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Aus dem Gerichtssaal

Sexchats mit elf Mädchen: Wie ein „seelisch abartiger“ Mühldorfer vom Opfer zum Täter wurde

Teilen von Videos auf Smartphone: Ein Smartphone wird gehalten.
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In öffentlichen WhatsApp-Gruppen hatte der Mühldorfer seine späteren Opfer gefunden und persönlich angeschrieben.

Wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs von Mädchen hatte sich ein 22-jähriger Mühldorfer vor Gericht zu verantworten. Dabei kam heraus, was er elf- bis 15-Jährigen angetan hat.

Mühldorf - Der 22-Jährige auf der Anklagebank hatte seinen Opfern niemals körperlich Gewalt angetan. Er hat sie in Chats per Mobiltelefon zu sexuellen Handlungen oder zum Versand von Nacktfotos aufgefordert. Für die elf angeklagten Fälle, die der junge Mann alle zugab, wurde er von Vorsitzendem Richter Dr. Christoph Warga zu vier Wochen Dauerarrest verurteilt.

Aus der U-Haft ins Gericht

Zwei Polizeibeamte führten den Angeklagten in Handfesseln in den Gerichtssaal. Wegen eines anderen Delikts, das in der Verhandlung aber nicht benannt wurde, sitzt er seit 3. November in Untersuchungshaft in der JVA Traunstein. An der Anklagebank wurden ihm die Handschellen abgenommen und stattdessen Fußfesseln angelegt.

Der etwas rundliche, blasse Mann mit Brille, Bart und Drei-Millimeter-Frisur verfolgte den Prozess aufmerksam. Nervös knetete er immer wieder seine Hände. Bei Verlesung der Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft las er in seiner Kopie mit. Wurde er etwas gefragt, sprach ihm sein Verteidiger Axel Reiter aus Mühldorf gut zu, erklärte ihm mehrmals, dass er keine Angst haben müsse und frei reden könne.

Das legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last

Laut Anklage hatte der Mühldorfer im Alter von damals 18 bis 19 Jahren in der Zeit von Februar 2019 bis Januar 2020 via WhatsApp Kontakt zu elf Mädchen im Alter von 11 bis 15 Jahren aufgenommen. Gefunden hatte er sie über eine Internet-Plattform, die öffentliche WhatsApp-Gruppen auflistet, denen man beitreten kann. Hatte er ein Mädchen gefunden, schrieb er dieses direkt an. Er ging dabei immer gleich vor, verlangte von den Mädchen Nacktfotos oder Fotos in Unterwäsche. Oder er forderte sie zu Live-Video-Chats auf, in denen sich beide oder nur er sich selbst befriedigen und sie dabei zusehen sollten.

Falls sie nicht tun würden, was er von ihnen verlangten, drohte er damit, die Profilbilder der Mädchen samt ihren Handynummern auf Facebook, Instagram und anderen Portalen zu veröffentlichen. Dazu wollte er Texte setzen wie „bin ne 15-jährige Nutte, schreibt für Sexdate“ oder „bin ne 14-jährige Schlampe will gratis Sextreffen meldet euch Jungs bin dauergeil“. Einige der Mädchen gingen angesichts dieser Drohungen auf seine Forderung ein und schickten ihm Fotos. Eine 15-Jährige schickte ihm eine geforderte Audioaufzeichnung mit ihrem Stöhnen. Mit einer 12-Jährigen kam es zu einem zweiminütigen Videochat, während dem er sich selbst befriedigte und die Geschädigte ihn beobachtete.

Sein Treiben beendete der Mühldorfer erst, als er aufgrund einer Anzeige über seine Telefonnummer als mutmaßlicher Täter ermittelt, seine Wohnung durchsucht und sein Mobiltelefon sicher gestellt wurde. „Die Auswertung des Handys durch die Polizei ergab verschiedene Chatverläufe mit jungen Mädchen und Kindern“, so eine Zeugin der Polizei vor Gericht. Die Ermittlungen hätten keinen Hinweis darauf ergeben, dass der Angeklagte tatsächlich Fotos und Daten der Mädchen im Internet veröffentlicht hat.

