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Von Wasserburg nach Hartheim deportiert

NS-„Euthanasie“ in Gabersee: Eine Enkelin auf den Spuren ihrer Großmutter Therese Mühlberger

Therese Mühlberger wurde nur 42 Jahre alt. Sie wurde von Gabersee nach Hartheim deportiert und dort ermordet. Am Mahnmal am Heisererplatz in Wasserburg ist ihr Name zu finden.
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Therese Mühlberger – hier zu sehen als junge Frau während ihrer Zeit im Orden – wurde nur 42 Jahre alt. Sie wurde von Gabersee nach Hartheim deportiert und dort ermordet. Am Mahnmal am Heisererplatz in Wasserburg ist ihr Name zu finden.

Über 500 Patienten aus der „Heil- und Pflegeanstalt Gabersee“ wurden Opfer des Nationalsozialismus. Eine von ihnen ist Therese Mühlberger aus Reit im Winkl. Mit 42 Jahren wurde sie in den Gaskammern Hartheims ermordet. Ihre Enkelin recherchiert seit zehn Jahren darüber. Wie das Schicksal ihrer Großmutter die Familie auseinandergerissen hat.

Wasserburg/Reit im Winkl – Als „gnadenlose, fürchterliche und systematische Vernichtung“ bezeichnete Holocaust-Überlebende Charlotte Knobloch die Verschleppung von Juden, Homosexuellen, Sinti und Roma, politisch Andersdenkenden und psychisch Erkrankten durch die Nationalsozialisten bei der Gedenkveranstaltung am kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg. 637 Patienten aus der „Heil- und Pflegeanstalt Gabersee“ wurden Opfer des Nationalsozialismus, wie Recherchen des Stadtarchivs Wasserburg und des Bezirks Oberbayern ergeben haben. Sie wurden verschleppt, deportiert, getötet.

Eines der Opfer: Therese Mühlberger. Sie wurde gerade einmal 42 Jahre alt. Ihre Enkelin Helene L. (64) recherchiert seit knapp zehn Jahren unermüdlich zum Schicksal ihrer Großmutter, welches bis heute die Familiengeschichte prägt.

Arbeit als Hausmädchen

1898 in der Nähe von Unterwössen geboren, muss Therese Mühlberger eine tüchtige Frau gewesen sein. Sie wuchs auf dem elterlichen Hof auf, machte, wie damals üblich, nach sieben Schuljahren ihren Abschluss und arbeitete anschließend in dem damals noch existierenden Krankenhaus in Reit im Winkl als Hausmädchen. „Was genau ihre Tätigkeiten waren, das weiß ich leider nicht. Ich vermute nicht-pflegerische Tätigkeiten wie Essen bringen, Betten beziehen, putzen“, berichtet ihre Enkelin.

Die Systemingenieurin aus München recherchiert aktiv seit 2015 zum Tod ihrer Großmutter. „Ich wusste allerdings schon in den 70er, 80er Jahren, dass sie ein ‚Euthanasie‘-Opfer war.“ Bei einer Gedenkveranstaltung vor zehn Jahren sei sie schließlich in Kontakt mit einer Forschungsgruppe gekommen, aus der sich die „Gedenkinitiative für die NS-Euthanasie-Opfer“ entwickelte. Sie hätten ihr geholfen, unterschiedliche Akten zusammenzutragen. Heute weiß Helene L. deshalb sehr viel über den Lebenslauf ihrer ermordeten Großmutter.

Ausgebildete Krankenschwester

Zweifellos belegt sei auch, dass Therese Mühlberger im Jahr 1919, also mit 21 Jahren, nach München zog und am Krankenhaus des Dritten Ordens in München-Nymphenburg eine Ausbildung zur Krankenschwester absolvierte, erzählt ihre Enkeltochter. Ein Jahr später, nach Abschluss der Lehre, legte sie ihre Profess ab und wurde zur Ordensschwester Wilfrieda. „Wahrscheinlich war es die einzige Möglichkeit für sie, um an eine Berufsausbildung zu kommen“, vermutet Helene L., denn im Orden habe es Therese Mühlberger offensichtlich nicht gefallen. So würde die Personalakte des Dritten Ordens aus dieser Zeit belegen, dass sie als „ungehorsam“ galt. 1922 ließ Therese Mühlberger schließlich ihre gesamte Ordenstracht zurück und flüchtete ohne Abschied aus der Ordensgemeinschaft. Sie kehrte nach Reit im Winkl zurück, arbeitete als Pflegerin und absolvierte schließlich einen Hebammenkurs. 1925 heiratete sie Stefan Mühlberger, einen Holzarbeiter.

Therese Mühlberger während ihrer Zeit im Dritten Orden als Schwester Wilfrieda.

Die beiden bauten ein Haus, verschuldeten sich dabei. Nach der Geburt ihrer einzigen Tochter – und Helene L.s Mutter – im Jahr 1926 arbeitete Therese Mühlberger weiter als Hebamme, trug mit ihrem Einkommen einen wichtigen Teil zum Haushalt bei.

