Innenminister für mehr Unterstützung
„Radlrowdys“ und „Felgenkiller“: Wie sicher ist der Chiemgau für Radfahrer?
Unfälle mit Fahrradfahrern haben in Bayern zuletzt zugenommen. Jetzt soll die Sicherheit für Radler erhöht werden. Was genau geplant ist und wie derzeit die Lage in der Radl-Region Chiemgau aussieht.
Prien/Chiemgau – Ob am bayerischen Meer entlang oder auf Wegen umgeben von Wäldern und Berggipfeln. Der Chiemgau ist beliebt bei Fahrradfahrern. 2023 zeigte eine Gästebefragung im Chiemsee-Alpenland, dass im Sommer 18 Prozent der befragten Übernachtungsgäste in ihrem Urlaub Fahrrad fahren, heißt es seitens des Chiemsee-Alpenland-Tourismus.
Doch die Redaktion erreichen auch immer wieder Meldungen über Unfälle, bei denen Fahrradfahrer beteiligt sind. Ende Juni wollte zum Beispiel ein Lastwagenfahrer in Bad Endorf abbiegen und stieß dabei mit einem 84-jährigen Fahrradfahrer zusammen, der dabei schwerst verletzt wurde.
Radfahrer als Hauptrisikogruppe im Straßenverkehr
Am Dienstagvormittag (29. Oktober) hatte ein Autofahrer in Prien beim Rückwärtsfahren in der Poststraße zwei Mädchen übersehen, dich sich auf dem Gehsteig mit einem Fahrrad befanden. Er erfasste das siebenjährige Mädchen, welches stürzte und zwischen Gehsteig und umgefallenen Fahrrad eingeklemmt wurde. Das Mädchen erlitt bei dem Unfall leichte Fußverletzungen.
Und am 17. Oktober fuhr ein Rennradfahrer in Gstadt ein zehnjähriges Mädchen an, das die Straße überqueren wollte. Anschließend entfernte er sich von der Unfallstelle, ohne seine Personalien zu hinterlassen.
Radfahrer (hierzu gehören auch Pedelecs) gehören wie Motorradfahrer, Fußgänger oder Senioren zu den Hauptrisikogruppen im Straßenverkehr, teilt Polizeihauptkommissar Stefan Sonntag, Pressesprecher im Polizeipräsidium Oberbayern Süd mit. Als häufigste Unfallursachen nennt er die verbotswidrige Benutzung der Fahrbahn oder anderer Straßenteile. Gemeint ist damit sehr häufig die unerlaubte linksseitige Nutzung eines Radwegs oder auch eines nicht für den Radverkehr frei gegebenen Gehwegs.
Außerdem zählt Sonntag als Auslöser für Unfälle das Fehlverhalten beim Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren sowie Ein- und Ausfahren auf, Vorfahrts- oder Vorrangverstöße oder Verstöße gegen das Rechtsfahrgebot.
Unfallzahlen und Probleme in der Region
Die Zahl der Radunfälle in Bayern ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen, heißt es in einer Pressemitteilung des Bayerischen Innenministeriums. Verglichen wird das Jahr 2023, wo sich 19.455 Unfälle im Freistaat ereignet haben, mit 2015, wo es 15.405 waren. 2023 wurden 18.145 Radfahrer verletzt, eine Zunahme um etwa 25 Prozent gegenüber 2015. 85 Radfahrer sind im vergangenen Jahr ums Leben gekommen, im Vergleichsjahr waren es vier weniger.
Auch im Landkreis Traunstein haben diese Zahlen zugenommen, wie Polizeisprecher Stefan Sonntag weiter mitteilt. 379 Unfälle mit Fahrradfahrern sind 2023 registriert. Dabei gab es 376 Verletzte und drei Todesopfer zu beklagen. Im Jahr davor waren es 352 Unfälle, 344 Verletzte und zwei Todesfälle.
Anders hingegen im Landkreis Rosenheim. Hier sind die Zahlen gesunken. 2023 haben sich dort 387 Unfälle mit Fahrradfahrern ereignet, 388 Verletzte gab es, und auch drei Todesopfer. 2022 waren es 502 Unfälle mit 485 verletzten Radfahrern und ebenfalls drei Toten. Für 2024 liegen noch keine Zahlen vor, erklärt Sonntag und betont: „Die Zahl der Radunfälle – vor allem mit schweren Folgen – ist trotz vieler polizeilicher und straßenbaulicher Maßnahmen nach wie vor zu hoch.”
Die Dienststellen des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd führen regelmäßig Kontrollen, auch speziell von Fahrradfahrern, durch. „Wir achten dabei auf die Verkehrstüchtigkeit des Fahrers und die Verkehrssicherheit des Rades. Daneben appellieren wir an die Vernunft und Einsicht von Radfahrern, immer einen Helm zu tragen.”
