, hat die Möglichkeit, anonym – also, ohne dass sie ihre Identität preisgeben muss – und medizinisch begleitet, in einer Klinik zu entbinden. Und sie wird vor, während und nach der Geburt von einer Schwangerschaftsberatungsstelle durchgehend beraten und begleitet.

Gibt es dann einen bestimmten Zeitpunkt, wann sich die Frau für die vertrauliche Geburt entscheiden muss? Oder geht das auch erst zur Entbindung?

Schauberger: Mein Wunsch wäre natürlich, dass die Frau bereits in der Schwangerschaft Kontakt mit einer Schwangerenberatungsstelle aufnimmt. Aber ich habe in Rosenheim in den verganenen Jahren auch vertrauliche Geburten begleitet, wo ein Anruf aus der Klinik kam: „Bei uns entbindet gerade eine Frau, die anonym bleiben will, kommt ihr?“ Auch dann erhält sie umgehend Beratung und Unterstützung von uns. Eine Frau muss keine Angst haben.

Lugauer: Es ist auch oft so, dass Frauen die Schwangerschaft verdrängen, erst sehr spät realisieren, was auf sie zukommt und sich dann auch sehr spät entscheiden, was sie machen. Man wird wahrscheinlich auch nicht alle Kindesaussetzungen vermeiden können. Umso wichtiger ist es, dass man die Frau mit entsprechender Vorarbeit erreicht.

Babyklappe oder vertrauliche Geburt: Das ist der Unterschied

Wie werden Frauen unterstützt, wenn sie sich an Sie wenden?

Hummel: Sie werden durch Fachpersonal begleitet. Heißt zum Beispiel, man bereitet gemeinsam mit der Mutter alles für eine Adoption vor. Sie hat auch das Recht, dass ein Herkunftsnachweis hinterlegt wird. So kann das Kind ab 16 Jahren erfahren, wo es herkommt. Außerdem kann sich die Frau überlegen, wie die Familie sein soll, die sie sich für ihr Kind wünscht.

Die Mutter hat hier also ein Mitspracherecht?

Schauberger: Die Frau kann mitentscheiden, wie ihre Geburt verlaufen soll. Sie darf ihrem Kind einen Namen geben und Wünsche formulieren, wie ihr Kind aufwachsen soll. Diese Wünsche werden von uns an die Adoptionsvermittlung, mit der wir sehr eng zusammenarbeiten, weitergegeben.

Kann die Mutter das Hinterlegen dieses Herkunftsnachweises auch ablehnen?

Schauberger: Grundsätzlich kann eine Mutter bei sehr wichtigen Gründen ihre Anonymität auch über die 16 Jahre hinaus beantragen. Wenn das Kind nach 16 Jahren seine Identität erfahren möchte, muss darüber dann letztendlich das Familiengericht entscheiden. Meine Erfahrung ist aber, dass es für die Mütter kein Problem ist, dass ihre Kinder mit 16 Jahren ihre Herkunft erfahren können. Ganz im Gegenteil.

Hummel: Der Beweggrund für eine vertrauliche Geburt ist weniger, das Kind nicht haben zu wollen. Oft sind es so schwierige Umstände und keine Aussicht auf Veränderung oder Besserung in der Zukunft. Ich glaube, deswegen haben die Frauen auch oft das Gefühl, ihrem Kind erklären zu wollen, was sie zu der Entscheidung bewogen hat.

Und wenn sich die Frau später entscheidet, dass sie das Kind doch behalten möchte?

Schauberger: Eine unserer wichtigsten Aufgaben nach der Geburt ist, mit der Frau zu klären, ob sie nach wie vor der festen Überzeugung ist, dass ihr Kind nicht bei ihr aufwachsen soll, oder ob Zweifel kommen. Sobald eine Frau diese äußert, bekommt sie jegliche Unterstützung, damit das Leben mit ihrem Kind gelingen kann. Dafür muss sie jedoch ihre Anonymität aufgeben. Grundsätzlich ist die Rücknahme des Kindes unter bestimmten Voraussetzungen bis zum Adoptionsbeschluss möglich.

