So läuft es mit der Integration
Mordversuch, Gewalt, Mafia-Razzia: Wie ist die Lage in Rosenheims Asyl-Unterkünften wirklich?
Ein versuchter Mord, Körperverletzungen und eine Razzia gegen die nigerianische Mafia inklusive Festnahme: Immer wieder wird über Vorfälle in den Rosenheimer Asyl- und Gemeinschaftsunterkünften berichtet. Doch ist die Situation vor Ort wirklich so schlimm? Und was wird in Rosenheim getan, um Geflüchtete zu integrieren?
Rosenheim – Um kurz nach 10 Uhr geht der Notruf bei der Polizei ein. In der Asylbewerber-Unterkunft in der Karlsbader Straße soll ein Mann seine Frau geschlagen haben. Es ist von Geschrei die Rede, einem Streit, der wohl eskaliert ist. Einige Stunden später gibt die Polizei Entwarnung. Verletzt wurde niemand. „Es waren sehr viele Emotionen im Spiel“, sagt Hauptkommissar Robert Maurer.
Nicht der einzige Vorfall: Mitte Januar ist es in einer Flüchtlingsunterkunft in der Äußeren Oberaustraße ebenfalls zu einem Ehestreit gekommen. Während der Auseinandersetzung griff der 33-jährige Mann zu einem Messer, stach auf seine Frau ein und verletzte sie schwer.
Erst vor wenigen Tagen durchsuchen Polizisten eine Asylunterkunft in Rosenheim und nahmen einen Mann fest. Sie werfen ihm vor, Teil des Vereins „Confraternity Black Axe“ zu sein, der von italienischen Behörden als „mafiaähnlich“ eingestuft wird. Die „Bruderschaft“ wird immer wieder in Zusammenhang mit Internetbetrug, Rauschgiftkriminalität, Geldwäsche, Menschenhandel und Schleusung gebracht.
Nicht mehr Gewalt als anderswo
Die Schlussfolgerung, die manch einer aus Vorfällen dieser Art zieht: Dort, wo geflüchtete Menschen leben, ist die Gewaltkriminalität besonders hoch. Doch das ist nicht der Fall. Das bestätigt Polizeihauptkommissar Robert Maurer auf OVB-Anfrage. „Eine markante Problemstellung in den Unterkünften im Rosenheimer Stadtgebiet sehen wir nicht“, sagt er.
Derzeit gibt es in Rosenheim zwei Gemeinschaftsunterkünfte und 46 dezentrale Unterkünfte. „Aktuell leben dort rund 1.000 Menschen, die Unterkünfte sind weitgehend belegt“, sagt Christian Baab, Pressesprecher der Stadt Rosenheim. Ähnliches berichtet Wolfgang Rupp, Pressesprecher der Regierung von Oberbayern. Die Behörde betreibt an der Äußeren Oberaustraße in Rosenheim die beiden Gemeinschaftsunterkünfte. „Beide Unterkünfte sind nahezu vollständig ausgelastet. Für neue Zuweisungen stehen derzeit insgesamt nur sechs Freiplätze zur Verfügung“, sagt er.
Günstiger Wohnraum: Fehlanzeige
In der Unterkunft an der Äußeren Oberaustraße 14 wohnen im Moment 99 Menschen, 36 davon sind sogenannte Fehlbeleger. Dabei handelt es sich um Asylbewerber, die von der Gemeinschaftsunterkunft auf den regulären Wohnungsmarkt vermittelt werden sollen. Weil es in Rosenheim aber kaum günstigen Wohnraum gibt, müssen die Asylbewerber in den Gemeinschaftsunterkünften bleiben – als „Fehlbeleger“.
Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Unterkunft an der Äußeren Oberaustraße 20. Dort wohnen derzeit 83 Personen, 25 davon sollten eigentlich schon längst ausgezogen sein. Doch auch hier scheint es bei der Wohnungssuche zu hapern. Und genau dort fangen die Probleme an.
Wohnung und Arbeit wichtig für Integration
„Die wichtigsten Faktoren, damit eine erfolgreiche Integration gelingen kann, sind eine Wohnung und Arbeit“, sagt Christian Hlatky. Er ist der Geschäftsführer der Bürgerstiftung, die von 2015 bis 2020 im Rahmen des Projektes „Paten für Geflüchtete“ über 200 Ehrenamtliche koordiniert hat, die geflüchtete Personen und Familien unterstützt haben – unter anderem bei der Wohnungs- und Jobsuche. „Die beiden Faktoren sind oft voneinander abhängig“, sagt Hlatky.
