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365 Tage Krieg in der Ukraine

„Wir haben Menschen verloren“: Was ein Rosenheimer im Kriegsgebiet in der Ukraine erlebt hat

Uwe Gottwald ist während des Krieges mehrmals in die Ukraine gereist. Bei einem Angriff auf einen Kleinbus sind dabei Mitarbeiter von ihm ums Leben gekommen.
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Uwe Gottwald ist während des Krieges mehrmals in die Ukraine gereist - trotz der Angriffe auf sein Team.

Ein Jahr lang Krieg in der Ukraine: Seit dem Angriff Russlands ist die Welt in Europa nicht mehr die gleiche. Und trotz der Raketenangriffe und tödlichen Gefahren versuchen nach wie vor Menschen aus Rosenheim wie Uwe Gottwald zu helfen. Sogar direkt im Kriegsgebiet. Das hat er erlebt.

Rosenheim - Für Uwe Gottwald war der Morgen des 24. Februars 2022 ein Schock. Der Mann aus Söchtenau und Leiter des Arbeitskreises „Jesus verbindet Völker“ der Evangelischen Freikirchlichen Gemeinde Rosenheim hätte niemals geglaubt, dass Russland einen Krieg gegen die Ukraine beginnt. „Für die Ukraine war Russland eigentlich immer so etwas wie der große Bruder“ sagt er. Seit mehr als 30 Jahren unterstützt Gottwald mit seinen Mitarbeitern bedürftige Menschen in der Ukraine - auch während des Krieges unter Raketenangriffen und Todesfällen.

Seit 1991 Hilfsaktionen für die Ukraine und Russland

Begonnen habe alles 1991 nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. „Da haben wir in den Nachrichten gesehen, dass unter den Menschen in einigen Ländern der Sowjetunion bittere Not herrscht“, sagt der Mann, der ursprünglich aus Oberfranken kommt. Mit anderen Kirchengemeinden habe er dann überlegt, wie man helfen könne. Der erste Lastwagen mit Hilfsmitteln, die zum Großteil aus Lebensmitteln und Spenden bestanden, ging noch im selben Jahr nach Leningrad, dem heutigen St. Petersburg. „Das war maximal abenteuerlich, da wir keine Ahnung hatten, wie das funktionieren soll“, sagt Gottwald am Telefon.

Erst vor Ort sei man in Kontakt mit einer Untergrundkirche - einer christlichen Gemeinschaft, die sich aufgrund von Unterdrückung und Verfolgung im Geheimen trifft - gekommen, die fortan die Verteilung der Lebensmittel und Geldspenden an die Bedürftigen übernahm. In den Jahren danach seien Gottwald und die Mitglieder des Arbeitskreises mit der Unterstützung von rund 60 Kirchengemeinden jedes Jahr an Weihnachten mit einer immer größer werdenden Spendenmenge in Richtung Osten gefahren.

Unterstützung von Kinderheimen und Krankenhäusern

„Ab 1994 ging es dann nur noch in die Ukraine“, berichtet Gottwald. Dort habe man zum Beispiel Kinderheime und Krankenhäuser unter anderem mit Medikamenten versorgt. Dabei sei der Arbeitskreis auch von einer örtlichen Hilfsorganisation und den Gemeinden gebeten worden, ob man nicht die Suppenküchen in den Ortschaften übernehmen könne. „Viele ältere und hilfsbedürftige Menschen sind da bettelarm und einsam“, sagt Gottwald. Inzwischen gebe es in der ganzen Ukraine sieben Suppenküchen, die von einheimischen Ehrenamtlichen geführt werden und rund 260 Menschen versorgen.

„Wir kaufen die Lebensmittel ein und kümmern uns um die Verteilung und Organisation“, sagt der Söchtenauer, der bisher 50 bis 60 mal in der Ukraine war. Auch einige Wochen vor Kriegsbeginn. Bis auf die Geflüchteten aus den damals schon besetzten Gebieten in der Ostukraine habe zu dieser Zeit nichts auf einen Krieg hingedeutet. „Das hat dann alle überrascht. Ich dachte auch, dass der Krieg nach einer Woche vorbei ist, da Russland eigentlich übermächtig ist.“

Geöffnete Suppenküchen trotz der Angriffe

Inzwischen dauert der Krieg 365 Tage. Und trotzdem haben Gottwald und sein Team die Suppenküchen größtenteils aufrecht erhalten können. „Nur zu Beginn mussten wir schließen, da viele Angst hatten, hinaus zu gehen“, sagt Gottwald. Ansonsten seien die meisten Küchen rund um die Uhr für die Menschen geöffnet gewesen - auch in Kiew und Odessa. Nur die Suppenküche in der lange umkämpften Stadt Mariupol gebe es nicht mehr. „Da ist nichts mehr übrig. Die Stadt ist kurz und klein geschlagen.“

Im Herbst des vergangenen Jahres hat sich Gottwald selbst ein Bild von der Lage vor Ort gemacht. „In der Westukraine, wo die meisten Suppenküchen sind, merkt man nicht viel vom Krieg.“ Allerdings sei viel Militär auf den Straßen unterwegs und einige Anlagen wie Flugplätze seien durch Raketenangriffe zerstört worden. „Und auf den Friedhöfen gibt es immer mehr Gräber von jungen Soldaten, die an der Front gefallen sind“, berichtet der Arbeitskreisleiter.

Die Menschen müssten zudem in täglicher Angst vor neuen Angriffen leben, obwohl die Ukrainer tapfer und siegessicher seien. „Das Leben in den Bunkern und ohne Strom ist zermürbend“, sagt Gottwald. Aufgeben werde dort trotzdem niemand, ist er sich sicher. „Putin hat den Ukrainern eine Identität gegeben. Die Ukrainer nehmen den Krieg in Kauf, solange sie frei sein können - egal wie lange es dauert.“

Todesfälle im Bekanntenkreis

Und das, obwohl es immer wieder Schicksalsschläge gibt. „Wir haben auch Menschen verloren“, erzählt Gottwald. So sei ein ukrainischer Mitarbeiter des Arbeitskreises, der mit einem Kleinbus Lebensmittel abholen wollte, in seinem Fahrzeug beschossen und tödlich verletzt worden. „Er war gerade 40 Jahre alt und sechsfacher Familienvater. Das ist brutal“, sagt Gottwald. Auch zwei Frauen, die sich gerade um die Verteilung der Speisen kümmerten, seien in ihrem Auto von einer Granate erwischt worden und gestorben.

Der Kleinbus des Mitarbeiters ist bei einer Auslieferung beschossen worden.

„Deswegen hoffe ich, dass es bald Friedensverhandlungen gibt und dieses Sterben endlich aufhört.“ Dann könnten auch viele Ukrainer wieder in ihr Land zurückkehren. In der Stadt Rosenheim lebten derzeit 864 Kriegsflüchtlinge, wie ein Sprecher der Stadt Rosenheim mitteilt. „Davon wollen aber viele wieder zurück“, ist sich Gottwald sicher.

Keine Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende

Allerdings glaube er nicht, dass Putin einfach so aufgibt und der Krieg deshalb noch länger dauern könnte. Und auch, ob der russische Präsident noch einen Schritt weiter gehe und gefährlichere Waffen einsetzt, sei schwer abzusehen. „Ich glaube es nicht, aber ich habe mich auch schon vor einem Jahr getäuscht.“

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