Das sagen Experten
Rentner rast in Neubeuern in Hochzeitsfeier: Wie dringend braucht es Fahr-Tests für Senioren?
Mit Vollgas in den Biergarten: Das ist einem 86-Jährigen in Neubeuern passiert. Ausgerechnet in diesem Moment feierte ein Paar seine Hochzeit. Ein Gast wurde bei dem Crash schwerst verletzt. Nun stellt sich die Frage: Sollten sich Senioren einem Fitness-Test unterziehen? Die Meinungen sind gespalten.
Neubeuern – Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art. Am Mittwoch (25. September) feierte ein junges Paar in der Auer-Schlosswirtschaft in Neubeuern seine Hochzeit. Doch die Feier erfuhr ein jähes Ende, als plötzlich ein Mercedes GLC vom Parkplatz des Gasthofs in eine Sitzgruppe raste. Ein 24-Jähriger wurde dabei unter dem Wagen eingeklemmt und schwerst verletzt. Er ist inzwischen außer Lebensgefahr. Hinter dem Steuer des SUVs saß ein 86-Jähriger. Wieso der Mann in die Hochzeitsgesellschaft raste, ist noch nicht geklärt. Alkoholeinfluss konnte laut einem Sprecher der Polizeiinspektion Brannenburg allerdings ausgeschlossen werden.
86-Jähriger rast mit SUV in Neubeuern in Hochzeitsgesellschaft
Die Polizei vermutet, dass der Senior Gas und Bremse verwechselt hat. Erst im Mai passierte das einer 87-Jährigen in Riedering, die infolgedessen mehrmals gegen andere Fahrzeuge krachte. In Folge solcher Unfälle wird immer wieder diskutiert, ob es verpflichtende Fahrtauglichkeits-Tests für ältere Menschen geben sollte. Im EU-Parlament wurde erst im Februar eine Pflicht für medizinische Checks ab 70 diskutiert. Letztlich dürfen nun aber die Mitgliedsländer selbst entscheiden, ob Senioren sich ab einem gewissen Alter einer Kontrolle unterziehen müssen.
In Deutschland sieht man verpflichtende Tests ab Erreichen eines bestimmten Alters eher kritisch. „Die Eignung, ein Fahrzeug zu führen, ist abhängig von vielen individuellen Faktoren. Allein das Alter ist kein verlässlicher Indikator für eine verpflichtende Maßnahme“, sagt Vincenzo Lucà, Pressesprecher beim TÜV Süd. „Allerdings zeigen Unfallzahlen, dass das Risiko zu verunfallen für Personen ab 75 Jahren deutlich zunimmt.“
TÜV und ADAC raten zu Fahr-Fitness-Checks
Als Option nennt er Fahr-Fitness-Checks. Diese könnten beim Zweifel an der eigenen Fahreignung eine gute Methode zur Beurteilung sein. „Dies ist ein sinnvolles Instrument zum Erhalt einer möglichst langen Mobilität, da hier auch Empfehlungen gegeben werden, um das Fahrvermögen zu verbessern“, so Lucà. Aber: Großer Beliebtheit erfreuen sich die Fitness-Checks beim TÜV derzeit nicht. „Wir verzeichnen hier leider nur eine reduzierte Nachfrage“, sagt Lucà – und das trotz der immer älter werdenden Gesellschaft.
Auch der ADAC bietet Fahrfitness-Checks an. „Wir sind nicht für verpflichtende Fahrtests, sondern setzen auf Freiwilligkeit“, erklärt eine Sprecherin des Automobilclubs auf OVB-Anfrage. Ein konkretes Alter möchte auch sie nicht nennen. „Man sollte als Autofahrer immer in sich hineinhorchen, ob man noch in der Lage ist, ein Fahrzeug zu führen“, sagt die Sprecherin. Der ADAC setze ganz auf die gute Selbsteinschätzung der Senioren – und dass der Führerschein freiwillig abgegeben wird, sobald es nicht mehr geht. „Natürlich können auch Familie und Verwandte das Gespräch suchen, aber das ist nicht immer leicht“, sagt sie. Einen Vorteil, den die freiwilligen Fitness-Tests allerdings bieten: Sie können mit dem eigenen Auto durchgeführt werden und das Ergebnis ist lediglich eine Empfehlung. Es bestehe nicht die Gefahr, den Führerschein dadurch zu verlieren.