Wer Arbeit hat, bekomme aufgrund von finanziellen Ressourcen einfacher eine Wohnung. Wer eine Wohnung hat, ist Hlatky zufolge dem Stress einer Gemeinschaftsunterkunft nicht ausgesetzt und kann sich neben der Arbeitssuche auch auf das Lernen der deutschen Sprache konzentrieren.
Zugang zum Arbeitsmarkt oft beschränkt
Doch auch die Arbeitssuche gestaltet sich für viele Geflüchtete oft schwierig. „Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist zunächst beschränkt, wenn Menschen noch im Asylverfahren sind und zum Beispiel in einer Gemeinschaftsunterkunft leben“, sagt Dr. Nicole Cujai, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in Rosenheim.
Asylverfahren dauert fast acht Monate
Denn nur wer in Deutschland als Flüchtling anerkannt ist und eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis besitzt, darf frei arbeiten. Im Schnitt dauerte ein Asylverfahren 2022 7,8 Monate. „Bewohner, deren Asylverfahren noch läuft oder deren Asylantrag abgelehnt wurde und deren Abschiebung aus rechtlichen Gründen aktuell unmöglich ist, benötigen für die Aufnahme einer Beschäftigung eine separate vorherige Erlaubnis der Ausländerbehörde“, erklärt Regierungssprecher Wolfgang Rupp. Dieser bürokratische Aufwand schreckt nicht nur Geflüchtete ab, sondern auch Arbeitgeber.
Hinzu kommt, dass Asylbewerber aus Ländern wie Albanien, Ghana, Moldau oder dem Senegal grundsätzlich keine Genehmigung erhalten. Viele Bewohner in den beiden Gemeinschaftsunterkünften an der Äußeren Oberaustraße kommen aus Afghanistan, andere aus dem Irak, Nigeria, Somalia und der Türkei. Neben Einzelpersonen sind es vor allem Familien, die in dem Rosenheimer Gewerbegebiet zu Hause sind.
Spielangebote und Besuche ins Schwimmbad
Für sie bietet die Organisation „Startklar Soziale Arbeit“ jeden Mittwoch Mal- und Spielangebote an. Zudem gibt es eine Mutter-Kind-Spielgruppe sowie Ausflüge in den Ferien und Besuche im Schwimmbad. Sozialarbeiter sind in den beiden Gemeinschaftsunterkünften, die von der Regierung von Oberbayern betrieben werden, nicht tätig.
Betreuung vom Jobcenter
„Die Bewohner von Asylunterkünften können jedoch die Angebote der Flüchtlings- und Integrationsberatung wahrnehmen“, sagt Wolfgang Rupp. Anerkannte Bewohner mit Aufenthaltserlaubnis werden zudem vom Jobcenter betreut. Außerdem gibt es ihm zufolge die im Aufenthaltsgesetz vorgesehenen allgemeinen Integrations- und Sprachkurse, die sich vor allem an Inhaber von Aufenthaltserlaubnissen richten.
Doch – wie so oft – sieht die Praxis auch hier anders aus als die Theorie. „Es gibt nach wie vor zu wenig Deutschkurse und zum Teil sehr lange Wartezeiten“, sagt Christian Hlatky. Hinzu komme, dass die Kurse zeitlich wenig flexibel sind. „Gerade für Personen mit Kindern und Personen, die nicht sehr mobil sind, ist das häufig ein Problem“, ergänzt der Geschäftsführer. Aus diesem Grund biete die Bürgerstiftung auch Deutsch-Crashkurse an, um die Integration voranzutreiben.
„Job-Turbo“ ins Leben gerufen
Die Angebote sind also sind da. Und doch stehen viele Geflüchtete vor Herausforderungen, wenn es darum geht, in Rosenheim eine Wohnung oder einen Job zu finden. Um zumindest bei letzterem zu helfen, hat die Bundesregierung jetzt das Programm „Job-Turbo“ ins Leben gerufen. Die Idee dahinter: Nach einem Integrationskurs sollen Geflüchtete möglichst schnell in die Arbeit kommen. „Wir haben in unserer Region schon unterschiedliche positive Integrationen in Arbeit, sowohl im Helfer- als auch im Fachbereich“, sagt Heike Köcher, Geschäftsführerin des Jobcenters in Rosenheim.