Ab 1931 folgte dann aber das schwere Schicksal von Therese Mühlberger. Sie wurde krank, immer öfter kam es zu Demenz-ähnlichen Ausfallerscheinungen. 1932 bei einer Hebammenprüfung schnitt sie schlecht ab und wurde außer Dienst gestellt. Es folgten mehrere Untersuchungen der vergesslichen, abmagerten und krank wirkenden Frau in einer psychiatrischen Klinik in München. Im August 1933, im Alter von 35 Jahren, wurde Therese Mühlberger schließlich in die Heil- und Pflegeanstalt Gabersee eingewiesen.

Therese Mühlberger, aufgenommen etwa im Jahr 1927.

Für die Familie zu Hause war das ein harter Schlag. Stefan Mühlberger blieb verzweifelt mit seiner siebenjährigen Tochter zurück. „Es gibt rührende Postkarten, in den er darum bittet, dass man seiner Frau helfen möge“, erzählt die Enkelin. Bald musste Stefan Mühlberger jedoch einsehen, dass die Symptome seiner Frau nicht mehr zu lindern waren. Im Ort wurde die Familie geächtet. Zum einen wegen einer Frau und Mutter im „Irrenhaus“, zum anderen, weil, wie die Krankenakte belegt, eine Syphilis-Infektion für die neurologische Erkrankung von Therese Mühlberger verantwortlich war. „Es muss viel getratscht worden sein“, mutmaßt die Enkelin. Die Familie erklärte sich die Infektion von Therese Mühlberger mit ihrer Tätigkeit als Hebamme. Dabei müsse sie sich angesteckt haben, so die Überzeugung der Angehörigen.

Im September 1940 wird Therese Mühlberger deportiert

Sieben Jahre verbrachte Therese Mühlberger in der Heil- und Pflegeanstalt Gabersee. Die Krankenakte aus dieser Zeit liest sich, so erzählt es die Enkelin, „sehr entwürdigend“. Die Berichte, die jedes Quartal geschrieben wurden, handelten davon, dass Therese Mühlberger „verblödet“ sei, sie sei „unrein“ und müsse zum Toilettengang aufgefordert werden. Die letzte Eintragung ist auf September 1940 datiert. Am 7. November 1940 wurde Therese Mühlberger dann von Gabersee in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz deportiert. Bekannt waren diese Transporte als „Aktion T4“ . Wahrscheinlich am selben Tag oder wenige Tage später wurde Therese Mühlberger dort in der Gaskammer ermordet.

Am Mahnmal am Heisererplatz wird Therese Mühlberger gedacht. Dort wird sie namentlich erwähnt.

Die Familie erhielt laut Helene L. zunächst Nachricht über die angebliche Verlegung Therese Mühlbergers in eine andere Anstalt. Später meldete ein weiterer Brief ihren plötzlichen Tod. Die angebliche Todesursache: Lungenentzündung. Als Todestag wurde der 19. November 1940 angegeben. Nur noch eine Urne, die angeblich die Asche der Verstorbenen enthält, wurde den Hinterbliebenen übergeben.

Therese Mühlberger wurde nur 42 Jahre alt. Das ist auf dem Mahnmal am Heisererplatz in Wasserburg zu lesen.

Das Schicksal von Therese Mühlberger prägt die Familie bis heute. Den Platz der liebevollen, geduldigen Mutter nahm in der Familie bald eine Haushälterin ein. Ein Jahr nach dem Tod Therese Mühlbergers heiratete Stefan Mühlberger sie und machte sie so zur zweiten Frau. Helene L.s Mutter und die neue Ehefrau, ihre Stiefmutter, hätten sich aber nie gut verstanden, erzählt die Enkeltochter. „Sie mochte keine Kinder“, erzählt sie. Stattdessen habe die Stiefmutter den Haushalt sparsam geführt, die Stieftochter lieblos erzogen. Es sei zu Gewalt gegenüber dem Kind gekommen. Helene L.s Mutter floh aus Reit im Winkl. Kaum, dass sie erwachsen war, zog nach München und kehrte nie mehr zurück. „Das Schicksal von Therese Mühlberger hat die Familie auseinandergerissen“, sagt Helene L., die heute noch in München wohnt.

Mahnmal am Heisererplatz

Der Name von Therese Mühlberger ist am Mahnmal am Heisererplatz in Wasserburg zu lesen. Das Denkmal wurde am 27. Januar 2020 eingeweiht, es sind über 500 Namen von deportierten Personen aus den Heil- und Pflegeanstalten Gabersee und Attl zu lesen. Entworfen wurde das Mahnmal von Dagmar Korintenberg und Wolf Kipper. Die 62 Stelen können textlich noch ergänzt werden. Dieses Anliegen war Bestandteil der Ausschreibung des Gestaltungswettbewerbs, da nach wie vor Forschungslücken bestehen.

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