Senioren am Steuer: Mediziner hält Tests für sinnvoll
Aus medizinischer Sicht sieht das ganze jedoch etwas anders aus. „Verpflichtende Fitness-Checks für Senioren könnten durchaus sinnvoll sein, um die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen“, sagt Dr. Michael Iberer, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbands Rosenheim. „Senioren sind zwar in der Regel erfahrene und vorsichtige Fahrer, aber altersbedingte Veränderungen können das Risiko für Unfälle erhöhen.“
Ein festes Alter für einen Test festzulegen, hält Iberer allerdings auch für schwierig, da der Alterungsprozess bei jedem Menschen unterschiedlich verläuft. Allerdings zeigen Studien, dass die Fahrtauglichkeit besonders ab dem 70. Lebensjahr häufiger eingeschränkt sein kann. Daher würde der Mediziner ein gestaffeltes System für sinnvoll erachten. So könnte man ab dem 70. Lebensjahr regelmäßige Gesundheits- und Sehchecks einführen, die etwa alle fünf Jahre wiederholt werden. Ab dem 75. bis 80. Lebensjahr könnte man dann etwa alle zwei Jahre auch kognitive Fähigkeiten und Reaktionszeiten testen.
Dr. Iberer erklärt: Diese Fähigkeiten nehmen mit dem Alter ab
- Reaktionsfähigkeit: Diese beginnt meist ab dem 50. Lebensjahr leicht abzunehmen und wird im Alter von 70 Jahren oft deutlich spürbar. Komplexe Entscheidungssituationen im Straßenverkehr, wie zum Beispiel unerwartete Hindernisse oder plötzliches Bremsen, können langsamer verarbeitet werden.
- Sehvermögen: Sehschwächen, insbesondere Nachtsichtprobleme und eine schlechtere Tiefenwahrnehmung, treten oft ab dem 60. Lebensjahr auf. Auch die Fähigkeit, Bewegungen zu erkennen und die Helligkeit zu regulieren, nimmt ab.
- Kognitive Fähigkeiten: Die Verarbeitungsgeschwindigkeit, das Multitasking und das Kurzzeitgedächtnis können ab etwa dem 70. Lebensjahr merklich nachlassen. Dies erschwert das gleichzeitige Beobachten von Verkehrsschildern, Fußgängern und anderen Fahrzeugen.
- Motorik und Beweglichkeit: Eingeschränkte Beweglichkeit durch Arthritis oder Muskelabbau kann die Fähigkeit beeinträchtigen, das Lenkrad sicher zu führen oder auf die Pedale zu reagieren. Diese Einschränkungen treten meist ab dem 65.–70. Lebensjahr vermehrt auf.
- Aufmerksamkeit und Konzentration: Die Fähigkeit, längere Zeit konzentriert zu fahren und auf Details im Verkehr zu achten, kann ab dem 70. Lebensjahr nachlassen.
Fahrsicherheit: Tests für Senioren in anderen europäischen Ländern
In anderen europäischen Ländern sind Fitness-Tests bereits Pflicht, wie Iberer erklärt. So müssen Autofahrer in der Schweiz ab dem 75. Lebensjahr alle zwei Jahre eine medizinische Untersuchung durchlaufen. „Diese Untersuchung umfasst eine Überprüfung der allgemeinen Gesundheit sowie des Seh- und Hörvermögens, um die Fahrtüchtigkeit sicherzustellen“, erklärt der Arzt. In Italien müssen Autofahrer sogar schon ab dem 50. Lebensjahr in regelmäßigen Abständen zum Arzt. Je älter sie werden, desto häufiger. Auch in den Niederlanden, Spanien und Großbritannien werden ältere Fahrer immer wieder unter die Lupe genommen.