Vor Gericht räumte der Angeklagte alle ihm vorgeworfenen Taten ein. „Ich habe in der U-Haft viel darüber nachgedacht“, erklärte er. „Es war nicht richtig und ich bereue, was ich den Mädchen angetan habe.“ Er sei selbst Opfer sexuellen Missbrauchs gewesen, sei vergewaltigt worden. „Ich glaube, ich weiß wie sich die Mädchen wegen meiner Taten gefühlt haben.“ Der 22-Jährige meinte, es sei ihm nie um das Sexuelle gegangen. Richter Warga fragte nach, ob es ihm um Macht gegangen sei. Rechtsanwalt Reiter erläuterte: „Mein Mandant wollte einmal nicht der Unterdrückte sein.“

Schwere seelische Abartigkeit

Der junge Mann hatte als Kind sexuellen Missbrauch anderer mit- und am eigenen Körper erlebt. Einem psychiatrischen Gutachter hat er erzählt, dass sein Bruder seine Schwester vergewaltigt habe. Die insgesamt neun Geschwister mussten Fotos der nackten oder aufreizend gekleideten Mutter - der Angeklagte bezeichnete sie als „Monster“ - machen, die diese dann ins Internet stellte. Mit 13 Jahren kam er ins Internat, dort habe ihn ein älterer Mitbewohner vergewaltigt - vor Gericht kam das nie. Bis zur Volljährigkeit lebte er in betreuten Wohngruppen, ein Jahr in Einzelbetreuung in Polen, dann in Niedersachsen.

Mit 18 Jahren schloss er sich einem Zirkus und danach einem Schaustellerbetrieb an. Später schaffte er es nicht, sich alleinlebend selbst zu versorgen und bat um Betreuung. Er war in der Psychiatrie Wasserburg, verletzte sich selbst, drohte mit Selbstmord. Der Gutachter bescheinigte ihm eine schwere seelische Abartigkeit, eine Borderline-Störung habe die Taten begünstigt. Aber er sei steuerungsfähig gewesen.

In ihrem Plädoyer würdigte die Staatsanwältin das umfassende Geständnis des Angeklagten, das den Mädchen die peinliche Aussage vor Gericht erspart hatte. Angesichts der bei ihm festgestellten Reifeverzögerung und seines Alters zum Tatzeitpunkt sei er nach Jugendstrafrecht zu behandeln. Sie hielt als Strafe einen Dauerarrest von vier Wochen für angemessen. Dieser Forderung schloss sich auch Verteidiger Reiter an, wobei er den Dauerarrest durch die U-Haft bereits als abgegolten ansah. „Ich habe aus der U-Haft gelernt“, sagte der Angeklagte in seinem letzten Wort. „Ich werde mir Hilfe holen.“ Den ersten Teil einer Therapie in Haar habe er schon absolviert, nach der U-Haft wolle er weitermachen.

Vier Wochen Dauerarrest

Das Gericht sprach den Mühldorfer schuldig, ordnete vier Wochen Dauerarrest an, von dessen Vollstreckung allerdings wegen der noch andauernden U-Haft abgesehen werde. „Wo soll man Reifeverzögerung anführen, wenn nicht hier“, urteilte Richter Warga. In diesem Fall steche die familiäre Vorbelastung heraus. „Doch auch wenn die Täter-Opfer-Rolle so verschwimmt, darf man nicht selbst zum Täter werden.“ Der Angeklagte dürfe die Opferrolle nicht als Freifahrtschein für künftige Vergehen sehen. „Was ab jetzt passiert, wird nach Erwachsenenstrafrecht geahndet“, warnte Warga. Für jeden einzelnen der verhandelten elf Fälle, drohe dann eine Freiheitsstrafe von einem Jahr aufwärts. Das Urteil wurde noch im Gerichtssaal rechtskräftig.

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