Hochwasserschutz im Blick
„Mehr Regen im Moor halten“: Raublings Bürgermeister will das Wasser dort, wo es nicht schadet
Renaturierte Fuizn speichern das Wasser. Aus trockengelegten Mooren schießt es bei Starkregen ungebremst heraus. Zusammen bilden sie vor den Toren Raublings ein hydrologisches System, das nur im Einklang funktionieren kann. Aber das ist leichter gesagt als getan.
Raubling – Die Spurensuche geht weiter: Welche Rolle spielen die Raublinger Moore im Hochwasserschutzsystem? Jetzt trafen sich Moormanagerin Veronika Kloska vom Landratsamt Rosenheim sowie Bürgermeister Olaf Kalsperger, Verwaltungschef Korbinian Kopp und Florian Bauer vom Bauamt der Gemeinde Raubling zu einer Moorbegehung. Im Gepäck: die Erlebnisse vom 3. Juni, viele Fragen und konkrete Vorschläge.
Die Hochwassergefährdungsanalyse für die Gemeinde soll im Spätherbst fertig sein. Die Moore werden darin aber nicht betrachtet. Also nimmt die Verwaltung das jetzt selbst in die Hand und stellt die Weichen für eine Kooperation mit moorerfahrenen Experten der Bayerischen Staatsforsten und des Landratsamtes.
Wie viel Niederschlag verträgt ein Moor?
Die entscheidende Frage ist: Wie viel Niederschlag verträgt ein renaturiertes Moor unter den veränderten klimatischen Bedingungen? Und was ist mit den anderen Mooren, die trockengelegt, abgebaut und danach Mutter Natur überlassen wurden? Auch wenn die alten Raublinger sich noch daran erinnern, dass die Frästorfflächen den Regen früher gut zurückgehalten hätten: „Es geht nicht darum, die Renaturierung infrage zu stellen“, macht Kalsperger klar. „Es geht darum, das Retentionspotenzial der Moore effektiv zu nutzen.“
Die Unwetterkatastrophe vom 3. Juni ist allen noch präsent: Tagelange Regenfälle hatten die Oberflächen natürlich versiegelt. Die Speicherkapazität der Wiesen und Felder war erschöpft, die gesamte Landschaft gesättigt. Und dann der Starkregen, der sich als flächenhafter Oberflächenabfluss und Wildbachhochwasser aus den Bergen zum Inn ergoss: über die Rosenheimer Stammbeckenmoore, über Nicklheim, Raubling, Kirchdorf und andere Orte.
„Das Wasser schoss aus der Aiblinger und der Rohret Filzen im Süden des Moorgebietes über die Wiesen in den Litzldorfer Bach“, berichtet der Bürgermeister. Auf seinem Weg aus den Bergen ins Tal bringt der Litzldorfer Bach schon viel Wasser mit, speist westlich der Autobahn den Ammerbach, vereinigt sich in Obermühl mit dem Schusterbach und in Kirchdorf wieder mit dem Ammerbach.
Bäche bringen enorm viel Wasser in die Orte
„Unser größtes Problem ist der Ammerbach“, sagt Olaf Kalsperger. Der wird nicht nur vom Litzldorfer Bach gespeist, sondern führt auch das Wasser, das über den Rohretgraben aus den Rohretfilzen kommt. Bahngraben und Oberer Tännelbach bringen das Wasser aus den Aiblinger, Rohret- und Kollerfilzen und vereinigen sich im Ortsteil „Am Ammer“ mit dem Ammerbach. Die enorme Wasserfracht dieser drei Bäche hat am 3. Juni das Raublinger Gewerbegebiet und Kirchdorf überschwemmt.
Das Moorgebiet vor den Toren von Raubling fällt von West nach Ost ab – von etwa 480 auf 460 Meter über dem Meeresspiegel. Salingraben und Unterer Tännelbach entstehen in der Hochrunstfilze und führen das Wasser gen Osten nach Grünthal und Pfraundorf. Auch hier kam es zu Überschwemmungen.
Wie kann Hochwasserschutz aussehen?
„Wir sehen zwei wichtige Abschnitte für den Hochwasserschutz unserer Bürger“, blickt Kalsperger voraus. „Zuerst muss in Kirchdorf der Durchlass an der Neubeurer Straße vergrößert werden.“ Danach könnten westlich der Autobahn Retentionsflächen für Litzldorfer Bach, Ammerbach, Oberen und Unteren Tännelbach geschaffen werden, um das Wasser dort zurückzustauen und die Ortschaften zu schützen.
