Bride & Suits–Boutique in Kolbermoor schließt nach 15 Jahren
„Die Magie ist verflogen“: Warum Adriane Böhm die Faszination für Brautmoden verloren hat
„Die Geschichte ist erzählt, ihr Zauber verflogen.“ Nach 15 Jahren gibt Adriane Böhm ihr Brautmode-Geschäft in Kolbermoor auf. Am 31. März ist Schluss. Das sind die Gründe.
Kolbermoor – „Die Geschichte ist erzählt, ihr Zauber verflogen.“ Adriane Böhm gibt ihr Geschäft „Böhm Bride & Suits – Brautmode und Maßanzüge Kolbermoor und Rosenheim“ zum 31. März 2024 auf. Die Schaufenster in Rosenheim sind schon lange leer. In Kolbermoor hat der totale Räumungsverkauf begonnen. Das klingt hart, doch „das gehört zum Leben dazu: Ich habe meinen Traum gelebt und lasse ihn in Liebe gehen“, sagt Adriane Böhm zum Abschied.
Jede Braut ist eine einzigartige Persönlichkeit
15 Jahre lang hat sie ihren Traum gelebt und Menschen glücklich gemacht, die den schönsten Tag ihres Lebens zelebrieren wollen. „Ein Fest der Weiblichkeit“, sagt sie mit strahlenden Augen: „Jede Braut ist zauberhaft und bedeutungsvoll.“ Das einzigartige Ritual, junge Mädchen und Frauen in eine Braut zu verwandeln und dieses Geheimnis bis zum Tag der Hochzeit zu bewahren, faszinierte Adriane Böhm: „Das war eine ganz besondere Magie, für die ich gelebt habe“, beschreibt sie ihre Leidenschaft.
Mode und Stil begleiten ihr Leben
Mit Mode die Persönlichkeit eines Menschen zu unterstreichen und „nach außen zu tragen“, hat Adriane schon immer begeistert. Für ihren Traum, selbst Mode zu machen, hat sie hart gearbeitet. Als junge Hotelfachfrau finanziert sie sich von ihrem Trinkgeld die Ausbildung zum „Make up Artist“ an der Münchener Kosmetikschule. Später bildet sie sich in Farb- und Stilberatung weiter. Dann wird sie Mutter. „Es war ein Leben mit vielen Herausforderungen, aber es war ein unwahrscheinlich schönes Leben“, erinnert sie sich voller Liebe an die End-1990-er, die Zeit ihres 100-Prozent-Mutter-Seins und die ersten Jahre mit ihren drei Kindern. Sie perfektioniert ihre Nähkenntnisse, lässt sich Zeitschriften aus Holland schicken und schneidert all die „zuckersüßen“ Kindersachen selbst.
Nur wenige Jahre später steckt Adriane Böhm schon wieder mitten im Berufsleben. Sie arbeitet als Farb- und Stilberaterin. Ihre Kreativität führt sie zur ersten Unternehmensidee: Sie schreibt ein Konzept für das Format „Glücklich in XXL“, setzt mollige Frauen gekonnt in Szene, gewinnt den Gründerpreis einer Frauenzeitschrift, qualifiziert sich nebenbei in nonverbaler Kommunikation und zur Kauffrau im Einzelhandel. Unternehmen werden auf die toughe Rosenheimerin aufmerksam und holen sie als Image-Trainerin ins Haus. Sie schreibt Kolumnen für Fachzeitschriften.
Mit 43 Jahren verwirklicht sie ihren Traum
Mit 43 Jahren hat sie die Chance, ihren Traum von der eigenen Brautmode-Boutique zu verwirklichen. In der Friedrich-Ebert-Straße werden Geschäftsräume frei. „Im Januar 2009 habe ich mein erstes Kleid verkauft“, erinnert sie sich und beschreibt den harten Überlebenskampf als Unternehmensgründerin. Sie verdient den Lebensunterhalt für ihre Familie als Imagetrainerin und Stylistin und steckt jeden Cent ins Geschäft: „Nach fünf Jahren hatte ich es endlich geschafft.“ Adriane Böhm legt Wert auf Qualität und beste Produktionsbedingungen. Ihre eigenen Kreationen lässt sie ausschließlich in europäischen Firmen schneidern – unter anderem in Italien, Polen und der Ukraine. Sie schätzt das Gespür junger polnischer Unternehmerinnen – der „östlichsten Italienerinnen“ – für Mode und Lifestyle, denn: „Sie haben historische Mode und Plauener Spitze neu interpretiert und die Brautmode revolutioniert.“
Sie widmet sich auch den Herren. Von Kopf bis Fuß kleidet sie nicht nur die Braut, sondern auch den Bräutigam ein: mit maßgeschneiderten Anzügen und Hemden, mit Schuhen, handgefertigten Manschettenknöpfen, italienischen Anzugschuhen, Fliegen, Krawatten, Einstecktücher, Socken, Gürteln – alles made in Europe.