Das Chiemsee-Alpenland hat ein rund 2.000 Kilometer langes, ausgeschildertes Radwegenetz, wie es weiter vom Chiemsee-Alpenland-Tourismus heißt. Darunter auch der Chiemseeradweg um das bayerische Meer herum.
Der Landkreis Traunstein ist in Sachen Radwege gut aufgestellt, sagt Wilfried Schott, Vorstandschaftsmitglied im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) Traunstein. Eine Strecke bemängelt er jedoch. Und zwar die von Traunstein nach Seebruck. Während von Traunstein stadtauswärts die Route noch auf einem Radweg führt, geht sie etwa auf Höhe Chieming weiter entlang einer stark befahrenen Straße. „Und da halten Autofahrer oft nicht den nötigen Abstand beim Überholen von Radfahrern ein”, betont Schott. Oft werde dieser Abstand falsch eingeschätzt, „als Autofahrer denkt man vielleicht, das geht ganz leicht, aber der Radfahrer nimmt das anders wahr”.
Auch in den Städten gibt es Hürden: Radwege sind vorhanden, aber den Höhenunterschied bei den Ein- und Abfahrten zur Fahrbahn bezeichnet Schott als „Felgenkiller”. Bei Straßenbaumaßnahmen sollten diese Unterschiede besser angeglichen werden. Zudem bemängelt er die Umlaufsperren an Bahnübergängen. „Da kommen auch immer wieder Beschwerden, weil die Leute zum Beispiel mit einem Anhänger oder Kinderwagen nicht gut durchkommen.“
Matthias Schlechter, Bürgermeister der Gemeinde Reit im Winkl nennt eine weitere Strecke. Die entlang der Bundesstraße 305 in Richtung Unterwössen. Hier gibt es keinen Radweg. „Uns Gemeinden ist es wichtig, dass wir die Radfahrer da weg von der Straße bekommen“, betont Schlechter, jedoch seien die Kosten für einen Radweg enorm, die Gemeinden können diese nicht alleine stemmen.
Bis 2030: 1.500 zusätzliche Kilometer Radwege
Wie Stefan Sonntag weiter mitteilt, hat die bayerische Staatsregierung angekündigt, ihre Anstrengungen für noch sichereres Radfahren weiter zu verstärken. Bayerns Innenminister Joachim Hermann hatte daher Donnerstagmittag (31. Oktober) auch zur 4. Verkehrssicherheitskonferenz eingeladen. Das Motto: „Sicher unterwegs mit dem Fahrrad“. Der Innenminister diskutierte dabei mit Verkehrsexperten verschiedene Ansätze für mehr Sicherheit beim Radfahren.
In der Pressemitteilung des Innenministeriums heißt es weiter, dass immer mehr Menschen auf Bayerns Straßen unterwegs seien und die Verkehrsdichte zunehme. Zudem gewinne der Radverkehr als umweltfreundliche Alternative erheblich an Bedeutung. Der Minister appellierte zu mehr Rücksichtnahme. Ebenso machte Herrmann deutlich, dass die Bayerische Polizei verstärkt mit konsequenten Kontrollen nachhelfen werde, wo die gegenseitige Rücksichtnahme nicht funktioniert: „Besonders im Fokus sind sowohl rücksichtslose Auto- und Lkw-Fahrer, als auch Radlrowdys!“ Eine Maßnahme, die sich sehr bewährt habe, seien die speziellen Fahrradstreifen bei der Polizei. Mittlerweile sind bayernweit mehr als 800 Polizisten auf Fahrradstreife unterwegs, laut Herrmann sollen es noch mehr werden.
Ebenfalls sehr wichtig laut dem Minister: „Wir unterstützen gemeinsam mit dem Verkehrsministerium den engen Austausch zwischen den Fahrradverbänden, der Polizei und den Kommunen, insbesondere zur Entschärfung möglicher Gefahrenstellen und zur Ausgestaltung von Radwegen.“
Bis 2030 sollen gemeinsam mit den Kommunen insgesamt 1500 zusätzliche Kilometer neue Radwege gebaut werden. Jährlich investiere der Freistaat Bayern auch rund 50 Millionen Euro in den Bau und Erhalt von Radwegen an Bundes- und Staatsstraßen. 2024 stünden inklusive Bundesmitteln zusätzlich rund 57 Millionen Euro für den Radverkehr zur Verfügung.
Wilhelm Schott vom ADFC Traunstein wünscht sich auch mehr Rücksicht für ein besseres Miteinander im Straßenverkehr. Egal welches Verkehrsmittel, jeder soll aufeinander schauen. Ebenso wichtig: Radwege an Schulen sollen besser ausgewiesen werden, um den Kindern und Jugendlichen mehr Sicherheit zu geben.