Warum sich Frauen für eine vertrauliche Geburt entscheiden

In was für Situationen befinden sich diese Frauen?

Lugauer: Es gibt unterschiedliche Notlagen. Schwierigkeiten mit dem Partner, existenzielle Probleme, Wohnungslosigkeit. Es ist völlig unterschiedlich.

Hummel: Auch der negative Einfluss einer Herkunftsfamilie kann ein Grund sein.

Schauberger: Gemeinsam haben die Frauen, dass sie in einer psychischen und physischen Überforderung sind. Manche wollen auch die Kinder vor dem Kindesvater schützen. 

Gibt es auch Fälle, in denen der Vater miteinbezogen wird oder Paare gemeinsam eine vertrauliche Geburt wollen?

Schauberger: An erster Stelle geht es hier um Frauen, die ihre Schwangerschaft verbergen und niemandem etwas von dieser Schwangerschaft sagen. Somit weiß auch der Kindsvater nichts von der Schwangerschaft.

Hummel: Leider liegt der Hauptgrund für die Entscheidung zur vertraulichen Geburt oft in der Partnerschaft.

Lugauer: Da hat vielleicht auch häusliche Gewalt eine Rolle gespielt.

Hummel: Oder ein Vater beansprucht das Kind und die Sorge allein für sich und es besteht die Gefahr, dass er das Kind der Mutter entzieht, eventuell auch ins Ausland flüchtet und dies will die Mutter vermeiden.

Wie ist es eigentlich mit den Kosten? Wird da trotzdem die Krankenkasse mit einbezogen?

Schauberger: Nein, absolut nicht, denn dann wäre die Anonymität nicht mehr gegeben. Eine Frau, die vertraulich entbindet, muss niemandem gegenüber den Ausweis oder die Krankenkassenkarte zeigen. Sie wählt für sich ein Pseudonym und unter diesem Pseudonym wird sie behandelt. Und die Kosten trägt das Bundesamt für zivilrechtliche Angelegenheiten.

Was bedeutet eine vertrauliche Geburt für das Kind im Vergleich zum Ablegen in der Babyklappe?

Schauberger: Für die vertraulich geborenen Kinder kann es etwas sehr Wichtiges sein, zu wissen: Meine Mama hat mich zwar vertraulich entbunden und entschieden, dass ich nicht bei Ihr aufwachsen kann, aber sie hat sich viele Gedanken gemacht. Das ist was anderes als: Ich wurde in eine Babyklappe gelegt.

Babyklappe in Rosenheim: Nutzen dann weniger Frauen die vertrauliche Geburt?

Bei einer Beratungsstelle anzurufen und einen Termin zu vereinbaren, kann für Personen in einer Drucksituation eine große Hürde sein. Haben Sie Sorge, dass mit der Babyklappe sich mehr Frauen für diesen Weg entscheiden?

Hummel: Nein, diese Sorge haben wir wohl alle drei nicht. Aber wir haben die Hoffnung, dass wenn eine Frau in so einer kompletten Ausnahmesituation ist, sie als allerletzte Lösung ihr Kind in die Babyklappe legt, statt es – wie geschehen – in einem Hinterhof abzulegen.

Lugauer: In sehr seltenen Einzelfällen legen Mütter ihr Neugeborenes in einer Babyklappe ab. Diese Frauen sind in einer extremen psychischen Ausnahmesituation, in der sie auch vorher nicht in der Lage waren, nach anderen Möglichkeiten zu suchen oder sich Hilfe zu holen. Manche Frauen verdrängen ihre Schwangerschaft bis kurz vor der Geburt. Hier kann eine Babyklappe ein zusätzliches Angebot sein. Auch gesundheitlich kann es für die Mutter und das Kind sehr gefährlich werden, wenn die Frau alleine irgendwo, ohne medizinische Versorgung entbindet. Außerdem hat das in der Babyklappe abgelegte Kind später keine Möglichkeit, über seine Herkunft zu erfahren.

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