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Zentren und Grenzen der Regenfälle

Unwetter-Analyse! – Vier Kilometer lagen zwischen Katastrophe und Normalität

Im Zentrum der Katastrophe: Die Starkregenzelle ergoss sich (von unten rechts nach links und oben) unter anderem über die Gemeinden Frasdorf, Rohrdorf, Samerberg, Raubling, Bad Feilnbach, Brannenburg und Flintsbach.
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Im Auge der Katastrophe: Die Starkregenzelle ergoss sich (von unten rechts nach links und oben) unter anderem über den Gemeinden Frasdorf, Rohrdorf, Samerberg, Raubling, Bad Feilnbach, Brannenburg und Flintsbach. Wildabließende Oberflächenwasser und Flusshochwasser sorgten in diesen Bereichen für Überschwemmungen größer als ein 100-jährliches Hochwasser.

Warum hat das Hochwasser die einen mit voller Wucht getroffen und die anderen verschont? Warum blieben Inn und Mangfall trotz der großen Regenmengen so „zahm“? Wir haben nach schlüssigen Antworten gesucht. Und sind fündig geworden.

Landkreis Rosenheim – Bernau, Aschau, Frasdorf, Achenmühle, Rohrdorf, Samerberg, Raubling, Riedering, Nußdorf, Brannenburg, Flintsbach, Bad Feilnbach – die Gemeinden, die am Montag (3. Juni) von wild abfließenden Oberflächenwassern und Flusshochwasser überschwemmt wurden, beschreiben die Grenzen des Gebietes, über dem sich eine gewaltige Niederschlagszelle ergoss.

Enorme Niederschlagsmengen

Innerhalb von vier Tagen – vom 31. Mai bis zum 3. Juni – wurden in diesem Bereich durchschnittliche Niederschlagsmengen von etwa 200 Millimetern pro Quadratmeter verzeichnet. „Im Zentrum dieser Extremniederschlagszelle entsprachen die Wassermengen denen eines hundertjährlichen Hochwassers, mancherorts sogar extremeren Hochwassersituationen, die seltener als alle 100 Jahre eintreten“, so eine erste Einschätzung von Dr. Tobias Hafner, Leiter des Wasserwirtschaftsamtes Rosenheim.

Auswertung einer Katastrophe: (von rechts) Dr. Tobias Hafner, Dr. Hadumar Roch und Jan Schäble vom Wasserwirtschaftsamt Rosenheim erklären, warum im Zentrum der Starkregenzelle aus einem beschaulichen Bächlein wie dem Steinbach (rechts) innerhalb kürzester Zeit ein reißender, zerstörerischer Strom wurde.

Wasserwirtschaftsamt im Katastrophengebiet im Einsatz

Sein Team ist seit Tagen in Alarmbereitschaft. Als aufmerksame Beobachter der Wetterlage, fachliche Berater des Katastrophenschutzstabes, Helfer in den Krisengebieten oder in den Tagen nach der Flut als Organisatoren der wichtigsten Schutzmaßnahmen. Einen groben Überblick über die Schäden in Ortschaften und Siedlungen, an Straßen oder Wildbachläufen hat sich das Wasserwirtschaftsamt bereits gemacht. „Doch wie es im Gebirge aussieht, können wir derzeit nicht bewerten, denn viele Bereiche sind noch nicht zugänglich“, informiert Hafner.

5000 Schutzbauwerke haben Schlimmeres verhindert

„Im Bereich dieser Extremniederschlagszelle haben wir ungefähr 5000 Wildbachschutzbauwerke – von kleinen Konsolidierungsbauwerken über Kies- und Geschiebefänge bis hin zu Wildholzrechen“, umreißt Hafner die Dimension. „All diese Schutzanlagen haben funktioniert, in weiten Bereichen die Menschen geschützt und Schlimmeres verhindert“, sagt Dr. Hadumar Roch, im Wasserwirtschaftsamt als Abteilungsleiter für den betroffenen Bereich verantwortlich.

Die Geschieberückhaltesperre am Feilnbach wurde erst neu saniert und verstärkt. Der leere Rückhalteraum war bis oben aufgefüllt. Das Schutzbauwerk hat sich bewährt und Schlimmeres verhindert.

