„Ich muss selber manchmal mitheulen“
Singen, wenn andere weinen: Wie diese Kolbermoorer Musikerin Trauernden nach Todesfällen hilft
Sie ist selbst nah am Wasser gebaut, kann den Schmerz von Trauernden gut nachempfinden. Trotzdem tritt Charlotte Kindermann aus Kolbermoor bei Beerdigungen und Trauerfeiern auf. Welche Schicksalsschläge sie dort miterlebt – und wie sie mit ihrer Musik helfen will.
Kolbermoor – Manchmal, sagt Charlotte Kindermann, hilft einzig und alleine der Ablenkungsschmerz. „Dann bohre ich mir so fest es nur geht die Fingernägel in meine Handinnenflächen.“ Die 37-Jährige spricht über Momente, in denen sie selbst von den Emotionen überfahren wird. In denen sie am liebsten selbst weinen würde. Momente, in denen sie aber irgendwie professionell bleiben muss. Die 37-jährige Kolbermoorerin ist Musikerin, spielte schon in unzähligen Bands und tritt derzeit vor allem bei Hochzeiten und Taufen auf. Seit einiger Zeit hat sie auch Trauerfeiern und Beerdigungen in ihr Repertoire mit aufgenommen.
Dass sie sich intensiv mit dem Thema Trauer beschäftigt, lässt sich auf den ersten Blick gar nicht erahnen. „Ich schwätz‘ gerne“, sagt die gebürtige Schwäbin, die vor einigen Jahren mit ihrem Partner, ein gebürtiger Kolbermoorer, in die Mangfallstadt gezogen ist. Ihre offene, lockere und sympathische Art ist ansteckend. Ihre Körpergröße von 1,90 Meter macht sie, wie Kindermann selbst schmunzelnd betont, zudem zu einer echten Erscheinung. Und dies macht sich auch in ihrer klaren, kräftigen Stimme bemerkbar. „Eines ist klar: Ich singe so tief aus dem Bauch heraus, ich brauche keinen Verstärker“, so die Mutter eines kleinen Sohnes.
„Viele wissen gar nicht, dass es das gibt“
„In die Beerdigungs-Schiene bin ich zufällig reingerutscht“, erinnert sich die gelernte Bankerin. Damals starb die Mutter einer Freundin und inmitten der Trauer entstand der Wunsch nach Gesang. Für die Trauernden. Aber auch für die Verstorbene selbst. Seitdem bietet Kindermann ihre Musik auf Trauerfeiern und Beerdigungen an, was in ihrer Heimat, einem 300-Seelen-Dorf, schon gerne in Anspruch genommen werde. In Kolbermoor und Umgebung versucht die 37-Jährige das Angebot erst noch zu etablieren. „Viele Menschen wissen gar nicht, dass es die Möglichkeit überhaupt gibt.“
Dabei sieht sie sich auch als Schnittstelle zwischen Pfarrer und Trauernden. Ein großer Unterschied zu ihren Auftritten bei lange vordatierten Hochzeiten: „Beerdigungen sind nicht planbar.“ Oftmals bekomme sie nur zwei oder drei Tage vor ihrem Engagement Bescheid. „Ich setze mich dann mit den Trauernden zusammen und wir sprechen über den Verstorbenen“, sagt Kindermann. Dabei gehe es beispielsweise um die Musik, die derjenige gerne gehört hat. „Und es gibt doch nichts Schöneres, als wenn wir dann bei der Beerdigung das Lieblingslied des Verstorbenen singen können und so nochmal eine ganz andere Brücke zwischen Himmel und Erde schlagen können.“
Gerade in einer Zeit, in der viele Menschen nicht mehr so religiös seien, wachse auch die Offenheit für unkonventionelle Trauerfeiern. Und auch weil Kindermann nicht auf die klassischen Kirchenlieder festgelegt sei, singe sie nicht nur in der Kirche oder auf dem Friedhof, sondern auch in Friedwäldern oder Waldfriedhöfen. „Wenn ich dort dann das Lieblingslied eines Verstorbenen singe, alle Angehörigen eine Kerze in der Hand halten – das hat schon Flair und hilft, in der Trauer auch die Dankbarkeit für das Geschehene zu sehen.“
Singen, wenn ein Kind beerdigt wird
Doch die 37-Jährige macht auch deutlich, dass jeder Auftritt bei einer Trauerfeier auch eine persönliche Herausforderung darstellt. „Schließlich bin ich selbst eher nah am Wasser gebaut.“ Dass sie die Emotionen der Trauernden mitfühlt, helfe zwar, die Gefühle in der Musik richtig zu transportieren. Gleichzeitig sind diese Momente für die Vollblutmusikerin aber auch „bretthart“.
Kindermann erinnert sich etwa an die Beerdigung eines Kindes, das nach zwei Jahren den Kampf gegen einen Hirntumor verloren hatte. „Der ganze Kindergarten war da und ich musste einfach nur durchhalten.“ Zusammen mit den anwesenden Kindern habe sie Tarzan-Lieder wie „Dir gehört mein Herz“ gesungen. Überhaupt gebe es keine Grenzen. Sie singe das, was für die Menschen passt und was ihnen in ihrer Situation Kraft geben kann.
37-Jährige muss manchmal „mitheulen“
So wurde sie von einer Frau engagiert, die zuvor ihren Mann völlig überraschend bei einem Motorradunfall verloren hatte. „Sie hat mir erzählt, was ihm wichtig war und so hat es zum Beispiel einfach gepasst, dass beim Auszug des Sarges Musik von ‚der Pate‘ gespielt wurde.“ Ihr Ziel: Individuell auf die Trauernden eingehen und ihnen auch durch die Erfahrungen bei der Planung helfen. „Denn es ist ja klar, dass die Angehörigen in diesem Moment oftmals eigentlich keinen Kopf für so etwas haben.“ Die Vorarbeit sei für Kindermann deshalb besonders wichtig. „Auch wenn ich dann mit den Angehörigen am Tisch sitze und manchmal mitheulen muss.“
Doch ausschließlich bei Beerdigungen singen, kann und will die lebensfrohe Kolbermoorerin natürlich auch weiterhin nicht. Neben ihren gut gebuchten Hochzeitsauftritten arbeitet sie derzeit schon an einem neuen Projekt: Singen mit Kindern. „Mein Traum ist es, bald Gesang mit Kindergruppen anzubieten.“ Bis dahin wird vor allem mit dem einjährigen Sohn geträllert. Ob dieser, ganz wie die Mama, bereits mit drei Jahren zweistimmig singen kann, bleibt abzuwarten. Da die musikalischen Fähigkeiten aber in der Familie liegen, stehen die Chancen nicht schlecht.
