Erneut Kreuz-Urteil in den Schlagzeilen
„Kreuz-Wachen“ und Dreschflegel-Drohungen: Kruzifix-Urteil 1995 - So reagierte die Region
Gerade ist wieder ein Kreuz-Urteil in den Schlagzeilen: Schülerinnen aus Wolnzach setzten sich vor Gericht durch. Vor 30 Jahren sorgte das „Kruzifix-Urteil“ von 1995 für Aufregung in der Region. Wir zeichnen die damaligen Reaktionen anhand von Beiträgen aus dem OVB-Zeitungsarchiv nach.
Rosenheim – „Viele OVB-Leser machten ihrem Ärger über die Karlsruher Entscheidung mit einem Anruf in der Redaktion Luft“, berichtet Erwin Lass in seinem Bericht für das Oberbayerische Volksblatt (OVB) in der Ausgabe vom 12. August 1995, „Dabei gab es keinen einzigen Befürworter des Urteils. Ein Leser aus dem Raum Wasserburg meinte sarkastisch, man müsse den Richterspruch konsequent umsetzen und auch das Ankreuzen von Lotto-Scheinen und Wahlzetteln verbieten.“ Eltern hätten mitgeteilt, bei Bekanntwerden einer Kreuz-Abhängung sofort einschreiten zu wollen. „Kreuz-Wachen“ und sofortiger Ersatz entfernter Kruzifixe seien angekündigt worden.
Lokale Politiker meldeten sich zu Wort: „Landrat Dr. Max Gimple findet das Karlsruher Urteil ebenfalls so ‚schwerwiegend und empörend‘, dass er sich gestern aus einem Kurzurlaub zu Wort meldete“, erfahren wir außerdem, „Rosenheims OB Dr. Michael Stöcker erklärte gestern vom Krankenbett aus: ‘Ich werde niemals eine Anweisung erteilen, die Kreuze aus Rosenheimer Klassenzimmern zu entfernen. Ich finde den Vorschlag von CSU-Chef Theo Waigel interessant, das Grundgesetz so zu ändern, dass die Kreuze unangefochten hängen bleiben können. Wenn Schüler-Eltern das Kreuz in einer Klasse wirklich unbedingt weg haben wollen, müssen sie mich schon verklagen. Aber auch dann werde ich hart bleiben‘.“
„Kreuz-Wachen“ und Dreschflegel-Drohungen: Kruzifix-Urteil 1995 - So reagierte die Region
Gerade ist wieder ein „Kruzfix-Urteil“ in den Schlagzeilen: Bayerns Verwaltungsgerichtshof fällte jüngst ein Urteil im Kruzifix-Streit um das Hallertau-Gymnasium in Wolnzach. Kritiker des „Kreuz-Erlass“ von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sehen darin einen Sieg die Maßnahme. 2018 hat der damals frisch gewählte bayerische Ministerpräsident Markus Söder die Pflicht eines Kreuzes im Eingangsbereich öffentlicher Gebäude erlassen. Dazu zählten bislang auch staatliche Schulen. Nun bekamen zwei ehemalige Schülerinnen aus Oberbayern Recht. Ein 1,50 Meter großes Kreuz im Eingangsbereich habe sie in ihrer Glaubensfreiheit verletzt. Es hing seit 1998, wurde also drei Jahre nach dem ersten „Kruzifix-Streit“ aufgehängt.
30 Jahre ist es her, dass das sogenannte „Kruzifix-Urteil“, welches bereits im März jenes Jahres gefallen war, am 10. August 1995 bekanntgemacht wurde. Drei Schüler und ihre Eltern, die Anhänger der anthroposophischen Weltanschauung waren, hatten geklagt. Das Bundesverfassungsgericht gab ihnen recht, dass Teile der bayerischen Volksschulordnung von 1983 unrechtmäßig seien, wonach in Klassenzimmern im Freistaat ein Kruzifix oder zumindest ein Lateinisches Kreuz anzubringen sei. Dadurch würden Grundsätze der Glaubens- und Religionsfreiheit sowie der staatlichen Neutralität verletzt.
Jusos beklagten „demokratiegefährdende“ Aussagen von Bauernverbands-Kreisobmann
Wie wir aus der Zeitung vom 6. September 1995 erfahren, blieb das Kruzifix-Urteil ein heißes Eisen. In einem Schreiben an das OVB beklagte Klaus Jordan vom Rosenheimer Juso-Vorstand das Verhalten von Sepp Ranner, Kreisobmann des Bauernverbands und CSU-Landtagsabgeordneter. „Ranner hatte unmittelbar nach Bekanntwerden des Urteils gesagt, die Bauern würden Richter und Kläger ‚gebührend mit Dreschflegeln erwarten‘, wenn diese die Kreuze aus den hiesigen Schulen eigenhändig entfernen sollten.“ Jordan kritisierte die Aussagen als „demokratiegefährdend“ und zog Vergleiche zur NS-Diktatur. Ranner habe gekontert: „I daschlog koan. Die Bürger in der Stadt und im Landkreis verstehen meine Äußerung schon richtig. Und dem Herrn Jordan ist wohl nicht zu helfen. Er muss zur Kenntnis nehmen, dass ich seine niveaulosen Sprüche nicht kommentiere.“
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In der Praxis blieb das Kreuz-Urteil, trotz aller Aufregung, damals insgesamt weitgehend ohne Folgen. Die bayerische Staatsregierung erließ schlicht ein neues Gesetz. Klagen dagegen wurden von den zuständigen Gerichten zurückgewiesen, unter anderem, weil Konfliktlösungen vorgesehen sind. Seitdem kam das Thema immer wieder vor Gericht: 2002 setzte beispielsweise ein Lehrer durch, dass in seinen Klassenzimmern keine Kreuze an der Wand hängen dürfen. 2011 wurde ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2009 von dessen großer Kammer wieder aufgehoben. Kreuze in Klassenzimmern verstießen nicht gegen die Religionsfreiheit. Es lasse sich nicht beweisen, dass ein Kruzifix an der Wand Einfluss auf die Schüler habe, auch wenn es in erster Linie ein religiöses Symbol sei.