„Alle Kies- und Geschiebefänge sowie alle Wildholzrechen sind voll und müssen jetzt schnellstens entleert werden, um das Schutzsystem wieder einsatzfähig zu machen“, beschreibt Hafner die Herausforderung. Denn dass ein so großes Gebiet gleichzeitig betroffen ist, das gab es noch nie. „Ich vermute, dass wir viele Tausend Kubikmeter Geschiebematerial räumen müssen“, schätzt Hadumar Roch ein.

In der vom Unwetter betroffenen Region gibt es etwa 5000 Schutzbauwerke. Alle haben an nur einem Tag ein 100-jährliches Ereignis abbekommen. Auch der Wildholzrechen vor Prien. Er war gerade fertig geworden.

Tausende Kubikmeter Geschiebematerial müssen weg

Priorität haben Schlüsselbauwerke im Schutzsystem und Brennpunkte der aktuellen Katastrophe wie der Steinbach in Nußdorf. An diesem Wildbach wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Hochwasserschutzmaßnahmen umgesetzt: Am Oberlauf ein Wildholzrechen gebaut, das Gewässer ökologisch umgestaltet, in der Ortschaft mit der Rückverlegung der Deiche der Gewässerquerschnitt erhöht, damit größere Wassermengen im Flussbett Platz haben. „Ohne diesen Hochwasserschutz hätte der halbe Ort unter Wasser gestanden“, ist sich Hadumar Roch sicher, der noch die früheren Überflutungsgebiete in Erinnerung hat.

Der Wildholzrechen am Oberlauf des Steinbaches bei Nußdorf bei normaler Witterung (oben) und nach dem Unwetter vom 3. Juni.

100-prozentigen Schutz gibt es nicht

Die Schutzmaßnahmen am Steinbach sind auf ein hundertjährliches Hochwasser mit dem zusätzlichen Puffer eines 15-prozentigen Klimazuschlags ausgelegt. Trotzdem bieten sie keinen 100-prozentigen Schutz, sind auch im Juni 2024 die Schäden in Nußdorf enorm, wurden Grundstücke überflutet und die Verbindungsstraße zwischen Nußdorf und Samerberg weggespült.

Die Sanierungsarbeiten haben bereits begonnen. „Der Wildholzrechen wird geleert, erodierte Böschungen und Hänge am Bachlauf werden gesichert oder wieder aufgebaut – in Zusammenarbeit mit der Gemeinde“, informiert Roch über die Sofortmaßnahmen.

Die Zerstörungen einer Nacht: Die Sanierungsarbeiten am Steinbach in Nußdorf haben begonnen. Erodierte Böschungen am Bachlauf und die Ortsverbindungsstraße von Nußdorf nach Samerberg müssen wieder aufgebaut werden.

Klimawandel führt zu neuen Wetterlagen

Trotzdem bleibt die Frage, warum der Schutz nicht ausgereicht hat. Die Antwort könnte ein Blick auf die Ausgangssituation am Montag (3. Juni) geben: Aufgrund kleiner Hochwasserereignisse in den Tagen zuvor waren die Böden gesättigt. Das Wasser stand auf Wiesen und Feldern. Dann kam der eigentliche Starkregen.

„Das Einzugsgebiet des Steinbachs lag mitten in der Extremniederschlagszelle. Hier verursachte der Regen eine Kombination aus Flusshochwasser und wild abfließendem Oberflächenwasser, deren Ausmaß statistisch gesehen vermutlich seltener als alle 100 Jahre eintritt“, erklärt Tobias Hafner. Der Regen konnte nicht mehr versickern. Der enorme Niederschlag füllte und überflutete innerhalb kürzester Zeit die Bäche und floss außerdem aus den Bergen und Flächen in Sturzbächen über die Hänge ab.

Eine Luftaufnahme des Hundsgrabens oberhalb der Burg Falkenstein in Flintsbach zeigt das Geröll, das die Geschiebesperre am 3. Juni innerhalb kürzester Zeit füllte. Etwa 50 Meter oberhalb brach der Bach aus seinem Bett aus und stürzte mitten durch die Burg Falkenstein bergab. Das Foto rechts zeigt die Geschiebesperre im „Normalzustand“.

Besondere Situation in den Bergen

Hinzu kommt die besondere Gefahr in alpinen Einzugsgebieten: „Hier haben wir es nicht nur mit Wasser zu tun, sondern mit unglaublichen Mengen an Geröll (Geschiebe) und Wildholz, die murartig aus den Einzugsgebieten der Bäche in die Ortschaften drücken“, erklärt Hafner.

