Mit Monitoring und Alarm-Pegelstand
Neue Gefahr oder mehr Schutz? Wiedervernässung der Nicklheimer Filzen geht weiter
Die Nicklheimer können aufatmen. Der Hochwasserschutz für die Ortschaft, die von Hochmooren umgeben ist, wird sich verbessern. Im kommenden Jahr sollen weitere 135 Hektar der Hochrunst- und Kollerfilzen wiedervernässt werden. Warum das kein Widerspruch ist.
Raubling – Aus der Luft kann man die künstlichen Gewässersysteme im Hochmoor noch immer gut erkennen. „Die Entwässerungsgräben ziehen sich durch den Moorbereich und führen das Wasser gezielt aus dem Moor“, erklärt Sharon Rakowski. Die Hydrogeologin gehört zum Moor-Team der Bayerischen Staatsforsten, das auch in der Region zwischen Raubling, Bad Feilnbach und Bad Aibling die Moore auf staatlichen Flächen betreut. Das sind neben der Roten Filze, der Eulenauer Filze, Teilen der Willinger und Sterntaler Filze auch die östlichen Bereiche der Hochrunst- und Kollerfilze in direkter Nachbarschaft von Nicklheim.
Wie trockengelegte Moore reagieren
Nun könnte man die Regeneration der durch den Torfabbau zerstörten Hochmoore auch Mutter Natur überlassen. Das Problem dabei: Die Entwässerungsgräben von einst sind noch vorhanden und wirksam. Das bedeutet: „In einem nicht renaturierten Moor schießt bei Starkregen das Wasser über diese Gräben ungebremst aus der Fläche heraus“, beschreibt die Hydrogeologin. Sind die Gräben verschlossen, passiert das nicht. „Dann wird das Wasser auf der Fläche gehalten, der Abfluss verlangsamt und die Hochwasserspitze abgemildert“, erklärt Sharon Rakowski.
Weitere 135 Hektar werden wiedervernässt
Deshalb werden in den Hochrunst- und Kollerfilzen im Bereich von Nicklheim etwa 135 Hektar wiedervernässt. Voraussichtlich im kommenden Jahr sollen dort rund 340 Torfdämme eingebaut und Bäume gefällt werden, die auf den vormals entwässerten Flächen angepflanzt wurden. Bei der Renaturierung geht es aber nicht nur um den Hochwasserschutz. Auch Klimabilanz und Biodiversität spielen eine wichtige Rolle.
Vor Renaturierung steht Moor-Anamnese
Die Planung ist bereits abgeschlossen. Das Moor-Team aus Hydrogeologen, Vegetationsökologen, Forstwissenschaftlern und Landschaftsplanern erklärt, wie das geht: „Weil jedes Moor anders ist, muss jede Vernässung vor Ort individuell geplant werden: Dafür betrachten wir die Baum-, Kraut- und Moosschichten, denn die Vegetation verrät uns den Zustand des Moores“, erläutert Rakowski. Beispielsweise sei zu starker Baumbewuchs untypisch für ein Moor und zeige, dass es ausgetrocknet ist. Bohrungen im Boden geben Aufschluss über die Art und Tiefe des Moores sowie über die Beschaffenheit des Torfes – also wie speicherfähig er ist. Höhenunterschiede im Gelände werden vermessen, die Wasserflüsse betrachtet, die Entwässerungsgräben ausgemessen, um Anzahl, Größe und Abstand der Dammbauwerke zu berechnen. In einem Geoinformationssystem fließen alle Daten für das Projekt zusammen.
Nach der wasser- und naturschutzrechtlichen Genehmigung kann das Vorhaben verwirklicht werden. In der Eulenauer Filze wurden schon im vergangenen Jahr 26 Hektar Moor bearbeitet und etwa 50 Torfdämme eingebaut. Für Laien sind diese in der Natur nicht erkennbar, denn sie entstehen aus Naturmaterialien: Mit schweren, unbehandelten Holzbrettern wird eine Spundwand errichtet, die den Graben verschließt. Danach wird das Dammbauwerk mit Torf überdeckt, mit einer Vegetationsdecke überwallt und fügt sich so fast unsichtbar in die natürliche Umgebung ein.
Auf diese Weise werden die Entwässerungsgräben angestaut. Natürliche und ökologisch wertvolle Gewässer oder Bäche bleiben unangetastet. Ein gedrosselter Regenwasserabfluss aus dem Moor wird daher immer bleiben, was auch in naturnahen Mooren vorkommt. „Das Moor ist ein riesiger Retentionsraum. Ziel ist es, das Regenwasser sukzessive von außen nach innen anzustauen, um es in der Fläche zu halten und so den Moorwasserspiegel zu erhöhen“, erläutert Sharon Rakowski. Durch das Anstauen kann sich das Regenwasser oberirdisch über das Torfmoos und unterirdisch über den Torf in die Fläche ausbreiten. So soll der Wasserspiegel allmählich wieder erhöht werden, das Moor vernässen und sich wieder die typische Vegetation entwickeln.
