Mordprozess am Landgericht Traunstein
Die Seelenqual der Freunde von Sebastian T. – Was die Chats im Fall Hanna offenbaren
Schritt für Schritt kommt das Landgericht Traunstein im Hanna-Mordprozess voran. Am Donnerstag (11. Januar) waren erneut die Chatnachrichten im Freundeskreis des Angeklagten ein Thema. Und: Ein Richter schilderte, ob er den Belastungszeugen aus dem Knast als normal empfand.
Aschau im Chiemgau/Traunstein – Sebastian T. hielt über die längste Zeit des Mordprozesses am Donnerstag, 11. Januar, den Kopf so weit gesenkt, dass sein Kinn die Brust berührte. Als zur Sprache kam, was seine Freunde um den Zeitpunkt seiner Verhaftung am 18. November 2022 herum beschäftigte, als die WhatsApp-Nachrichten vorgetragen wurden: Da arbeitete es im Gesicht, und seine Hand beschattete seine Augen.
Verwirrung und Verzweiflung in der Chatgruppe
War Sebastian T. nur geschafft? Immerhin währt seine U-Haft nun bald 14 Monate. Oder beschäftigte ihn, was seine Schulfreundin, deren Eltern und ein Freund in den dramatischen Tagen im November 2022 umtrieb? Aus den Protokollen der Sprach- und Textnachrichten sprechen Unglauben, Verwirrung und Verzweiflung.
Vor allem seine Schulfreundin wirkt aufgelöst, ja teilweise nicht mehr Herrin ihrer Sinne. „Also, der T. ist jetzt bei der Polizei der Täter“, sagt sie weinend am 17. November 2022 in einer WhatsApp-Nachricht an ihre Mutter. „Der T. und ich müssen vielleicht in U-Haft.“ Später: „Ich hab so Angst, ich bin am Arsch.“
Angeklagter: Wo Sebastian T. ein Smiley setzt
Als ein Sachverständiger die Sprachnachrichten im Großen Saal des Landgerichts vorspielte, erlebten die Prozessbeteiligten und Beobachter eine Gruppe in Panik. Auch ein Freund des Angeklagten und der Schulfreundin wähnte sich alsbald als Mitverdächtiger, er findet die Situation ausgesprochen „stressig“ und bezeichnet sich als ziemlich fertig.
Gleichzeitig rauft sich die Gruppe zusammen. „Solche Arschlöcher“ sagt ein Freund über die Ermittler der Polizei. Die Schulfreundin wiederum macht sich über eine Bekannte lustig, die über eine App ihren Standort teilt: Sie sei bei der Soko Club. Guter Laune ist seinerzeit Sebastian T. Als ihm die Schulfreundin mitteilt, dass sie nochmals zur Polizei müsse, schreibt er zurück: „Schee“, dazu ein Smiley.
Sebastian T.s Freunde: Zermürbt durch die Vernehmungen
Irgendwann aber will die Gruppe nur noch ihre Ruhe. Der Freund malt sich aus, wie er den Verdächtigen in der „Drecks JVA“ besucht und ihn mit Androhung von Gewalt zum Geständnis bringt: „Bruda, gestehst du!“ Allerdings, so sagt er am Ende seiner WhatsApp, sei er nur einfach „kaputt“. Er könne nicht mehr klar denken. Die Schulfreundin will ebenfalls einen Schlussstrich ziehen. „Fakt ist, T. ist der Mörder, so! Oh, es fuckt mich aber auch so ab. Soll er doch einfach gestehen, meine Fresse.“
Gefängniszeuge: Richter äußert sich über Glaubwürdigkeit
Welchen Wert hatten die Chatprotokolle? Offensichtlich keinen, der über bereits Bekanntes hinausreicht. Es gibt auch noch immer keine Gewissheit, dass Sebastian T. Täterwissen offenbart hat. Mal erinnert sich die Schulfreundin daran, dass Sebastian T. noch am Abend der Tat, also am 3. Oktober 2022, von einem Mord gesprochen habe, wo noch nicht einmal die Polizei zwingend von einem Gewaltverbrechen ausging. Ein anderes Mal holt sie diese Aussage zurück und spricht vom 4. Oktober als dem Tag des ominösen Gesprächs.