Auch deshalb wurde vor Jahren am Hundsgraben oberhalb der Burg Falkenstein in Flintsbach eine Geschiebesperre errichtet. Doch am 3. Juni lagerte sich das Geröll schon etwa 50 Meter weiter oben ab und verstopfte das Gewässerbett. Der Bach brach aus und stürzte mitten durch die Burg Falkenstein bergab. „Auch dort haben die Aufräumarbeiten bereits begonnen, wird die Geschiebesperre ausgebaggert“, informiert Hadumar Roch.

Gemeinden sind für Gewässer dritter Ordnung verantwortlich

Besonders dramatisch war die Lage in Raubling. Hier ist das Wasserwirtschaftsamt zwar nicht in der Pflicht, weil die Gemeinden für Gewässer dritter Ordnung die Verantwortung tragen. Trotzdem wissen die Experten aus Augenzeugenberichten von Einsatzkräften und Anwohnern, woher die Fluten kamen: Auch hier trafen Flächen- und Flusshochwasser aufeinander. „In so einer Extremsituation verwischen die Grenzen zwischen wild abfließendem Wasser und Flusshochwasser“, beschreibt Roch die Lage.

Menschen in Gemeinde Raubling am schwersten betroffen

Von Wiesen, Feldern und Straßen konnte der Regen nicht mehr abfließen. Parallel verlaufende Bäche wie der Litzeldorfer Bach, Oberer und Unterer Tännelbach sowie Kreidebach schwemmten die Wassermassen aus den westlichen Vorlandbereichen gen Osten über Raubling zum Inn, überfluteten Siedlungen und Gewerbegebiete. „Hier waren die meisten Menschen betroffen“, bedauert Hadumar Roch, der im Einsatzzentrum des Landkreises Rosenheim die Katastrophennacht miterlebte.

Warum Mangfall und Inn „zahm“ blieben

Nur wenige Kilometer entfernt – in Rosenheim – blieb die Lage entspannt. Und das, obwohl Inn und Mangfall durch die Stadt fließen. „Dass die großen Flüsse keine extremen Hochwasserlagen entwickelt haben, erklärt sich aus der Lage ihrer Zuflüsse innerhalb der Extremniederschlagszelle vom 3. Juni“, sagt Tobias Hafner.

Glonn und Jenbach münden in die Mangfall. Aus südlicher Richtung führte der Jenbach, der mitten in der Starkniederschlagszelle lag, ein hundertjährliches Hochwasser mit sich. Die Glonn im Norden lag nicht im Bereich dieser Zelle. „Sie führte ein leichtes Hochwasser, das statistisch alle 10 bis 20 Jahre eintritt, also relativ häufig ist und somit auch keine größeren Probleme bereitet hat“, erklärt Hafner: „Somit war also nicht das ganze Mangfall-Einzugsgebiet von der Zelle betroffen. Das Mangfall-Hochwasser war als HQ10 bis HQ20 relativ zahm.“

So nahe lagen Katastrophe und Normalität in der Gemeinde Nußdorf beieinander: Während beispielsweise der Steinbach in Nußdorf im Zentrum der Extremniederschlagszelle ein HQ 100 plus verzeichnete, führte der nur vier Kilometer südlich gelegene Euzenauer Bach bei Mühlhausen am Rande der Zelle nur ein leichtes Hochwasser im Bereich von HQ 5 bis 10.

Unterschiedliche Wetterphänomene auf wenigen Kilometern

Ähnlich die Situation am Inn, der aus einem sehr großen Einzugsgebiet gespeist wird. „Die Starkniederschlagszelle betraf aber nur einen kleinen Teil des Flusslaufes“, erklärt der Leiter des Wasserwirtschaftsamtes. Deutlich wird das am Beispiel der Gemeinde Nußdorf: Während beispielsweise der Steinbach in Nußdorf im Zentrum der Extremniederschlagszelle ein HQ 100 plus verzeichnete, führte der nur vier Kilometer südlich gelegene Euzenauer Bach bei Mühlhausen am Rande der Zelle nur ein leichtes Hochwasser im Bereich von HQ 5 bis 10. Hafner: „Daran sieht man, wie aufgrund der örtlich begrenzten Starkniederschlagszelle Katastrophe und Normalität beieinander gelegen haben. Wäre die Zelle auch nur einige Kilometer weitergezogen, hätte es andere Gemeinden erwischt.“

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