Seen sind eine Folge des Frästorfabbaus
Infolge des Frästorfabbaus in den Hochrunst- und Kollerfilzen sind in den einstigen Gruben ausgedehnte Wasserflächen entstanden. „Sie werden über Jahrzehnte mit Sauergrasgewächsen und Torfmoosen zuwachsen, damit sich wieder ein Moor bilden kann“, erklärt die Hydrogeologin.
Bis 2030 wollen die Staatsforsten etwa 2700 Hektar Moor in ganz Bayern renaturieren. „Wir verzichten auf Produktionsflächen, um den wertvollen Lebensraum Moor mit seiner typischen Biodiversität, mit seiner Bedeutung für das Klima und als Wasserretentionspotenzial wiederherzustellen“, macht Lasse Weicht klar. Er ist Forstbetriebsleiter der Staatsforsten in Schliersee, betreut die meisten staatlichen Moore im Landkreis Rosenheim. Ab Bernau übernimmt der Forstbetrieb Ruhpolding diese Aufgabe.
Für die Renaturierung der Moore müssen zahlreiche Bäume aus den Flächen geholt werden. Nicht nur, weil ein zu starker Baumbewuchs nicht ins ursprünglich baumfreie Hochmoor gehört und als „Wasserräuber“ gilt. Auch um die Gesamtverdunstung der natürlich bewachsenen Bodenoberfläche zu reduzieren und die durch die Wiedervernässung absterbende Biomasse im Moor möglichst gering zu halten.
„Nach der Wiedervernässung dauert es etwa drei bis fünf Jahre, ehe die Umstellung der Vegetation beginnt“, sagt Rakowski. Doch wie viele Jahrzehnte vergehen, ehe aus einem trockengelegten Moor wieder ein regenwassergespeistes, intaktes Hochmoor entstanden ist, kann niemand abschätzen – vor allem aufgrund der klimatischen Veränderungen. Zwar speichern intakte Moore die Feuchtigkeit. So steigt der Moorwasserspiegel mit Niederschlägen allmählich an und sinkt bei langen Trockenphasen wieder. Doch die zunehmenden Unwetter mit extremen und lokal begrenzten Sturzfluten könnten auch dazu führen, dass ein Moor gesättigt ist und Wasser abgibt.
Monitoring mit Wasserstandspegeln
Damit Theorie und Praxis nicht auseinanderklaffen, installierten die Staatsforsten in ihren Mooren Wasserstandsmesspegel. „Sie wurden in verschiedenen Bereichen des Geländes platziert, um die Entwicklung des Moorwasserspiegels in der Nähe der Dammbauwerke, an tiefen und feuchteren Stellen sowie an hohen und besonders trockenen Stellen zu beobachten“, erläutert die Hydrogeologin.
Die Pegelrohre dringen von der Moorauflage tief bis in die stauende tonige oder lehmige Schicht vor. Sie sind geschlitzt, damit das Wasser eindringen kann, gleichzeitig aber mit einem Stoffschlauch geschützt, damit der Torf draußen bleibt und die Messung nicht verfälscht. „Damit erhalten wir den Ausgangszustand vor der Renaturierung, sehen, wie gut das Wasser in die Fläche kommt und können jahreszeitliche Schwankungen beobachten.“
Wasserstandsmesssonden übermitteln die Daten digital. „So schaffen wir eine Transparenz der Daten, können täglich ablesen, wie sich der Moorwasserspiegel entwickelt und daraus Schlüsse über Renaturierung unter neuen klimatischen Bedingungen ziehen.“
Transparenz ist wichtig für das Gelingen eines Naturschutzprojektes. Deshalb fließen auch die existenziellen Sorgen der Anrainer ins Projekt mit ein: Auch in den Grenzbereichen der Moore werden Pegel installiert. „Wir werden auch Pegel mit Alarmen programmieren, die einen Wasserstand melden, der für die Anrainer gefährlich werden könnte“, kündigt Rakowski ein genaues Monitoring an. Sollten Extremniederschläge dazu führen, dass das Moor gesättigt ist und die Siedlungen gefährdet sind, wird gehandelt: „Im extremsten Fall müsste man Staubauwerke öffnen, um den Moorwasserspiegel zu senken und die Renaturierungsplanung überarbeiten“, erklärt Rakowski. „Doch das gab es noch nie.“







