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Das Tabu durchbrechen, über die Krankheit reden

„Keine Depression ist unendlich“: Wie Radler in Wasserburg Betroffenen Mut machen

Appellieren radelnd und um Gespräch bemüht um einen offenen Umgang mit psychischen Erkrankungen: die Teilnehmer der „MUT-TOUR“ bei ihrem Halt in der Wasserburger Altstadt.
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Appellieren radelnd und um Gespräch bemüht um einen offenen Umgang mit psychischen Erkrankungen: die Teilnehmer der „MUT-TOUR“ bei ihrem Halt in der Wasserburger Altstadt.

Depressionen sind noch immer oft ein Tabu, obwohl jeder 4. Erwachsene im Laufe seines Lebens mit einer psychischen Erkrankung in Kontakt kommt. Die „MUT-TOUR“ hat in Wasserburg Betroffenen und Angehörigen Mut gemacht, sich Hilfe zu holen. Warum das oft der 1. Schritt zur Genesung ist.

Wasserburg – Zusammen bewegen und gemeinsam über Depressionen reden - Die MUT-TOUR 2023 ist bereits zum 11. Mal unterwegs, um deutschlandweit Aufklärungsarbeit zu leisten und hat dabei auch Halt in Wasserburg gemacht.

„Und was brauchst du?“ Eine wichtige Frage, ganz besonders, wenn es um Depressionen und psychische Erkrankungen und den Umgang mit Betroffenen geht, betonen die Teilnehmer der Radtour. Viele Krankheiten seien mit Vorurteilen verbunden, Depressionen und psychische Erkrankungen vor allem. Wenn eingefahrene Sichtweisen und mangelnde Information das Verhalten gegenüber den Erkrankten bestimmen würden, könne Ausgrenzung oder Diskriminierung, aber auch Hilflosigkeit und Frustration die Folge sein. „Das muss sich unbedingt ändern“, sagt Jonas. Der 28-Jährige hat in seinem Freundeskreis Menschen, die psychisch erkrankt sind und für sich Handlungsbedarf erkannt. Er ist einer von mehreren hundert Teilnehmern, die sich jeden Sommer mit der MUT-TOUR auf den Weg machen, um Aufklärungsarbeit zu leisten.

In den Gesprächen am Wegesrand berichten die Teilnehmenden von den Erfahrungen mit der eigenen Erkrankung und suchen den offenen Austausch über die Bedürfnisse von Betroffenen und Angehörigen. Insgesamt drei Monate sind die verschiedenen Teams auf Etappen deutschlandweit auf 3800 Kilometern unterwegs, das Equipment wird am Ende eines Abschnitts an die folgende Crew weitergegeben.

Der lange Weg bis zum Eingeständnis

Jonas hat mit fünf Wegbegleitern und drei Tandems die Etappe von Neumarkt-Sankt Veit über Mühldorf, Waldkraiburg, Wasserburg nach Rosenheim gemeistert und dabei erlebt, wie sich durch offene Gespräche Berührungsängste und Vorurteile stetig abbauen lassen. Mit ihren auffälligen Tandems und der bunten Ausrüstung mit Aufdrucken wie „Depression ist behandelbar“, „mehr Mut und Wissen im Umgang mit dem Thema Depression“ oder auch „Mut fördern – MUT-TOUR fielen die „Mutspender“ auch bei ihrem Stopp in der Wasserburger Hofstatt sofort auf.

Dabei kamen viele interessante Gespräche zustande. Ein Passant fand die Aktion so toll, dass er den Teilnehmern gleich einen Kaffee spendierte. „Viele fragen geradeheraus, was wir denn so machen“, erzählt Jonas. Oft komme man auch über das beliebte Thema Fahrrad ins Gespräch. Die Resonanz sei meistens positiv. „Häufig trauen sich die Menschen dann auch über persönliche Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen zu sprechen“, berichtet Franziska. Die 34-jährige Berlinerin ist seit 2018 mit auf Tour. Sie ist mit dem Thema aufgrund der Erkrankung von Angehörigen konfrontiert. Das Schwierigste sei, die Hilflosigkeit mitzuerleben und der lange Weg bis zum Eingeständnis, dass man alleine nicht aus der Krise komme, findet Franziska.