Doch auch in den Mooren gibt es Potenzial. Da ist sich der Bürgermeister sicher. Aiblinger Filze – auch Steinbeisfilze genannt – und Rohretfilze sind noch nicht wiedervernässt. „Ein Moor renaturiert sich nicht von selbst. Die einstigen Entwässerungsgräben sind noch vorhanden und funktionstüchtig. Sie ziehen das Wasser also immernoch aus dem Moor raus“, erklärt Moormanagerin Veronika Kloska. Zwar ist es Staatsauftrag, so viele Moore wie möglich zu renaturieren. Doch wie so oft scheitern Projekte an Besitzverhältnissen. Abgebrannte Filze, Aiblinger und Rohretfilze befinden sich im Privatbesitz. „Wir sprechen die Grundstückseigentümer an, doch hier haben wir es mit Hunderten zu tun.“ Eine Aufgabe für Generationen also und keine kurzfristige Lösung für den Hochwasserschutz.
Dämme halten das Wasser im Moor
Die sieht der Raublinger Bürgermeister in den bereits renaturierten Flächen der Hochrunst- und Kollerfilzen. Auch wenn es für den Wanderer nicht erkennbar ist. Aufgrund der Topografie der Moore wurden in diesen Bereichen nicht nur Staubauwerke in den Entwässerungsgräben gebaut. Das Moor ist auch von Dämmen durchzogen, um das Wasser in der Fläche zu halten. Einer sorgt beispielsweise dafür, dass der einstige Löschweiher nicht ausufern kann. „Durch die Höhe der Dämme hat er momentan beispielsweise einen Puffer von etwa einem Meter und immer einen kontrollierten Abfluss“, erklärt Veronika Kloska.
Die Erfolge der Renaturierung sind nicht zu übersehen. Torfmoose haben sich angesiedelt und saugen das Oberflächenwasser wie Schwämme auf. Kleinere Torfstichbecken haben sich mit Regenwasser gefüllt und sind fast zugewachsen. Bei den großen Frästorfgruben dagegen wird das Jahrzehnte dauern.
Auch die Pegelmessungen sprechen eine deutliche Sprache. Nach der Renaturierung wurden zwischen 2012 und 2017 etwa 20 Pegel installiert. Einmal im Jahr werden sie abgelesen. „Der Moorwasserspiegel ist stabil. Bei langer Trockenheit wie beispielsweise 2018 sinkt er, erholt sich dann aber wieder. Bei Starkregenereignissen wie im August 2020 ist er um etwa 20 Zentimeter angestiegen, hat sich dann aber wieder normalisiert. Trotzdem war auch zu diesem Zeitpunkt noch genügend Puffer von etwa 20 bis 40 Zentimetern vorhanden“, wertet Kloska die Ergebnisse aus.
Die renaturierten Moore sind also nicht „schuld“ an der Überflutung der Ortschaften in der Gemeinde Raubling. Im Gegenteil: „Sie drosseln durch den Rückhalt in der Fläche den Hochwasserabfluss – und das sowohl bei kurzen, kräftigen Starkregenereignissen als auch bei Dauerniederschlägen“, betont Kloska.
Neue Lösungen für neue klimatische Situationen
Trotzdem kam das Wasser aus den Mooren in die Ortschaften: „Bei der besonderen hydrologischen Situation am 3. Juni waren sie vermutlich ein Tropfen im überlaufenden Fass“, veranschaulicht der Bürgermeister. Und genau für solche besonderen Situationen sucht er nach Lösungen: „Könnte man nicht noch mehr Wasser im Moor zurückhalten? Hier schadet es doch nicht?“, fragt Kalsperger. „Ganz im Gegenteil: Für das Moor wäre es gut“, ist die Moormanagerin interessiert und nimmt seinen Vorschlag auf: Im Moor gibt es fünf Dammbauwerke. An ihren Durchlässen könnten im Inneren des Moores Staumöglichkeiten geschaffen werden, die im Normalfall offen sind und im Katastrophenfall auf einen Minimaldurchlass umschalten und das Wasser anstauen, damit es in der Moorfläche ausufern kann und nicht in die Ortschaften fließt.
Alle Partner an einem Tisch
Um das Moor noch stärker als Regenrückhalt zu nutzen, arbeiten Gemeindeverwaltung, die Moor-Teams von Landratsamt und Bayerischer Staatsforsten sowie Wasserwirtschaftsamt Rosenheim eng zusammen. Schon am Dienstag (10. September) findet die nächste Beratung statt. „Wir denken und planen in alle Richtungen“, sagt Bürgermeister Olaf Kalsperger, doch „unser Problem ist der Faktor Zeit“.