Aussagekräftiger war, was ein Richter vom Amtsgericht Laufen über den Mithäftling von Sebastian T. in der Untersuchungshaft sagte. Der „Knastzeuge“ hatte kurz nach Beginn der Verhandlung über seinen Anwalt der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass er etwas Wichtiges mitzuteilen habe. Sebastian T. habe ihm gegenüber den Mord an Hanna W. eingeräumt. Doch wie glaubwürdig ist er? Das Vertrauen in diesen Häftling zu erschüttern, war von seinem Auftritt an ein Hauptziel der Verteidigung gewesen. Um es vorwegzunehmen: Ein „notorischer Lügner“, wie von Anwältin Regina Rick behauptet, scheint er nicht zu sein.
Der JVA-Zeuge: Einmal gelogen, doch die Lüge eingeräumt
Der Richter, der am Donnerstag, 11. Januar, in Traunstein aussagte, hatte diesen Zeugen in einer Familiensache kennengelernt, in der der junge Mann zunächst seine Mutter belastet hatte. Die Mutter erhielt einen Strafbefehl wegen Nötigung zur Falschaussage. Dessen hatte sie der spätere JVA-Zeuge gegenüber der Polizei bezichtigt. Die Mutter legte Einspruch ein, es kam zur Verhandlung. Und in dieser Verhandlung räumte ihr Sohn ein, bei der Polizei gelogen zu haben. Manipuliert habe ihn sein Vater.
Richter: Gefängniszeuge verhält sich normal
Der Richter schilderte die Familienverhältnisse des U-Haft-Zeugen als ziemlich prekär. Die Falschaussage des jungen Mannes in einem Familienrechtsstreit bezeichnete der Jurist als nicht ungewöhnlich. Kinder gerieten in solchen Streitigkeiten in „Loyalitätskonflikte“. Die könnten jemanden schon mal von der Opfer- in die Täterrolle schlüpfen lassen.
Damit ist die Glaubwürdigkeit des Zeugen nicht erschüttert. Und damit steht seine Behauptung im Raum. Sebastian T. habe ihm gegenüber eingeräumt, Hanna W. (23) am 3. Oktober 2022 nach einem Besuch des Clubs „Eiskeller“ bewusstlos geschlagen zu haben, „damit sie sich nicht wehren kann“. Danach soll er die Bewusstlose in den Bärbach geworfen haben, wo sie ertrank.
Am Dienstag kommt der Hydromechaniker
Die These der Verteidigung, Hanna W. sei am frühen Morgen des 3. Oktober 2022 einem Unfall zum Opfer gefallen, steht seit vergangener Woche ohnehin auf schwachen Beinen. Am Donnerstag, 4. Januar, wies ein Ermittler nach, dass Hanna einen Notruf getätigt hatte – ein Manöver, das sich nicht versehentlich vollziehen lässt. Hanna wollte vielmehr Hilfe holen. Weil sie sich offenbar bedroht fühlte.
Weitere Klarheit könnte am kommenden Dienstag, 16. Januar, der Hydromechaniker bringen, Prof. Andreas Malcharek von der Bundeswehr-Uni in Neubiberg. Die Verhandlung, diesmal im deutlich kleineren Saal 31, beginnt um 9 Uhr. Auch Jiri Adamek von der Gerichtsmedizin kommt nochmals zu Wort.
Wieder Wortgefecht zwischen Rick und Richterin
Zum Abschluss des Verhandlungstages gab es erneut Scharmützel. Anwältin Regina Rick bemängelte, dass sie noch die Beweisstücke sehen wolle. „Ich möchte die Asservate anschauen, ich habe nicht einmal eine Liste.“ Richterin Jacqueline Aßbichler rügte ihre Art, Anträge zu stellen, in mildem Ton: „Das ist oberflächlich.“