Die Chefin legt Wert auf persönliche Typ-Beratung, nimmt sich Zeit für die Brautleute, hilft ihnen mit ihrer Erfahrung sanft und überzeugend, ihre ganz besondere Individualität zu erkennen und ihren eigenen Stil zu definieren. Und so ist ihre Beratung immer auch der Anfang eines neuen Lebensabschnitts mit mehr Selbst-Bewusst-Sein in einer neuen Zweisamkeit.
Warum das Brautkleid x-beliebig wurde
Adriane Böhm ist erfolgreich: seit 15 Jahren und bis zum heutigen Tag. Sie hat mit ihrem Team die Corona-Pandemie überlebt, in der Hochzeiten eine Zeit lang nicht gefeiert werden durften. Und doch hat ihre Leidenschaft, Brautleute für einen der schönsten Tage ihres Lebens einzukleiden, an Zauber verloren. „Ich wurde von einer Top-Stylistin zur Anziehhilfe degradiert“, beschreibt sie die Entwicklung. Der Einfluss von TV-Formaten hat die Suche nach dem Brautkleid zu einem Shopping-Event werden lassen. Geschäfte für Hochzeitsmoden sind wie Pilze aus dem Boden geschossen. „Jeder glaubte plötzlich, er könne es besser und leider auch billiger“, beschreibt die Modedesignerin den Trend zum Billig-Produkt asiatischer Herkunft. „In den vergangenen fünf Jahren sind in Deutschland 1000 und hier in der Region 16 neue Geschäfte für Hochzeitsmoden entstanden.“ Viele seien längst wieder verschwunden, sagt sie.
Doch geblieben sei ein neues Konsumverhalten. Potenzielle Bräute empfinden mit ihren Freundinnen im richtigen Leben nach, was sie in der Doku-Soap gesehen haben: Rein in die Umkleide, schnell wieder raus. Passt nicht. Sieht nicht gut aus. Das nächste Kleid – dasselbe Spiel – im Minutentakt – zig Mal. Auf ins nächste Geschäft.
„Ein Brautkleid ist x-beliebig geworden. Kaum ein junges Mädchen findet heute noch die Ruhe, sich einzufühlen in den besonderen Anlass. Kaum eine Braut genießt diesen einzigartigen Moment noch für sich allein. Kaum eine hört mehr auf ihre innere Stimme, weil sich alles nur noch im Außen abspielt und jeglicher Zauber zerredet wird“, beschreibt Adriane Böhm und bedauert: „Meine Berufserfahrung und meine Beratung sind nicht mehr gefragt. Ich kann keine Braut mehr glücklich machen. Damit hat mein Traum seine Magie verloren. Er ist zu Ende geträumt.“
Sie verlässt die „Bride-Side of Life“
Gleichzeitig aber habe mit Corona auch bei ihr ein Umdenken eingesetzt. „Was ist eigentlich noch zeitgemäß“, fragt sich die Stylistin. „Den Beruf über die Gesundheit zu stellen? Sich ein so wertvolles Kleid für einen Tag zu kaufen?“ Die Erinnerung an ihre Gabe, in jeder Lebenslage eine neue Chance zu entdecken, hat sie zu dem Entschluss gebracht, die „Bride & Suits Side of Life“ zu verlassen.
Den 1. April 2024 wird sie mit einem fröhlichen „Yeah“ begrüßen, denn: „Mein Leben ist in vielen Dingen zu kurz gekommen.“ Zum ersten Mal nimmt sie sich eine Auszeit, um sich auf ihre Gesundheit zu konzentrieren und neue Energie zu tanken. Wie lang die sein wird, entscheiden sie und der Zufall.
Kleiner, süßer Laden ist ihr neuer Traum
Am 31. März macht sie eine Tür zu, damit sich eine neue öffnen kann: „Für etwas Kleines und Feines. Für meine eigene Bubble.“ Adriane will wieder schreiben, vielleicht auch als Image-Beraterin arbeiten und – wenn sie ihn findet – ihre Vision von einem kleinen, süßen Laden verwirklichen. Selbstverständlich mit der eigenen Mode und auf jeden Fall nach dem Vorbild ihrer großen Ikone Vivienne Westwood: „Maßgeschneidert. Einzigartig. Nachhaltig.“
Adriane Böhm freut sich auf ein neues Kapitel in ihrem Leben. Es wird in ihrem 59. Lebensjahr beginnen, denn sie ist noch voller Energie, um „eine Geschichte zu Ende zu erzählen, einen Traum auszuträumen und einem neuen Raum zu geben.“