Noch immer oft zu hören: „Hab dich nicht so“

„Das Thema ist leider nicht so häufig in der Öffentlichkeit“, stellte Dr. Peter Lange im Gespräch mit MUT-TOUR-Teilnehmenden heraus. Der Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie war beim Stadtbummel auf die Gruppe aufmerksam geworden. Für die Patienten sei es oft eine Riesenüberwindung, über ihre Krankheit zu sprechen. Das dauere oft Jahre, weiß Lange aus seinem Praxisalltag. Das liege auch daran, dass psychisch Kranke häufig immer noch stigmatisiert würden und auf Unverständnis in ihrem Alltag stoßen würden. In keinem anderen Fachgebiet brauche es bei einer Krankschreibung so viel Begründung. Bei einem Beinbruch sei die Beeinträchtigung sichtbar, bei psychischen Erkrankungen hätten die Betroffenen nicht selten mit Aussagen wie „reiß dich mal zusammen“, oder „hab dich nicht so“ zu kämpfen. Dabei könnten Angehörige für Menschen mit Depression in dieser Zeit eine wichtige Stütze sein, so Lange.

„Hilfreich für eine betroffene Person ist es zum Beispiel, wenn ihr Umfeld Verständnis aufbringt“, erzählt Bernhard. Der 39-jährige hat selbst schon einige psychische Krisen bewältigt und dabei die Erfahrung gemacht: „Keine Depression ist unendlich“. Auch bei ihm habe es einige Zeit gedauert, bis er sich Hilfe geholt habe. Ein Erstgespräch bei einem Therapeuten habe er verhältnismäßig schnell bekommen. Die Psychotherapie im Anschluss an den Klinikaufenthalt habe sechs bis neun Monate gedauert. Das klappe aber nicht bei jedem gleich gut und könne mit viel Frustration verbunden sein, denn nicht immer sei der erste Therapieschritt gleich erfolgreich. Der Umgang mit einem depressiven Menschen könne für die Familie und den Freundeskreis eine Herausforderung sein. Sie könnten sich aber selbst Hilfe holen, zum Beispiel mit psychotherapeutischer Unterstützung oder auch in einer Selbsthilfegruppe. „Mein Umfeld hat gut reagiert und auch mein Arbeitgeber ist mit Sozialbetreuung und Wiedereingliederung gut aufgestellt.“ Das sei aber nicht bei allen Betroffenen so, deshalb wolle die MUT-TOUR ein Zeichen setzen: „Schaut her, ihr seid nicht allein.“ Wichtig sei, den Menschen zuzuhören und wenn gewünscht, auch Hilfsangebote aufzuzeigen.

Mehr als jeder 4. Erwachsene betroffen

Laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (dgppn) erfüllt mehr als jeder vierte Erwachsene bundesweit im Zeitraum eines Jahres die Kriterien einer psychischen Erkrankung. Zu den häufigsten Krankheitsbildern zählen Angststörungen, Depressionen und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentengebrauch. Für die knapp 18 Millionen Betroffenen und ihre Angehörigen ist eine psychische Erkrankung mit massivem Leid verbunden und führt oft zu schwerwiegenden Einschränkungen im sozialen und beruflichen Leben. Die MUT-TOUR wird gefördert von den Krankenkassen DAK und BARMER, der Deutschen Rentenversicherung, dem Landschaftsverband Rheinland, Aktion Mensch sowie Kämpgen-Stiftung und Vinci-Stiftung.

Wie sich eine Depression äußern kann

Verschiedene Beschwerden können mit einer Depression einhergehen, teilt das gemeinsame Portal von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung mit. Beschwerden einer Depression sind danach zum Beispiel:  gedrückte, depressive Stimmung, wenig Interesse und Freude an wichtigen Aktivitäten, die früher Spaß gemacht haben, verminderter Antrieb oder schnelle Ermüdung, Probleme, aufmerksam zu sein, sich zu konzentrieren oder sich zu entscheiden, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Selbstvorwürfe und Schuldgefühle, langsame Bewegungen und Sprache oder innere Unruhe, Probleme beim Einschlafen, sehr frühes Aufwachen, weniger Appetit, Gewichtsverlust oder aber ein starkes Bedürfnis viel zu essen, Gedanken oder Versuche, sich selbst zu töten. Neben typischen seelischen Belastungen können körperliche Beschwerden eine Depression begleiten, zum Beispiel Abgeschlagenheit, Magen-Darm-Probleme, Schmerzen, Luftnot oder Druckgefühl in Hals und Brust. Wichtig: Eine Depression habe viele Ursachen und kann jeden treffen. Niemand trage Schuld an der Krankheit. Depression sei auch kein Ausdruck von Unvermögen oder Nichtwollen. Auch wenn es von außen ganz einfach scheine, dagegen anzugehen: Für die betroffene Person selbst könne es sehr anstrengend sein, sich zu den einfachsten Dingen aufzuraffen und den normalen Alltag zu bewältigen.

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